Versandhandel:Her mit den Päckchen, aber bitte schnell und kostenlos

Paketzustellung Deutsche Post DHL

Schneller, günstiger, flexibler wollen die Zusteller sein - und steigern damit die Erwartungen der Kunden weiter.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Online-Händler versprechen ihren Kunden, jeden Wunsch ruckzuck liefern zu können - und überall hin. Aber was, wenn das nicht klappt? Über die schwierige Beziehung zwischen Käufer, Verkäufer und Boten.

Von Varinia Bernau, Lea Hampel und Nils Wischmeyer

Das ist der Klassiker. Man nimmt sich den Vormittag frei und bleibt zu Hause. Bis 11.30 Uhr soll das Paket ankommen. Kurz nach 12 Uhr: nichts. Beim Rausgehen noch kurz in den Briefkasten geschaut, darin: eine Nachricht, dass das Paket nicht zugestellt werden konnte. Fälle wie dieser landen täglich bei Verbraucherschützern. Denn die Zahl der Päckchen, die nicht beim Empfänger ankommen, steigt. Die zuständige Aufsichtsbehörde für die Post ist die Bundesnetzagentur. Sie hat eine Schlichtungsstelle für Ärgerfälle. Im Jahr 2014 sind dort 1950 schriftliche Beschwerden über Brief- und Paketzustellung eingegangen. In diesem Jahr werden es deutlich mehr. Schon jetzt liegt die Zahl bei 2420, und das Weihnachtsgeschäft kommt erst noch. Bei der Schlichtungsstelle landen außerdem nur besonders schwere Fälle - wenn etwa das Unternehmen auf Beschwerden des Kunden nicht reagiert oder ein Zusteller das Paket in den Garten geworfen hat.

Hinter dem großen Unmut steht auch ein großer Widerspruch. 93,8 Prozent aller Online-Bestellungen erreichen direkt ihren Empfänger, zeigt eine Umfrage des privatfinanzierten Instituts für Handelsforschung Köln. Eigentlich ein guter Wert. Doch das entspricht umgerechnet auf alle Paketsendungen immer noch fast 183 Millionen Problemfällen im Jahr. Mittlerweile gibt es deshalb mehrere Beschwerdeplattformen. Die dort geschilderten Fälle reichen von Päckchen, die im Vorgarten abgestellt wurden, bis zu Namen von Nachbarn auf den Zustellkarten, die der Paketempfänger noch nie gehört hat.

Eines haben alle Fälle gemeinsam: Probleme gibt es in der Regel auf den letzten 1,5 Kilometer bis zur Haustür. Es ist der Abschnitt, auf dem etwa die Hälfte der Kosten entstehen. Hier bekommt der Kunde mit, was schief läuft. Es sind diese 1500 Meter, über die sich die Lieferbranche den Kopf zerbricht.

"Die Komplexität der Dienstleistung 'Lieferung' ist gestiegen", diagnostiziert Ralf Bogdanski. Seit Jahren erforscht er an der Technischen Hochschule Nürnberg die Branche. Für die derzeitigen Zustände gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist die Menge der Pakete massiv gestiegen. 2,95 Milliarden Sendungen sind pro Jahr unterwegs. Von der Gartenliege bis zum Autoreifen wird immer mehr online gekauft und oft auch wieder zum Shop zurückgeschickt.

Zugleich sind die Anforderungen der Kunden gestiegen. Andrea Gröppel-Klein arbeitet als Konsumforscherin an der Universität des Saarlands. Sie beobachtet, wie sich das Konsumverhalten in den vergangenen Jahren verändert hat. Musik zu streamen oder Filme im Netz zu kaufen, habe die Erwartungen vieler Kunden verändert, erläutert sie. "Die Digitalisierung hat uns daran gewöhnt, dass wir immer alles haben können - und das sofort", sagt sie.

