Als die Deutsche Börse 1988 einen neuen Aktienindex für die wichtigsten Börsenunternehmen einführte, war Linde schon dabei. Der Deutsche Aktienindex Dax wurde mit den Jahren zu einem Erfolgsmodell, immer wieder wechselte die Zusammensetzung. Der weltweit tätige Gasehersteller ist eines der wenigen Unternehmen, die ununterbrochen dazu gehören - aber nicht mehr lange. Jetzt hat Linde bekanntgegeben, Frankfurt und den Dax verlassen und sich künftig auf die Börse in New York konzentrieren zu wollen.
Das Signal, das von dieser Entscheidung ausgeht, ist fatal. Denn sie wirft ein grelles Licht auf den deutschen Kapitalmarkt, auf seine schwindende Bedeutung und seine Defizite. Unternehmen etwa aus der zukunftsträchtigen Biotech-Branche gehen schon lange in die USA, wenn sie an die Börse wollen und nach risikobereiten Kapitalgebern suchen, und das trotz der dort deutlich rigoroseren Finanzaufsicht SEC, die bei Verfehlungen gerne mal hart durchgreift. Jetzt kehrt Linde, immerhin das bislang wertvollste Börsenunternehmen in Deutschland, Frankfurt den Rücken.
Natürlich ist der Konzern, vier Jahre nach der damals so umstrittenen Fusion mit dem Konkurrenten Praxair, inzwischen größtenteils angelsächsisch-amerikanisch geprägt. Die Entscheidungen fallen schon lange nicht mehr in Deutschland, ein Abschied aus Frankfurt erscheint manchen so nur als folgerichtig. Doch es hat auch mit der mangelnden Attraktivität des deutschen Kapitalmarkts zu tun. Die Volumen, die hier gehandelt werden, sind zu klein, die Rahmenbedingungen schlecht - und ja, vielleicht auch die Finanzaufsicht zu lasch, um Vertrauen für Investoren und Anleger zu schaffen. Der Fall Wirecard, dessen Hintergründe noch immer nicht aufgeklärt sind, hat da weiteren Schaden angerichtet.
Dabei ist ein heimischer funktionierender und attraktiver Kapitalmarkt für Unternehmen, gleich welcher Größe, lebenswichtig. Hier können sie sich schnell Kapital für das Geschäft besorgen und Aktionäre gewinnen. Es hat Vorteile, wenn es deutsche oder europäische Börsen gibt. Nicht alle wollen vollständig unter dem Einfluss internationaler Investoren stehen. Die Deutsche Börse muss sich etwas einfallen lassen.