Liechtenstein-Affäre:Eine Frau, die gerne überrascht

Wenn Margrit Lichtinghagen vor der Tür steht, wird es eng für Steuersünder. Die Juristin, die nun 700 Fälle verfolgt, gilt als äußerst unerschrocken.

Hans Leyendecker und Johannes Nitschmann

Als Klaus Zumwinkel vorigen Donnerstagmittag seine Villa in Köln-Marienburg verließ, drängelten und schubsten sich draußen Fotografen und Kameramänner, um das beste Bild zu bekommen. Das Foto hat sich eingebrannt, ist zum Symbol einer Affäre geworden, die in hohen Wellen durch die Republik läuft, und niemand weiß, wen die Wogen noch verschlingen werden.

Liechtenstein-Affäre: Klaus Zumwinkel (li.), Hanns W. Feigen und Margrit Lichtinghagen

Klaus Zumwinkel (li.), Hanns W. Feigen und Margrit Lichtinghagen

(Foto: Foto: ddp)

Vorne schreitet sein Anwalt Hanns W. Feigen, ein Profi, dem im Berufsleben wenig Menschliches fremd geblieben ist. Hinter ihm geht der Multimillionär, der so gierig sein soll, aber vielleicht doch nur von kleinlichem Geiz war. Aber wer, rechts neben ihm, ist die Frau mit der braunen Jacke und dem beigefarbenen Schal, die angesichts der Menge den Kopf gesenkt hält? In den Angaben der Fotoagenturen wird sie als "Frau Zumwinkel" ausgewiesen. Doch die sieht ganz anders aus.

Die Frau auf den Fotos heißt Margrit Lichtinghagen und ist Staatsanwältin von Beruf. Kaum ein Normalbürger hatte, bevor es losging, je von der Bochumer Strafverfolgerin gehört. Nur Experten, die sich mit den Abgründen der Wirtschaftskriminalität beschäftigen, kannten ihren Namen. Jetzt ist sie plötzlich eine öffentliche Person, ja, eine Berühmtheit. Für den einen, den zur Zeit größeren Teil der Republik, ist sie zu einer Art moralischen Stellvertreterin geworden, die es "denen da oben" zeigt. Eine Rächerin, die klar macht, dass Recht und Gesetz auch für die Großen gelten.

Für die anderen, eine zur Zeit kleine Minderheit, verkörpert sie die entfesselte Staatsmacht, die sich wie die letzte Bastion vor dem Weltuntergang aufführt und die angeblichen Leistungsträger, die Cleverles, vorführt.

Platt, aber zufrieden

Frau Lichtinghagen, Jahrgang 1954, Mutter von zwei Töchtern, gehört seit dem 27. September 1993 der aus 42 Beamten bestehenden Schwerpunktabteilung 35 für Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität der Bochumer Staatsanwaltschaft an. Sie ist die Dezernentin des Liechtenstein-Verfahrens, das derzeit von sechs weiteren Staatsanwälten bundesweit betrieben wird.

Seit Montag schnürt sie durch Bayern. Zusammen mit anderen Ermittlern hat sie ihr Quartier in einem Münchner Hotel aufgeschlagen, und wenn die Einheimischen ihr zuhören könnten, würde mancher sie nicht sofort verstehen: "Ich habe die Ohren ab", sagt sie gern. Das heißt übersetzt: Sie ist platt, aber zufrieden.

Die Dame, die sich gerne schwarz kleidet, hat wieder die Truppe um sich, mit der sie schon so viele Schlachten geführt hat: die Aufräumer. Das sind die Beamten vom KR 23, dem Wirtschaftsdezernat der Kriminalpolizei Essen, mit denen Lichtinghagen in den vergangenen Jahren schon oft in aller Herrgottsfrüh losgefahren ist, um irgendwo in der Republik zuzuschlagen.

Das sind 38 Steuerfahnder aus Düsseldorf, Bonn, Köln, Essen, Aachen, die Frau Lichtinghagen außerordentlich schätzen. Sie war zu Beginn ihrer Karriere Sachgebietsleiterin bei der Steuerfahndung Essen, hat dann Aufbaukurse bei der Oberfinanzdirektion Düsseldorf belegt und kennt folglich die Tricks.

Mancher Steuerfahnder verehrt sie heimlich sogar ein bisschen, weil sie unerschrocken ist und keine Angst vor großen Namen hat. Strafverteidiger hingegen beklagen bei der Bochumer Staatsanwaltschaft "eine Mentalität von Großwildjägern".