56,9 Prozent

Mehr als die Hälfte aller Kunden befindet in einer Studie des Instituts für Handelsforschung Köln, dass es "absolut wichtig" für ihren Online-Kauf ist, dass die Lieferung nach Hause ab einem Mindestbestellwert kostenlos erfolgt. Besonders wichtig ist ihnen das bei Tierbedarf und Lebensmitteln.

Nur ein Klick trenne den Kunden in der digitalen Welt von dem, was er wolle. Ganz so, wie er es aus dem stationären Handel gewöhnt waren: Nach dem Kauf folgt unmittelbar der Konsum. Diesen Anspruch übertrage der Mensch aufs Online-Shopping, so unrealistisch das sei. Heute wird die Lieferung am gleichen Tag erwartet, während früher eine Woche Wartezeit normal war. "Es ist eine neue Anspruchshaltung entstanden", sagt Gröppel-Klein. Genährt wird sie von den Onlinehändlern, die wissen: Je schneller der Kunde ein Produkt bekommen kann, desto schneller klickt er auf "Kaufen". Die Firmen wollen es komfortabler machen, die Kunden denken, das muss so sein. So bietet etwa der Internethändler Amazon die Lieferung am gleichen Tag in 20 Regionen in Deutschland an und bringt die anderen Händler unter Zugzwang.

Einige Schwierigkeiten, die auf den letzten Metern entstehen, hängen zudem mit dem modernen Kunden zusammen. Der will sich einerseits nicht festlegen und kurz vorher noch sagen können, dass das Päckchen nun doch an einen anderen Ort in der Stadt gebracht werden soll. "Der Konsument wird immer mehr zum Regisseur seiner eigenen Bestellung", diagnostiziert Hermes-Deutschland-Chef Frank Rausch. Andererseits erwarte der Empfänger Zuverlässigkeit vom Zusteller und wenig Aufwand für sich selbst.

Gewünscht sind immer mehr Leistungen, aber keine extra Kosten

Die Zustellbranche setzt sich dabei selbst unter Druck. Seit das Postmonopol gefallen ist, unterbieten sich Zusteller gegenseitig. Schneller, günstiger, flexibler wollen sie sein. Das steigert die Erwartungen der Kunden weiter. Im Ergebnis muss eine immer komplexer zu erbringende Leistung möglichst günstig werden. Fast ruinös sei der Preiskampf, befindet Forscher Bogdanski.

Um noch mithalten zu können, beschäftigt jeder große Zusteller Subunternehmen. Bei UPS macht deren Anteil 40 Prozent aus. Wenn die Deutsche Post neue Zusteller im Paketgeschäft einstellt, beschäftigt sie diese seit kurzem in einer Gesellschaft, in der weniger als der Haustarif gezahlt wird. Je länger die Kette, desto schwieriger die Kontrolle. Weil zudem jeder in der Kette Gewinne machen muss, klingeln beim Kunden oft Menschen, die mit Minimalqualifikation zum Mindestlohn arbeiten und täglich mehr schaffen sollen. Sie sind das letzte Glied der Kette, das in verstopften Innenstädten für genervte Kunden Erwartungen erfüllt, die ganz vorne in der Kette geweckt werden.

48 Stunden

Mehr als jeder dritte Kunde erwartet, eine Lieferung innerhalb von zwei Tagen zu bekommen. Noch schneller soll es bei Lebensmitteln gehen, fordern die Menschen in Umfragen.

Menschen wie der 39-jährige Mann aus Paraguay. An einem Mittwoch um halb acht Uhr abends schiebt er in München noch ein Paket auf dem Bürgersteig entlang. Es ist so groß wie er. Der Mann trägt es der Kundin bis an die Tür im zweiten Stock. Vier Stunden am Tag arbeitet er für DHL, für zehn Euro netto Stundenlohn, erzählt er. Deutsch muss er erst noch lernen, um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben. Eigentlich ist er Informatiker.

