Süddeutsche Zeitung

Lidl: Billigtextilien:Das verkaufte Gewissen

Die Textilien bei Lidl aus Bangladesch sind spottbillig. Doch Verbraucherschützer werfen dem Discounter vor, das Personal vor Ort werde ausgebeutet. Der Discounter sieht das laut Werbung anders.

Nicolas Richter

Die schöne, bunte Kinderwelt: Ein Mädchen im rosa T-Shirt, mit dem Teddy in der Hand; ihr Bruder daneben, im gleichen Aufzug, nur in Blau und mit Spiderman-Aufdruck. Beworben werden "coole Outfits für Kids", Anfang des Monats waren sie im Angebot beim Discounter Lidl. T-Shirt und kurze Hose im Paket kosten 4,99 Euro; Caprihosen oder Jeans 5,99 Euro; leichte Mädchenschuhe 4,99 Euro.

Ob Regenjacken für Kleinkinder, Strickjacken oder Sneakers für Damen - man findet wenig im Bekleidungsangebot von Lidl, das mehr kostet als zehn Euro. Und die Käufer sollen deswegen kein schlechtes Gewissen haben: Lidl, heißt es auf der eigenen Webseite, leiste einen Beitrag "zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern".

Speziell sei Lidl seit 2008 an einem Projekt beteiligt "zur Sicherstellung von sozialen Mindeststandards" bei mittlerweile 73 Produzenten in China und Bangladesch. Lidl kooperiere mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ); Ziel sei eine "vertrauensvolle" Kommunikation zwischen Managern und Arbeitern in den Betrieben.

Kaum bezahlte Mehrarbeit

Vor wenigen Wochen hat die Verbraucherzentrale Hamburg den Lidl-Konzern mit dem konfrontiert, was sich wirklich abspielt bei einigen Herstellern von Billigtextilien, die an dem Pilotprojekt teilnehmen.

Die Berliner Menschenrechtsorganisation ECCHR und das Netzwerk Clean Clothes Campaign hatten mehrere Lidl-Zulieferer in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, untersuchen lassen. Die Ergebnisse dieser Studie sind erschreckend: Die Angestellten, überwiegend Frauen, klagen darüber, dass sie regelmäßig und über Monate Überstunden leisten müssen; oft werde für diese Mehrarbeit kaum bis gar nichts gezahlt.

Die Gehälter entsprächen zwar meist den örtlichen Mindestlöhnen, also um die 30 Euro im Monat, dies reiche den Mitarbeitern zufolge aber oftmals nicht aus, um eine Familie zu ernähren.

Auch würden Mitarbeiter immer wieder mit Lohnabzügen bestraft, wenn sie sich weigerten, Überstunden zu leisten. In den untersuchten Betrieben dürften sich die Arbeiter nicht gewerkschaftlich organisieren.

Schlägertrupps

Wer es versuche, werde entlassen, an den Pranger gestellt oder müsse Schlägertrupps fürchten. Diskriminierung gehöre zum Alltag: gegen Schwangere, Kranke, ganz allgemein gegen Frauen.

In allen Firmen werde von sexuellen Belästigungen berichtet; Mädchen würden zum Teil gezwungen, sexuelle Beziehungen mit den Vorgesetzten einzugehen.

Nun tritt die Verbraucherzentrale Hamburg gegen Lidl an. Sie wirft dem Discounter vor, die Verbraucher zu täuschen. Die Werbung des Unternehmens sei irreführend und damit unlauter. Denn Lidl suggeriere, bestimmte Sozialstandards bei der Produktion sogenannter "Non-Food-Waren" einzuhalten. In Wahrheit aber würden diese Maßstäbe, wie die Untersuchung in Bangladesch belege, keineswegs beachtet.

Lidl entgegnet auf Anfrage der SZ, das Unternehmen sei sich "der Verantwortung bei der Herstellung seiner Waren bewusst" und lehne "Kinderarbeit oder Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in den Produktionsstätten ab".