Die dortigen Fahnder rückten gerne mit Haftbefehlen aus, um das Schweigen der Beschuldigten zu brechen. Für Lichtinghagen ist der Vorwurf der Erzwingungshaft "völliger Unsinn". Jeder Ermittlungsrichter verlange bei einem Antrag auf Haftbefehl triftige Gründe für Flucht- und Verdunkelungsgefahr. "Das ist nicht unsere Entscheidung."

Die Steuerzentrale der Liechtenstein-Fahnder wurde in Wuppertal im sechsten Stock des dortigen Finanzamts eingerichtet, nahe am Barmer Bahnhof. Leiter der dortigen Steuerfahndung ist ein 58 Jahre alter Westfale, der die Worte kaut, aber außerordentlich tüchtig ist.

Die Steuerermittlungen in Sachen Dresdner Bank beispielsweise sind mit seinem Namen verbunden, aber er möchte nicht genannt werden. Er hatte die Kontakte zu dem Unbekannten, der die DVD in Liechtenstein fipste, er traf sich mit den Geheimen des Bundesnachrichtendienstes.

Eine Frau, die gerne überrascht

Seit August vergangenen Jahres saß er mit 41 Kollegen an der Geschichte, und als es darum ging, eine Staatsanwaltschaft für den Fall zu gewinnen, war klar, dass die DVD nach Bochum kommen würde. Im Herbst wurde Frau Lichtinghagen eingeschaltet, im Dezember begann sie mit der Aufarbeitung der etwa 700 Fälle. In ihren Akten findet sich kein Hinweis auf den BND.

Der Chef der Wuppertaler Steuerfahnder, so lautet jedenfalls die offizielle Version, soll ihr nur gesagt haben, der Datenträger sei "auf dem Wege der Amtshilfe beschafft" worden.

In den Akten des zuständigen Bochumer Ermittlungsrichters, der etwa 900 Durchsuchungsbeschlüsse und auch Haftbefehle in dem Liechtenstein-Verfahren unterschrieben hat, findet sich ebenfalls kein Hinweis auf den BND; auch in seinen Dokumenten ist nur von "Amtshilfe" die Rede.

Aber für die Fahnder ist es nicht entscheidend, ob es der BND war oder nicht. Hilfe in Steuerverfahren kommt in der Regel von gehörnten Ehefrauen, die ihren untreuen Männern die Kontounterlagen entwenden und an die Steuerbeamten schicken. Moralisch betrachtet, ist das auch nicht die feine Art. "Aber wer redet da von Hehlerei?", hat Frau Lichtinghagen dieser Tage in einer Runde von Vertrauten gesagt.

Sie hält Steuerhinterzieher für Leute, die das Gemeinwohl schädigen, und besonders erbittert es sie, wenn ein Fürstentum Beihilfe zur Gemeinwohlschädigung leistet. Die Feste Liechtenstein ist ihr vertraut. Sie hat mit vielen der Steuerfahnder, die sie nun wieder um sich hat, in den vergangenen Jahren mehr als 100 Verfahren gegen die Klienten des berühmten Liechtensteiner Treuhänders Professor Dr. Dr. Herbert Batliner geführt, der ein guter Bekannter des Altkanzlers Helmut Kohl ist.

Auf Batliners Kundenliste standen Namen wie der des Milliardärs Friedrich Karl Flick, der ehemaligen persischen Kaiserin Soraya oder des Springreiters Paul Schockemöhle. Mehr als 80 Millionen Euro mussten die Hinterzieher an Steuern, Strafen und Geldbußen zahlen. Dieses Verfahren war, ökonomisch und moralisch betrachtet, ein großer Erfolg.

Das neue Verfahren ist erst in Umrissen erkennbar. Mindestens 700 Beschuldigte sind im Visier der Ermittler. In dieser Woche liefen Ermittlungen im Ruhrgebiet sowie in Hamburg, Frankfurt, Stuttgart und im Großraum München. In etwa 70 Verfahren werden in dieser Woche durchsucht.

Ursprünglich war eine Marge von 100 bis 125 Verfahren angepeilt worden, doch "diese Schlagzahl", sagt ein Ermittler, "ist nicht zu halten". Die Beweislage ist weit komfortabler als im Batliner-Komplex. Die Stiftungsdaten reichen diesmal in vielen Fällen von der Einzahlung in den achtziger und neunziger Jahren bis zu den letzten Zinserträgen im Jahr 2005.

