Süddeutsche Zeitung

Lieferservice:Berliner können bald frische Lebensmittel bei Amazon bestellen

Im September sollen Berliner bereits frisches Fleisch und Gemüse bei Amazon bestellen können. Auch in München und im Ruhrgebiet soll das noch in diesem Jahr möglich werden.

Von Stefan Mayr, München/Berlin

Die Adresse steht für ein Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte: Am Borsigturm 100, Berlin-Tegel. Auf dem Areal der Borsigwerke entstand anno 1922 das erste Hochhaus Berlins, in dessen Schatten baute Borsig seine wuchtigen Dampflokomotiven. Heute basteln an selber Stelle eine Handvoll Manager unter strenger Geheimhaltung an der flinken Zukunft des Lebensmittelhandels: In der Logistikhalle "Dock 100" wird der US-Konzern Amazon noch in diesem Jahr sein Programm "Amazon Fresh" starten.

Wie die Süddeutsche Zeitung aus Unternehmenskreisen erfahren hat, soll die Auslieferung von frischem Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, Milch und Joghurt im September starten. Dies wäre das erste derartige Angebot auf dem europäischen Festland.

Bislang gibt es "Fresh" nur in US-amerikanischen Großstädten, in London steht der Start kurz bevor. Amazon bestätigt das Berliner Projekt nicht - dementiert es aber auch nicht. Dasselbe gilt für die Beos AG, die Vermarkterin des Grundstücks in Nähe der Stadtautobahn A 111. Nach SZ-Informationen will Amazon auch in Edinburgh, München und im Ruhrgebiet noch in diesem Jahr frische Lebensmittel an die Haustüren der Kunden liefern. Doch in diesen Städten ist die Suche nach passenden Logistik-Flächen noch nicht abgeschlossen.

Die Supermarktketten müssen wohl langfristig mit Umsatzeinbußen rechnen

Mit Amazon drängt ein mächtiges Unternehmen auf den deutschen Lebensmittelmarkt. Die klassischen Supermarktketten müssen wohl zumindest langfristig mit Umsatzeinbußen rechnen. Alain Caparros, Vorstandschef der Rewe-Gruppe, gibt sich in einer Stellungnahme dennoch gelassen: "Wir sind gut gerüstet für die Zukunft des E-Commerce mit Lebensmitteln." Das sehen andere Experten anders. Ihnen zufolge könne der Internet-Konzern aus Seattle viel effizienter arbeiten, weil er mit einem halbautomatisierten Großlager operiere, während die Rewe-Ausfahrer jedes einzelne Produkt aus den Regalen einer Marktfiliale holen müssen.

Wenigstens hat Rewe schon seit Längerem Erfahrung mit der Zustellung frischer Waren. Ganz im Gegensatz zu Edeka, Aldi und Lidl, die sich noch nicht in diese Nische gewagt haben. Beobachter der Branche gehen aber davon aus, dass demnächst auch die bisher zurückhaltenden Discounter ins Onlinegeschäft einsteigen werden. Lidl stellt derzeit bereits etliche E-Commerce-Experten ein.

Was gibt es, wie teuer wird es sein?

Bislang ist der Online-Lebensmittelmarkt in Deutschland klein und gilt als Verlustbringer. Zunächst werden die Anbieter nicht um Gewinne kämpfen, sondern nur um Marktanteile, die sich dann auszahlen könnten, wenn die kritische Kundenzahl erreicht wird. Für Amazon ist Deutschland generell der zweitgrößte Markt, allerdings ist der Bereich Lebensmittel schwierig: Der deutsche Kunde gilt als sehr anspruchsvoll und sparsam zugleich.

Mit welchem Sortiment, welchen Preisen und welchen Lieferanten Amazon Fresh in Berlin an den Start gehen wird, ist noch unbekannt. Anfangs wird der Internet-Konzern wohl auf seine bewährten Logistik-Partner aus der Branche zurückgreifen, sagt Thomas Täuber, Einzelhandels-Experte der Unternehmensberatung Accenture. "Später wird sukzessive ein eigenes Liefer-Netzwerk aufgebaut", schätzt er. "Die grünen Amazon-Lieferwagen werden mittelfristig sicher durch die Straßen fahren."

Am Mittwoch startete in Berlin "Amazon Prime Now". Dabei können sich Kunden, die 49 Euro Jahresgebühr zahlen, die Ware binnen einer Stunde schicken lassen. Allerdings nur bei 20 Euro Mindestbestellwert und für 6,99 Euro Aufpreis pro Zustellung. Zu kaufen gibt es auch einige verpackte Frischprodukte - quasi als Testlauf für September.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2016/mahu
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