Silicon Beach:Pizza Tarantula

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Warum will ein Pizza-Lieferdienst unbedingt eine digitale Firma sein? Und was bitte haben Pizza, Spinnen und selbstfahrende Autos miteinander zu tun?

Von Jürgen Schmieder

Eine Tarantel soll man sich also zulegen, und als wäre das allein nicht abstrus genug, ist in der Online-Werbeanzeige ein achtbeiniges Prachtexemplar dieser Spezies zu sehen. Versehen mit dem Hinweis, welch unterschätzte und ungefährliche Haustiere diese Spinnen doch seien. Aber warum in aller Welt zeigen sie einem diese Anzeige? Man überlegt kurz, und dann fällt einem ein, dass man im Beisein des Handys exakt ein Mal "Tarantel" gesagt und sich dabei - das aber nur nebenbei - gewünscht hat, dass ein Bekannter in eine Grube mit diesen Tieren fallen möge. Es ist gruselig, und es ist auch ein bisschen lächerlich: Die Tech-Branche hat also ein Wort aufgeschnappt, und dem Algorithmus fällt ganz offenbar nichts Besseres ein, als daraus eine Werbeanzeige zu basteln. Für eine Spinne als Haustier für einen, der eine beinahe panische Angst vor den achtbeinigen Krabblern hat.

Klar, maschinelles Lernen wird sich mit der Zeit verbessern, und das führt zur Restaurantkette Pizza Hut. Deren Chef-Analyst Tristan Burns sagte jüngst auf der Tech-Konferenz Transform, dass sein Unternehmen derzeit mit maschinellem Lernen experimentiere und dabei lernen wolle, wie er sagte: "Wer die Kunden sind, wo auf der Welt sie sich gerade befinden, wie das Wetter dort ist." Moment mal, und darüber wird in den USA debattiert und auch ein bisschen geschmunzelt: Pizza Hut will den Kunden anhand der Wettervorhersage individuelle Angebote machen? Also "Veggie Lover" bei Sonnenschein, "Backyard BBQ Chicken" bei Regen und die Hühnchen-Bacon-Parmesan-mit-Käse-im-Rand-Variante bei Hagel? Ja, könnte vielleicht sein, in Wirklichkeit geht es aber um die Bedingungen beim Liefern. Was ein Auto ohne Fahrer nämlich zum Beispiel gar nicht mag: Wolken oder gar Regen.

Es ist spannend, was in der Live-Liefer-Branche passiert, deren digitaler Pionier Pizza Hut gewesen ist; bereits 1994 konnten Kunden in Kalifornien Pizza im Internet bestellen - und mal ehrlich: Wer ein Jahr lang sein Essen per Telefon ordert und nicht durchdreht, darf im buddhistischen Sinn als erleuchtet gelten. Die Branche ist gewachsen, während der Covid-Pandemie beinahe exponentiell, in diesem Jahr sollen weltweit 127 Milliarden Dollar umgesetzt werden, und wo so viel Geld unterwegs ist, da ist die Tech-Branche hellwach.

Pizza-Hut-Konkurrent Domino's bezeichnete sich selbst schon im Jahr 2014 als "Tech-Konzern, der zufällig Pizza verkauft"; Pizza Hut setzte da noch auf Outsourcing und kooperierte mit dem Liefer-Vermittler Grubhub. Seit 2015 können Kunden bei Domino's ihre Pizza überallhin liefern lassen, also zum Beispiel auch in Parks oder an den Strand. 2016 lieferte die Firma zwei Pizzen (eine Peri-Peri Chicken Pizza und eine Chicken and Cranberry Pizza - es schien die Sonne) per Drohne.

In einem Reklamefilm zeigt Pizza Hut nun, wie sie sich die Zukunft vorstellen: Ein Auto des Start-ups Nuro (das mit der Supermarktkette Walmart und dem Apotheken-Drogerie-Konzern CVS kooperiert) fährt ohne Pilot zu einer Filiale, ein Mitarbeiter platziert die bestellten Sachen in eine Art Warmhalteofen an der Seite des Fahrzeugs, und dann trotzt der R2 (ein sicherlich absichtlicher Hinweis auf den Star-Wars-Roboter R2-D2) einigen Gefahren des Straßenverkehrs, findet im Stau die schnellerer Route und bringt dem Kunden eine knusprige, heiße Pizza. Auf den Straßen von Houston sind bereits ein paar dieser R2-Fahrzeuge im Testeinsatz.

Es könnte eine Revolution sein

"Es gibt noch viel zu lernen", sagt Dominos-Digitalchef Dennis Maloney: "Aber es könnte eine Revolution sein." Wer davon träumt, dass ein Auto irgendwann Menschen ohne Pilot von A nach B (und zwar den kompletten Weg) transportiert, der sollte die Lieferbranche aufmerksam verfolgen. Experten glauben, dass die früher dran sein wird als andere Industriezweige, weil sie Dinge statt Menschen transportiert. Bleibt also nur noch eines zu tun für die Kunden und die lernenden Maschinen: Wenn keiner mehr "Pizza" und "Ananas" im gleichen Atemzug sagt, könnte der Algorithmus das schlimmste Verbrechen an südländischen Geschmacksnerven beenden und diese unsägliche Hawaii-Pizza endlich aussterben lassen. Es wird dann allenfalls eine mit Tarantelbeinen geben.

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