Letzter deutscher Skihersteller Völkl:Tüfteln in einer wetterfühligen Branche

Skihersteller Völkl - Produktion

In den Achtzigerjahren gingen weltweit noch mehr als zehn Millionen Paar Skier pro Saison über den Ladentisch, zurzeit sind es gut drei Millionen. Das bekommt auch der Straubinger Hersteller Völkl zu spüren. 

(Foto: dpa/dpaweb)

20 Grad plus an Weihnachten. Wer denkt da ans Skifahren? Bei der Straubinger Firma geht es seit 90 Jahren um nichts anderes. Bretter biegen, leimen, ausprobieren - ein Besuch beim letzten großen Hersteller Deutschlands

Von Alexander Mühlauer, Straubing

Es ist fast Mitternacht, als Otto Scheck in der Straubinger Heerstraße ankommt. Von München ist er mit seinem Kastenwagen nach Niederbayern gefahren, um einzukaufen. Schon am Vormittag ist Schnee gefallen, am Abend liegt er noch, was die Fahrt beschwerlich macht. In der Heerstraße wartet Franz Völkl gespannt auf den Besucher. Was wird er sagen? Und wie viel wird er zahlen?

Otto Scheck muss nicht viel sagen: Die Skier aus Straubing sind begehrt, die Bretter verkaufen sich blendend bei Sport Scheck am Münchner Färbergraben. Franz Völkl bekommt eine Tüte voller Scheine; Scheck packt 100 Skier in seinen Kastenwagen und fährt noch in der Nacht zurück. Das Geld schließt Irmgard, die Frau von Franz, in einen Tresor. Sie ist es, die auf die Finanzen der kleinen Firma achtet.

Wenn Irmgard Völkl, 83, schmales Gesicht, wacher Blick, an diesen Abend zurückdenkt, muss sie lachen: "Mei, ich war die Finanzministerin. Den Franz hat das Geld nicht so interessiert, wichtig war ihm nur eins: der Ski." Gemeinsam mit Franz lebt sie noch heute in Straubing, gleich neben der alten Skifabrik. Dem 86-Jährigen geht es nicht schlecht, aber an manchen Tagen lässt ihn der Geist im Stich. "Es fällt dem Franz schon schwer, sich länger zu konzentrieren", sagt sein jüngerer Bruder Erwin, 78.

"Franz" und "Erwin", so heißen heute zwei Pullover, die man im Skikatalog von Völkl bestellen kann. Die Firma aus Straubing ist stolz auf ihre Geschichte, vor allem auf Franz, den Tüftler und Tester. Nächstes Jahr feiert das Unternehmen sein 90. Jubiläum. Zu der Feier wird es Bierkrüge geben, auf denen in Großbuchstaben ein Versprechen steht: "Made in Germany", darunter ein gekreuztes Paar Skier.

Die Straubinger zerrissen sich das Maul: "Jetzt spinnt er, der Völkl"

Ganz am Anfang, Ende des 19. Jahrhunderts, hatte Völkl mit Skiern noch nichts zu tun. Die Firma war eine Wagnerei, sie baute hölzerne Räder und Wagen. Der Vater von Franz und Erwin begann nach dem Ersten Weltkrieg damit, Skier herzustellen. Skifahren als Sportart kannte in Niederbayern kaum jemand. Kein Wunder, dass sich die Straubinger das Maul zerrissen: "Jetzt spinnt er, der Völkl."

Als Franz 1926 geboren wurde, waren Skier noch aus Vollholz. Man dämpfte die Bretter im Dampfkessel und bog sie über einer Holzform. In einem Schuppen lagerten sie zum Trocknen. Eine Zeit lang hielten sie die Form, irgendwann bogen sie sich aber wieder zurück. Mit zehn Jahren musste Franz in den Dampfkessel schlüpfen und die Bretter herausziehen. Als Schutz gegen die Hitze setzte ihm sein Vater einen Hut auf und gab ihm einen Pelzmantel. "Das war kein besonderes Gefühl", erzählte er einmal, "das hab ich tun müssen." Die Werkstatt hatte damals 90 Quadratmeter, sie war so klein, dass sich die Mitarbeiter kaum umdrehen konnten. Franz Völkl wollte, dass jeder ein Paar Ski haben konnte. Wer nicht genug Geld hatte, konnte mit Eiern bezahlen: 20 Eier für ein Paar Ski, so war das in den Fünfzigerjahren.

Richtig gut lief das Geschäft dann, als Franz Völkl damit begann, Skier zu verleimen. Dazu brauchte er kein Vollholz mehr, es genügten Abfälle und kleine Stücke. Die Technik hatte Franz in Stuttgart gelernt, dort gab es eine Fabrik, die einst Skier für die Wehrmacht hergestellt hatte.

