Lieferdienste:Ganz schön ausgeliefert

Coronavirus: Fahrer eines Lieferdienstes während der Corona-Krise

Viele Menschen bestellen ihr Essen jetzt online. Doch die kleinen Restaurants und Familienbetriebe haben davon oft wenig.

(Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Lieferando kassiert eine Gebühr für jede Bestellung, die ein Restaurant über den Dienst erhält. In der Krise ist das besonders hart, die Abhängigkeit wächst. Doch lokale Hilfe naht.

Von Christina Kunkel und Nils Wischmeyer, Köln

Kurz bevor er das Piazzetta vorübergehend für Gäste schließt, setzt sich Franco Montalto auf seinen Roller und fährt in den Gastro-Großhandel. Zurück kommt er nicht mit Lebensmitteln, sondern mit Warmhalteboxen. Es ist seine Antwort auf die Krise, und so fährt er seither fast jeden Tag mit dem Roller durch München, bringt Pasta und Pizza, um den kleinen Familienbetrieb am Leben zu halten. "Wir wollen es einfach probieren", sagt seine Tochter Laura.

Wie den Montaltos geht es gerade unzähligen Restaurants in der gesamten Republik. Zwar sollte man meinen, dass alle Menschen ständig Essen bestellen, jetzt wo das Office zu Hause ist, es keine Kantine gibt und die Kinder auch ständig quengeln. Doch von diesem vermeintlichen Boom kommt bei den kleinen Restaurants und Familienbetrieben bisher kaum etwas an, gerade dann nicht, wenn sie bisher nicht im Liefergeschäft aktiv waren wie die Montaltos. Die Kunden wissen oft gar nicht, dass das Restaurant jetzt Essen bringt, viele haben nicht mal eine aktuelle Speisekarte auf ihrer Webseite, geschweige denn einen Online-Bezahldienst eingebunden.

Genau an dieser Nahtstelle macht Lieferando sein Geld, die größte Plattform in Deutschland, wenn es darum geht, online Essen zu bestellen. Seit die Muttergesellschaft vor einiger Zeit den Konkurrenten Lieferheld geschluckt hat, gibt es keine bundesweite Alternative für Restaurants. 13 Prozent aller Umsätze, die sie über Lieferando machen, müssen die Restaurants für den Zugang zum Online-Kunden abdrücken. Wer auch die Mitarbeiter der Plattform für die Auslieferung von Pizza oder Sushi beansprucht, zahlt noch einmal drauf. 30 Prozent kassiert Lieferando dafür, wenn der E-Bike-Fahrer das Essen von A nach B bringt.

Was das für einen kleinen Betrieb bedeutet, rechnet Hüseyin Fidan vor. Der Pizzabäcker betreibt drei Läden in Siegen, von denen er zwei vorübergehend schließen musste, über den dritten läuft der Lieferdienst. Seine Rechnung geht so: Bestellt jemand eine Pizza für zehn Euro bei ihm, gehen davon 13 Prozent direkt an Lieferando, zuzüglich Mehrwertsteuer, rund zwei Euro gehen direkt an den Fiskus, 2,50 Euro kosten die Waren im Einkauf, und vom Rest der dann bleibt, geht ein großer Teil für Personalkosten drauf. "Alles in allem bleibt bei jeder Pizza für zehn Euro vielleicht ein Euro an Gewinn nach Abzug der Kosten", sagt Fidan. Ohne Lieferando hätte er weniger Kunden, doch wäre die Marge deutlich höher. In Krisen-Zeiten, wenn es um jeden Cent geht, tut die Kommission besonders weh. Fidan versucht deshalb, dass die Leute über seine Webseite oder per Telefon bestellen. Er sagt: "Kauft egal bei wem, aber kauft lieber direkt beim Restaurant."