Im Batliner-Verfahren wurden nur die Namen der Stiftungshalter geknackt, aber ohne konkrete Summen und Anlagezeiträume. Damals waren die Beamten in vielen Fällen auf die Mitwirkung der Beschuldigten angewiesen - das sind sie diesmal nicht. Bei den meisten der von Frau Lichtinghagen und ihren Leuten heimgesuchten Steuersünder handelt es sich nach den Feststellungen der Fahnder um Angehörige des gehobenen Mittelstands. Was das genau ist, darüber streiten die Soziologen. Fest steht nur, dass es keine Multimillionäre sind.

Warum verschiebt jemand, der viele Millionen hat, sein Geld nach Liechtenstein und protzt nicht? Bei Zumwinkel waren die Fahnder über die doch bescheidene Einrichtung erstaunt. Das erinnerte an einen alten Lichtinghagen-Fall, als die Fahnder bei einer Frau vorbeischauten, die in einer wirklich billigen Mietwohnung hauste und 18 Millionen Euro in der Alpenrepublik gebunkert hatte.

Das Strafrecht, innig geliebt

Aufschlussreich waren in den vergangenen Tagen die Besuche in Bankhäusern wie Metzler (Frankfurt und München), Hauck und Aufhäuser (München und Frankfurt), der UBS-Bank (München), bei Berenberg (Hamburg) und bei der Dresdner Bank in München.

Gegen die Verantwortlichen der Geldhäuser wird nicht ermittelt, aber die Bochumer haben den Verdacht, dass in einigen dieser feinen Häuser auch die bei der vornehmen Fürstenbank gegründeten Familienstiftungen verwaltet wurden. Auch sollen Sachbearbeiter gezielt in Sachen Liechtenstein-Stiftungen beraten haben. In einigen der Banken-Fälle wurde auch Geld unter Codewörtern auf die Liechtenstein-Stiftung überwiesen.

Pro Bank entdeckten die Ermittler im Schnitt zehn verdächtige Stiftungen, mal mehr, mal weniger, aber in jedem der Fälle geht es um hohe Millionenbeträge. Steuerhinterziehung mit Beihilfe Liechtensteiner Banken und Treuhänder hat es in der Republik zu allen Zeiten gegeben, aber es ist wie bei der Korruption: Im Zeitalter der Maßlosigkeit werden die Summen immer größer.

An ihren ersten großen Fall kann sich die Staatsanwältin, die schon an der Uni Bochum als Studentin das "Strafrecht heiß und innig lieben lernte", noch gut erinnern. Das war 1993. Ein "gescheiterter Jurist", der mit Versicherungs- und Immobiliengeschäften Millionenbetrügereien begangen hatte. Es folgten Großverfahren gegen Veba-Manager wegen Untreue, Verfahren gegen Produktpiraterie bei Microsoft, Korruptionsverfahren gegen Bauträger und Baulöwen und eben das Liechtenstein-Verfahren I mit dem hochdekorierten Kommerzienrat Batliner und den vielen deutschen Verdienstkreuzträgern, die den Staat betrogen haben.

Wer in diesem Sumpf gräbt, stößt ständig auf Leute, die moralisch gespalten sein müssen. Sie predigen Anstand, Ritterlichkeit, Ehrlichkeit und greifen doch nur gemein ab. Sind sie belehrbar? Vermutlich nicht. Im 13.Stock der Bochumer Schwerpunktabteilung, wo Frau Lichtinghagen sonst in einem mit Akten zugewachsenen Zimmerchen arbeitet, liegt der Abschiedsbrief des kranken Batliner an seine Kunden: "Zu wissen, dass ethische und moralische Grundsätze das größte Gut in meiner Berufsauffassung waren, erfüllt mich mit berechtigtem Stolz für das Geleistete und Erreichte."

Leeres Pathos überall. Solches Gedröhne ist schwer zu ertragen. Kann das Strafrecht andere, echte Leitbilder schaffen? Auf einer Tagung des Düsseldorfer Justizministeriums vorigen Freitag in Bensberg bei Köln, an der auch Generalbundesanwältin Monika Harms und der für Bochum zuständige Generalstaatsanwalt Manfred Proyer teilnahmen, waren sich die Teilnehmer einig, dass Strafrecht nur Ultima Ratio sein könne, mehr nicht. Wörtlich heißt das: die letzte Vernunft, der letzte Ausweg, das letzte Mittel. Friedrich II. von Preußen benützte die Inschrift für seine Kanonen, Kardinal Richelieu angeblich auch.

