Lidl in Frankreich:Streik in Stellvertretung

Das Tempo sei höllisch! Ein Lidl-Filialleiter in Frankreich findet, dass sein Team zu hart arbeiten muss. Nun wehrt er sich und geht für seine Mitarbeiter in den Streik.

Michael Kläsgen

Er habe alles getan, um die Arbeit zu erleichtern, sagt Jean-Marc Hubert, aber die Firmenleitung sei stur geblieben. Dann saß die Chefkassiererin in Tränen aufgelöst vor ihm. Einer aus dem Management habe sie vorher am Telefon zusammengestaucht. Und so raffte sich der Leiter der Lidl-Filiale im bretonischen Lamballe zu einer ungewöhnlichen Aktion auf: Der 54-Jährige, graumeliertes Haar, Brille, blauer Pullunder, kritzelte mit Filzstift auf ein Stück Pappe: "Kassierer, Chefkassierer, Filialleiter, alle nach Auffassung der Direktion unorganisiert, unfähig, faul. Wir bitten um Entschuldigung. Aber die Arbeitsbelastung ist unmenschlich." Hubert hängte sich das Schild um den Hals, setzte sich vor den Supermarkt - und trat in den Streik.

A general view shows the new Lidl supermarket in Kloten near Zurich

Laut dem streikenden Lidl-Filialleiter Jean-Marc Hubert sind seine Mitarbeiter auf dem Weg Richtung Zusammenbruch. Deshalb protestiert er gegen die "höllischen" Arbeitsbedingungen.

(Foto: REUTERS)

Inzwischen hat er in Frankreich eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er gilt als Patron, der für seine Mitarbeiter den Kopf hinhält. Er ist der Held, der die Moral auf seiner Seite hat, mit gewitzten Methoden fürs Gute kämpft. Es ist eine Geschichte ganz nach dem Geschmack der Gallier, die streng nach Asterix nichts fürchten. Außer dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.

Manche wie Hubert haben nicht mal Angst vor deutschen Arbeitgebern wie der Schwarz-Gruppe in Neckarsulm, zu der die Billigmarktkette Lidl gehört. Der Discounter zählt auch in Deutschland nicht eben zu den beliebtesten Arbeitgebern. Gewerkschafter sollen einen schweren Stand haben. Hubert gehört der christlichen CFTC an. Seinen Arbeitskampf führt er nun vom heimischen Wohnzimmer aus, per Telefon. Zwei Wochen ist er krankgeschrieben.

Zwar möge er seinen Arbeitgeber, erzählt er, wie es alle seine Mitarbeiter täten. Aber das Tempo sei in den vergangenen Jahren "höllisch" geworden. Seit 30 Jahren ist er dabei, seit 17 Jahren leitet er die Filiale in Lamballe. "Jetzt rennen wir nur noch den ganzen Tag. Und die Führung ist trotzdem unzufrieden."

Er führt das auf ein geändertes Geschäftsmodell der Kette zurück, die Marktführer unter den Discountern in Frankreich ist, noch vor Aldi. Lidl wolle vom Hard-Discounter zum Soft-Discounter werden, mit Markenartikeln und wechselndem Angebot. Zwei-, dreimal pro Woche werde nun neue Ware geliefert. Die Mitarbeiter müssten sie aus- und einräumen. Nebenher kassieren, putzen und Kunden beraten. Das alles in Teilzeit.

Lidl will sich bessern

Sieben Mitarbeiter hat er. Einem wurde gekündigt. Zwei arbeiten, obwohl sie es aus medizinischen Gründen eigentlich nicht dürften. Zu Sehnenscheidenentzündungen und Bandscheibenvorfällen komme der Stress. Jede Woche kontrolliere ein Aufseher unangemeldet, ob alles den Wünschen der Firmenleitung entspreche. Meist hagelt es Kritik.

Mehrere Selbstmorde in großen Konzernen schreckten das Land bereits auf. Arbeitsminister Xavier Bertrand versprach im Kampf gegen die Überbelastung nicht nachzulassen. Auch Lidl hat beschlossen, "sich noch intensiver mit Fragen der Personalführung auseinanderzusetzen", teilt Frankreich-Chef Pascal Tromp in einer schriftlichen Stellungnahme mit.

"Bei dem Vorfall in Lamballe handelt es sich um einen bedauerlichen Einzelfall, der keineswegs als Stimmungsbild für die Situation bei Lidl Frankreich gelten kann." Inzwischen sei man mit Hubert in einen Dialog eingetreten, "um die Situation aufzuarbeiten". Der streikende Filialleiter konnte das am Mittwochnachmittag nicht bestätigen.

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