Die ohnehin schon schwierige Konstellation verschärft sich durch deutsche Besonderheiten. Der Anteil der Pakete, die einem bis zur Haustür gebracht werden, ist hier vergleichsweise hoch. Im dünner besiedelten Norwegen etwa müssen sich Verbraucher ihre Pakete öfter abholen. Der deutsche Kunde stellt auch an die Zulieferung noch Ansprüche: "Der gleiche Bürger, der im Internet bestellt, möchte weder Lärm noch Luftverschmutzung oder Parken in zweiter Reihe akzeptieren", sagt Bogdanski. Für die Lieferung zu bezahlen, sind die Deutschen trotzdem nicht bereit. Die Paketpreise sind über Jahre stabil, obwohl die Lieferzeit geringer wird. "Hier herrscht eine Null-Versandkosten-Mentalität", ärgert sich ein Vertreter des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik. Die Deutschen, so zeigen Befragungen, zahlen lieber mehr fürs Produkt, um es kostenlos geliefert zu bekommen, als die Zustellung separat zu zahlen. "Der Paketpreis ist grundsätzlich mindestens 50 Cent zu niedrig", sagt Hermes-Chef Rausch.

Die Branche steht also seit Jahren vor einem Dilemma. Sie muss immer mehr Pakete ausliefern, sich immer neue Methode ausdenken, um diese zum Kunden zu bringen, ohne dass die Kosten steigen. Tatsächlich investieren Zusteller permanent in IT und Fahrzeuge, halten aber mit dem Wachstum nicht mit. Der Kunde wiederum sieht nur, wo die Anpassung nicht schnell genug geht, und ärgert sich über verspätete Päckchen und solche, die im falschen Paketshop landen. Über eine Branche, die sich permanent optimiert, hagelt es oft Beschwerden.

Dabei gibt es vielversprechende Ansätze, die schon beim Bestellen und Versenden beginnen. DPD informiert die Kunden per Nachricht aufs Smartphone darüber, wo sich das Paket befindet. DHL sendet dem Kunden eine E-Mail mit dem Tag der Lieferung und der Option, diesen zu ändern. Darüber hinaus experimentieren die Unternehmen mit Zustellmethoden. Lastenfahrräder kommen öfter zum Einsatz, auch Lieferroboter werden getestet.

Und es gibt immer mehr Orte, an denen die Zusteller Pakete deponieren können. Denn je besser sie eine Route planen, desto weniger Zeit und Sprit kostet diese. Paketshops von Hermes sind in Hamburg an Hochbahn-Stationen integriert. Die Saturn- und Mediamärkte überspringen die Zustelldienste und bieten derzeit testweise an, Bestellungen am Berliner Hauptbahnhof abzuholen. Die Post hat vor zwei Jahren begonnen, Hausbesitzern gegen eine Gebühr ab 100 Euro eine Box in den Garten zu stellen, in der Pakete deponiert werden können, wenn man nicht zu Hause ist. Auch in Mehrfamilienhäusern halten solche Boxen nach und nach Einzug, zunächst in Berlin und Dortmund. Die Konkurrenten DPD, Hermes und GLS haben sich auf ein Paketboxsystem für die ganze Nachbarschaft namens Parcellock geeinigt. Vielversprechend sind derzeit vor allem Lösungen, die bisherige Angebote bündeln. Hermes hält Anteile an Liefery, einem Berliner Start-up. Das testet derzeit ein Konzept, Pakete unterschiedlicher Zulieferer in eigenen Depots zu sammeln und in einem vereinbarten Zeitraum zum Kunden zu bringen.

Vielleicht aber ändert sich auch der Kunde. Vielleicht kommt er den Zustellern doch noch ein Stück entgegen: Amazon versucht es zumindest - und bewirbt derzeit ein Modell, in dem Kunden für punktgenaue Lieferungen etwas mehr zahlen. Anders, glaubt Wissenschaftler Bogdanski, geht es langfristig auch nicht: "Wenn der Kunde es noch bequemer will, wird das mit Gebühren verbunden sein", sagt er. "Die Branche hat keine großen Reserven mehr."

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