Eine Frau, die gerne überrascht

Schießt die Staatsanwaltschaft jetzt mit Kanonen? Sie ist oft die Kavallerie der Justiz genannt worden, und in ihrer Lust am stürmischen Angriff ist sie auch die Partei des überall und in jedem Fall angegriffenen Staates. Der frühere Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier, der in jener berühmten Panzeraffäre ermittelte, die mit dem Namen des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber verbunden ist, und der dann, resigniert, auf einen Posten als Richter wechselte, hat voll bitteren Humors folgende Grundregeln für den Alltag des "idealen Staatsanwalts" empfohlen: "Die Bestechung, da oben - interessiert mich nicht; die Weisung des Vorgesetzten - stört mich nicht; die Einflussnahme von oben - irritiert mich nicht; der Ladendiebstahl ist strafbar - nicht?"

Über den Strafrechtsanspruch des Staates entscheidet in dieser Republik nicht selten die Postleitzahl, aber es gibt auch viele Staatsanwaltschaften, die sich an dem Spiel, "die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen", nicht beteiligen. Interessanterweise sind es heutzutage oft Frauen, die als unerbittlich gelten. Das Siemens-Verfahren wurde von der Münchner Oberstaatsanwältin Regina Sieh auf den Weg gebracht. In der Antikorruptionsabteilung der Münchner StaatsanwaltschaftI arbeiten acht Staatsanwältinnen und vier Staatsanwälte. Die Chefin ist, natürlich, eine Frau.

"Wir behandeln alle gleich"

Das führt in der Männerwelt zu Irritationen. Bei einem Partytalk für Entscheider und Geldadel im historischen Düsseldorfer Ständehaus, dem ehemaligen Landtagsgebäude, plauderte am Montagabend Fernsehmoderator Frank Plasberg mit Bundesumweltminister Siegmar Gabriel (SPD) über dies und das und natürlich auch über den Fall Zumwinkel.

Der Moderator fragte zunächst den Minister, ob "wir" angesichts der öffentlichen Zumwinkel-Razzia "nach dem Schauprozess einen neuen Begriff, ,Schau-Ermittlungen' einführen" müssten. "Haben Sie mal die Staatsanwältin gesehen, die hat sich noch die Haare machen lassen, garantiert", sagte Plasberg. "Und haben Sie den feinen Schal von ihr gesehen?"

Was man so sagt - und über männliche Staatsanwälte nie sagen würde. Es ist eine seltsame Affäre, die da abläuft: Wie eine Geheimaktion wurde das Verfahren seit Januar vorbereitet. Die Akten lagerten im Safe, die Staatsanwältin übergab sie persönlich beim Ermittlungsrichter. Diese Vorgehensweise steht in seltsamem Widerspruch zu dem öffentlichen Radau um das Verfahren. "Furchtbar und grausam", sagt Staatsanwältin Lichtinghagen sei "der Medienauftrieb" gewesen.

Schadet der Rummel nicht dem Verfahren? Der kundige Dieter Ondracek, Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, befürchtete, die Hinterzieher seien gewarnt und könnten Unterlagen beiseite schaffen. Aus Sicht der Ermittler ist dies nicht wirklich das Problem.

Ihre Unterlagen reichen für die Verfahren, und die meisten Kunden sind ohnehin dem Rat der liechtensteinischen Banken gefolgt, nichts zu Hause aufzubewahren. Aber die Staatsanwaltschaft kann nicht auf Razzien verzichten, weil sie sich sonst dem Vorwurf der Strafvereitelung aussetzen und auf Zufallsfunde verzichten würde.

Während in früheren Liechtenstein-Verfahren allenfalls eine Bewährungs-strafe drohte, kann es diesmal in einigen Fällen zu Haftstrafen kommen. Die ungewöhnlich kompletten Unterlagen des BND-Helfers verraten jedenfalls viel über die kriminelle Energie, mit der manche Kunden ans Werk gingen.

Trotz aller Anfangserfolge wirkt Margrit Lichtinghagen nicht nur angespannt, sondern auch etwas angeschlagen. Wegen Indiskretionen, wie es sie bei der geplanten Razzia bei Zumwinkel gab, herrscht in einigen Behörden ein Klima des Misstrauens. Im Gespräch redet die Dame ihre Rolle klein: "Ich mache doch nur meine Arbeit. Wir behandeln alle gleich, ob Vorstandsvorsitzender oder Hilfsarbeiter."

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