Süddeutsche Zeitung

Lieferkettengesetz:Schluss mit freiwillig?

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Deutschland, selbst nicht gerade Vorreiter in Sachen Sorgfaltspflicht, will das Lieferkettengesetz während seiner EU-Ratspräsidentschaft 2020 auf die politische Agenda setzen.

Von Caspar Dohmen, Berlin

Kinder schuften auf Kakaopflanzungen in der Elfenbeinküste, Frauen nähen für Hungerlöhne in Bangladesch, Arbeiter sterben in einer unsicheren Eisenerzmine in Brasilien - solche Verstöße gegen nationales Arbeitsrecht oder die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo) finden laufend statt. Bislang haften deutsche Unternehmen nicht dafür, wenn bei ausländischen Zulieferern grundlegende Menschenrechte verletzt werden. Das könnte sich 2020 ändern. Deutschland will das Thema während seiner EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr auf die Agenda setzen. So soll verhindert werden, dass es in Europa zu einem gesetzgeberischen Flickenteppich kommt.

Deutschland spielt in den internationalen Liefernetzwerken eine wichtige Rolle, weil es hinter den USA und China das drittgrößte Importland ist. Allerdings hinkt gerade die Bundesrepublik bei der Einführung verbindlicher menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten anderen Ländern hinterher: Frankreich hat 2017 als erstes Land überhaupt große heimische Unternehmen dazu verpflichtet, bei ihren Auslandsgeschäften menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuhalten. In anderen Ländern wie den Niederlanden, Belgien oder Finnland sind immerhin Gesetze verabschiedet oder auf den Weg gebracht worden, um einzelne Aspekte wie Kinderarbeit oder Sektoren wie Kakao zu regulieren.

In Deutschland fordern Teile der Politik und Nichtregierungsorganisationen seit Jahren Haftungsregelungen, und ebenso lange verhindert dies eine Mehrheit aus Politik und Wirtschaft. Letztmals stand das Thema 2016 auf der Tagesordnung der Regierung. Bei der Umsetzung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der UN beließ es die große Koalition beim Prinzip der Freiwilligkeit, knüpfte diese Regelung aber an eine Bedingung: Bis 2020 müsse die Hälfte aller deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten freiwillig menschenrechtliche Sorgfaltspflichten bei ihren Lieferanten in aller Welt umsetzen und dies nachweislich in ihre Managementprozesse einbauen.

Laut einer Umfrage unter 3300 der 7200 betroffenen Unternehmen ist dies aber nicht der Fall. Lediglich 20 Prozent erfüllten laut eigener Einschätzung die Vorgaben, sagt Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, was belege: "Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel." Im Frühjahr soll es noch eine zweite Befragung geben. Wenn es keine Besserung gebe, werde man in die Gesetzgebung einsteigen, kündigten Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil im Dezember an.

Oft wissen Unternehmen gar nicht, welche Missstände es in ihren Lieferketten gibt

Zuvor hatten sich die Parteien der großen Koalition bereits jeweils für mehr Verbindlichkeit ausgesprochen. Die CDU forderte in einem Parteitagsbeschluss vom November die Bundesregierung auf, "gesetzliche Regelungen für die Wertschöpfungsketten zu entwickeln. Der Kreis der einzubeziehenden Unternehmen muss dabei alle relevanten Akteure und Sanktionen enthalten." Und im Parteitagsbeschluss der SPD von Dezember heißt es, dass man nicht weiter auf Freiwilligkeit setzen könne. "Denn nur, wenn alle deutschen Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gerecht würden, bräuchten wir kein Gesetz."

Mittlerweile plädieren auch immer mehr Unternehmen öffentlich für die Einführung eines Lieferkettengesetzes. Im Dezember unterschrieben 42 Firmen eine Petition, darunter Konzerne wie Hapag Lloyd und Nestlé Deutschland, Familienunternehmen wie Vaude, Ritter Sport und Tchibo sowie einige Start-ups. Sie schrieben: "Die Erfahrung zeigt, dass freiwillige Selbstverpflichtungen allein nicht ausreichen." Für ihr Engagement gibt es auch ein handfestes betriebswirtschaftliches Argument: Wenn Unternehmen freiwillig auf die Einhaltung von Mindeststandards bei Umwelt- und Menschenrechten in der Lieferkette achten, können sie Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten haben, die dies nicht tun.

Seit den 90er-Jahren führte die wachsende Globalisierung dazu, dass immer mehr Waren oder Vorprodukte an Billiglohnstandorten gefertigt werden. Von der neuen Arbeitsteilung haben viele profitiert: Unternehmen in Form höherer Gewinne, Konsumenten dank niedrigerer Preise und auch die Produzenten in den Billiglohnländern. Wer häufig nur bedingt oder gar nicht davon profitierte: die Arbeiter selbst. Jeden Tag sterben laut Ilo 6400 Menschen am Arbeitsplatz; trotz Verbot arbeiten weltweit 152 Millionen Kinder und rund 25 Millionen Menschen gelten als moderne Sklaven.

Oft wissen Unternehmen überhaupt nicht, welche Missstände in ihren Lieferketten existieren, weil diese verästelt sind und bisweilen über zehn bis 15 Glieder reichen. Doch niemand habe die Firmen gezwungen ihre Produktion auf diese Weise zu organisieren, sagt Michael Windfuhr, Vizedirektor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Die Lieferketten seien ja nur deswegen so lang, weil sich so am kostengünstigsten produzieren lasse.

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SZ vom 09.01.2020
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