Seit 2006 habe Lidl bei 7500 Untersuchungen die Arbeitsbedingungen seiner Zulieferer überprüft. Dazu kämen im Auftrag von Lidl 28.000 Untersuchungen durch externe Prüfinstitute, die sich speziell der Kinder- und Zwangsarbeit widmeten.

Doch im Detail muss Lidl einräumen, dass einige seiner Zulieferer nicht oder nicht immer die hohen Standards erreichen, um die sich der Konzern laut Eigendarstellung bemüht.

Beleidigungen und Misshandlungen

Auf Anfrage äußert sich Lidl zu mehreren Firmen aus Bangladesch, deren Arbeitsweise in der Studie kritisiert wurde. So erklärt Lidl zur Firma C. (der Name ist der Redaktion bekannt, wird aber zum Schutz der Näherinnen nicht genannt) in Dhaka, ein Importeur habe Lidl Anfang 2009 diesen Hersteller vorgeschlagen.

Lidl habe daraufhin das unabhängige Prüfinstitut SGS Fresenius damit beauftragt, die Arbeitsumstände bei C. zu untersuchen.

Die Kontrolle am 17. Mai 2009 habe "notwendige Verbesserungsmaßnahmen in den Bereichen Management Practice, Entlohnung und Arbeitssicherheit deutlich" gemacht. Am 22. Juli 2009 habe es die nächste, unangekündigte Kontrolle gegeben; alle Verbesserungen seien umgesetzt worden.

Drei Monate später aber berichtete ein Arbeiter der Fabrik C. für die Studie der Lidl-Kritiker, er habe allein in den beiden Wochen vom 6. bis zum 19. Oktober insgesamt 43 Überstunden geleistet. Andere Mitarbeiter erzählten, dass Überstunden aus Angst vor Bestrafung grundsätzlich nicht abgelehnt würden.

Wer sich weigere, müsse mit Beleidigungen und Misshandlungen rechnen. Vor allem Frauen würden bedroht; der Druck sei besonders massiv, wenn Liefertermine näherrückten. In der Studie heißt es, nach fünf Uhr nachmittags, nach Ende des achtstündigen Arbeitstags, dürfe niemand das Firmengelände ohne Zustimmung des Managements verlassen.

Lidl erklärte der SZ, man habe die Firma C. im März 2010 unangekündigt überprüft und die in der Studie erwähnten Sachverhalte untersucht. In der Tat seien die von der Firma C. im Juli 2009 zugesagten Verbesserungen "bedauerlicherweise" nicht eingetreten.

Zivilklage gegen Lidl

C. habe nun drei Monate Zeit bis zur nächsten Kontrolle. Allgemein offenbaren die Antworten des Discounters, dass Lidl seine Zulieferer nur sehr punktuell überprüft und die "Audits" nicht mehr als einen Tag dauern. Fraglich ist, wer dabei Missstände offenlegen soll: Die Arbeiter müssen mit Strafen oder Entlassung rechnen, wenn sie sich beschweren, erst recht gegenüber Außenstehenden.

Schon die Verfasser der kritischen Studie mussten beharrlich um das Vertrauen der Arbeiter werben, bis diese bereit waren, über ihren Arbeitsalltag zu berichten.

Lidl betont, einige Kontrollen führten durchaus dazu, dass unzuverlässige Zulieferer aussortiert würden. In einer Firma habe man bei drei Kontrollen zwischen Ende 2007 und Ende 2008 keine deutliche Verbesserung festgestellt und deshalb den Produzenten "für eine weitere Geschäftsbeziehung zukünftig ausgeschlossen".

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat Lidl dazu aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben: Der Handelskonzern soll nicht mehr damit werben dürfen, seine Produkte seien sozialverträglich hergestellt worden. Lidl bestreitet einen Wettbewerbsverstoß. Die Sache soll nun gerichtlich geklärt werden. Die Verbraucherzentrale hat am Dienstag eine Zivilklage beim Landgericht Heilbronn eingereicht.

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Quelle:
SZ vom 08.04.2010/pak/odg
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