Lieferando, das ist nicht nur für ihn eine Hassliebe. Peter Krauss betreibt den Bowl-Laden Heartbeet in München. Er berichtet von 75 Prozent Umsatzeinbruch seit Beginn der Corona-Krise. Für den noch jungen Gastrobetrieb ist das Liefergeschäft ein Hoffnungsschimmer, auch wenn das bedeutet, dass Lieferando seinen Teil bekommt. "Wir brauchen die Reichweite", sagt Krauss. Gleichzeitig versucht auch er, die Kunden in den eigenen Webshop zu locken. Dort bleibt ein wenig mehr hängen.

"wir hoffen, dass wir langfristig positiv aus der Sache rausgehen", sagt der Lieferando-Chef

Wenn tatsächlich alle über Lieferando bestellen, müssten bei Jörg Gerbig, Chef des Lieferdienstes, eigentlich die Kassen klingeln. Doch Gerbig ist zurückhaltend, will nichts von großem Wachstum hören, auch nicht vom Gewinner der Krise. "Es ist momentan zu früh, eine Einschätzung über die Entwicklung der Bestellzahlen abzugeben", sagt er. Das liegt grob an zwei Faktoren. Zum einen gelten die neuen Maßnahmen in Deutschland erst ein paar Tage, was kurzfristige Analysen und Prognosen schwierig mache. Zum anderen könnte es sein, dass Lieferando bisher gar nicht so stark profitiert hat, wie man meinen sollte.

So klingt es jedenfalls, wenn man dem aktuellen Lieferando-Chef zuhört. Der hatte mit Ausbruch der Krise gleich drei Probleme: Einige Restaurants haben zugemacht, damit fiel auch ihr Geschäft über Lieferando weg, einige der orange gekleideten Fahrer sind zu Hause geblieben, um bei ihrer Familie zu sein, und auch für die Kunden ist die Situation plötzlich eine andere gewesen. Heißt im Klartext: Statt jeden Sonntag beim Italiener zu bestellen, mussten die meisten sich erst zurechtfinden. Kurzfristig war der vermeintliche Boom also vielleicht gar keiner. "Aber wir hoffen, dass wir langfristig positiv aus der Sache rausgehen", sagt der Lieferando-Chef. "Das haben wir so auch in anderen Märkten wie etwa China gesehen."

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Optimistisch stimmt ihn, dass sich bisher 2500 neue Restaurants auf der Plattform angemeldet haben, an denen Lieferando potenziell verdient. Ist die Krise einmal vorbei, könnten zusätzlich Restaurants zurückkehren, die nun kurzfristig schließen mussten. Damit in der Zwischenzeit möglichst wenige in die Pleite rutschen, bietet Lieferando an, einen Antrag auf Zahlungsaufschub zu stellen. Wenn die Kunden das Essen selber abholen, verzichtet die Plattform darüber hinaus auf die Kommission.

Auch für Lieferando bedeutet die Krise Probleme. Die Belegschaft muss im Home-Office arbeiten, eine Attacke aus dem Internet legte die Plattform kurzfristig lahm, und der Stern berichtete zuletzt darüber, dass Fahrer nicht ausreichend gegen das Virus geschützt seien. Mittlerweile gibt es Desinfektionsmittel in den Firmenräumen und teilweise auch für Fahrer, die Lieferung läuft kontaktlos ab.

Moralische wie auch finanzielle Bedenken bleiben bei einigen Restaurantbesitzern. Sie versuchen auf eigene Faust ein Netzwerk aufzubauen, um die Hungrigen von Lieferando auf die eigene Webseite oder zum Telefonhörer zu treiben. Hilfe kommt aus den sozialen Netzwerken, wo lokale Initiativen die Geschäfte unterstützen wollen. Für München erstellen zum Beispiel die "munich foodys" auf Instagram nach Stadtteilen geordnet eine Übersicht, welche Restaurants selbst liefern oder Essen zum Mitnehmen anbieten.

Im nordrhein-westfälischen Siegen muss Pizzabäcker Hüseyin Fidan erst einmal ohne Großstadt-Community im Rücken weiterkämpfen. Mit Kurzarbeit, Zuschüssen, eisernem Sparen und ein wenig Glück wird er die nächsten sechs Monate meistern, sagt er. "Jede Pizza, die die Leute direkt bei uns bestellen, hilft besonders."

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