Bruder Erwin beschreibt Franz Völkl als zurückhaltend und anspruchslos: "Er war kein Angeber." Franz habe sich nur mit dem Ski beschäftigt, er sei ein richtiger Tüftler gewesen. Sogar im Sommer sei er auf den Gletscher gefahren, um Skier zu testen. Zwei, drei Mal fuhr er dann den Hang hinab - und wusste, was an den Brettern nicht stimmt, was geändert werden muss. "Urlaub machten wir immer im Skigebiet, in der Nähe des Lifts", erzählt Irmgard Völkl. Und Erwin Völkl sagt: "Manchmal hab ich gedacht: Der Ski ist ihm wichtiger als seine Frau."

"Ein Preiß" hat die Firma gerettet

Als Franz Völkl in den Achtzigerjahren begann, Skier nach Amerika zu verkaufen, lief das Geschäft zunächst sehr gut. Irgendwann war ein Importeur zu wenig, die Familie versuchte, Franz zu überzeugen, dass es mehr Leute für die Vermarktung brauchte als nur den einen Freund in den USA. Aber Franz wollte dem Bekannten das Geschäft nicht wegnehmen. "Der Franz ist ein sozialer Mensch, vielleicht war er zu sozial", sagt Bruder Erwin. So war es wohl auch in den Neunzigerjahren, als die Firma Völkl kurz vor der Pleite stand, es ging um 400 Arbeitsplätze in Straubing, das 45.000 Einwohner hat. Nach mehreren milden Wintern mit schlechten Einnahmen musste Franz Völkl sein Unternehmen 1992 an Investoren verkaufen.

Es war 1996, als ein Mann aus Recklinghausen nach Straubing kam. "Der Preiß", wie Erwin heute sagt, "der hat die Firma gerettet." Der "Preuße" heißt Christoph Bronder, 51, und ist seit 16 Jahren Chef von Völkl. Er erinnert sich noch gut: "1996 standen wir hier in Straubing und fragten uns: Was machen wir jetzt? Völkl war international nicht angesagt, das Image war angestaubt, die Produktion veraltet." Mittlerweile gehört Völkl zum amerikanischen Großkonzern Jarden, wie auch die Marke Campingaz und Nuk, ein Hersteller von Trinkflaschen für Babys und Kleinkinder.

So gut Erwin Völkl heute über Bronder spricht, so schwierig war es 2005. Bronder drohte, die Produktion nach China zu verlagern, wenn die Belegschaft nicht auf Gehalt verzichtet. Dort stellte das Unternehmen bereits Skier für Kinder und Snowboards her. Um 20 Prozent wollte Bronder die Kosten senken. Anderthalb Jahre stritten Management und Gewerkschaft. Bronder setzte sich durch. Noch immer arbeiten die Angestellten 39,5 statt 38 Stunden in der Woche und verzichten auf Lohn - die Firma hat einen Haustarifvertrag mit den Mitarbeitern geschlossen.

Einfacher wird es nicht. Außer, in China wird Skifahren zur Volkssportart

Kann man es sich heute also noch leisten, in Deutschland zu produzieren? Ja, sagt Bronder, Völkl sei profitabel. Genaue Zahlen nennt er nicht. Der wichtigste Treiber für das Geschäft ist ohnehin einer, den der Manager nicht beeinflussen kann: der Schnee. In der vergangenen Saison gab es für die Firma viel zu wenig davon. "Der gesamte Markt ist zweistellig zurückgegangen, es hat einfach viel zu spät geschneit", sagt Bronder. Dazu kommt, dass sich Skifahrer immer häufiger rechtfertigen müssen für das, was sie tun, für Skipisten mit Schneekanonen, die der Umwelt schaden. Zumindest denken viele darüber nach. Auch das ist einer der Gründe, warum immer weniger Skier gekauft werden. In den Achtzigerjahren gingen weltweit noch mehr als zehn Millionen Paar Skier pro Saison über den Ladentisch, zurzeit sind es gut drei Millionen.

Christoph Bronder gibt sich trotzdem gelassen. Es ist eben eine wetterfühlige Branche, in der er da arbeitet. In dieser Saison sah es anfangs gut aus: In Bayern schneite es bereits im Oktober. Und jetzt? 20 Grad plus an Weihnachten. An solchen Tagen reicht es auch nicht, dass es Pullover gibt, die "Franz" und "Erwin" heißen. Wer kauft bei diesem milden Winter Skier? Kein Wunder, dass immer mehr Menschen für die paar Tage, an denen sie Ski fahren, die Bretter ausleihen.

Sie haben es nicht leicht bei der Firma Völkl. Und einfacher wird es nicht, außer die Chinesen erklärten Skifahren plötzlich zur Volkssportart. Immerhin: "Die Skilehrer-Ausbildung läuft dort auf Hochtouren", sagt Erwin Völkl. Ansonsten gibt es in Straubing die Hoffnung, dass es bald wieder kälter wird und der Schnee die Menschen auf die Piste lockt - mit Brettern, die für viele noch immer die Welt bedeuten.

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