Letzte Stunden vor Staatspleite Argentiniens:Endspiel in Manhattan

People walk past a poster placed on an advertising board that reads 'Yesterday, Braden or Peron - Today: Griesa or Cristina', in Buenos

In Manhattan wird verhandelt, in Buenos Aires gebangt: Antiamerikanische Stimmung nutzte bereits der argentinische Präsident Péron für den Wahlkampfslogan "Braden oder Péron" - die Vorlage für das heutige "Griesa oder Cristina" in Anspielung auf den New Yorker Richter und die Präsidentin Argentiniens.

(Foto: Marcos Brindicci / Reuters)

Die Zeit läuft ab: Bis Mitternacht US-Ostküstenzeit muss Argentinien sich mit seinen Gläubigern einigen. Danach ist die Regierung formal pleite. In New York ringt Finanzminister Kicillof mit der Nemesis seines Landes.

Von Simone Boehringer

Und er kam doch. Am Dienstag tauchte überraschend der argentinische Wirtschaftsminister Axel Kicillof in New York auf. Er schlug mit einer Delegation von Experten im Büro von Daniel Pollack in Manhattan auf. Pollack ist der von der US-Justiz bestellte Schlichter, der doch noch versuchen soll, eine Staatspleite Argentiniens zu verhindern.

Viel Zeit bleibt den Herren nicht mehr. An diesem Mittwoch ist der letzte mögliche Verhandlungstag. Um Mitternacht New Yorker Zeit (deutsche Zeit: sechs Uhr am Donnerstagmorgen) läuft die Frist ab, bis zu der Argentinien laufende Zinsen über mehr als eine Milliarde US-Dollar an seine Gläubiger auszahlen muss. Sonst stellen internationale Ratingagenturen einen Zahlungsausfall fest, Ausfallversicherungen werden fällig - was heißt: Investoren verdienen, die gegen das Land spekulieren - und Argentinien bekommt keinerlei Mittel mehr. Die übrigen knapp 30 Milliarden Dollar an Devisenreserven, die das Land nach eigenen Angaben noch besitzt, reichen nicht lange, um die fälligen Verpflichtungen und laufende Ausgaben zu bestreiten.

"Streitpunkte bleiben ungelöst"

"Es sind die ersten direkten Gespräche zwischen den Parteien", sagte Schlichter Pollack vor wenigen Stunden, machte aber vorerst wenig Hoffnung: "Es gab einen offenen Austausch von Ansichten und Interessenslagen. Die Streitpunkte bleiben ungelöst." Die Verhandlungen sollen heute weitergeführt werden, in den letzten Stunden vor Ablauf der Frist.

Die Hedgefonds um den Milliardär Paul Singer verlangen ihr Geld. 1,5 Milliarden Dollar sollen die Regierung Cristina Kirchners ihnen bezahlen, für sogenannte Altanleihen, deren Kurse im Keller waren, als sie die Fonds für zweistellige Millionenbeträge erwarben. Sie gehörten damit zu jenen sieben Prozent der Investoren, die nicht auf frühere Tauschangebote Argentiniens eingingen, bei denen das Gros der Anleger auf zwei Drittel ihres Einsatzes verzichtete. Argentinien entschuldete sich zum Großteil auf deren Kosten.

Doch die Anleihen der Hedgefonds müssen nach jetzigem Stand voll ausbezahlt werden. Das hat ein New Yorker Gericht im September vergangenes Jahr verfügt, der oberste Gerichtshof Supreme Court hat eine Berufung der Argentinier dazu Mitte Juni abgelehnt. Kurz darauf hatte der verantwortliche US-Richter Thomas Griesa der Regierung Kirchner auch den Draht zu den anderen, kompromissbereiten Investoren abgeschnitten. Jenen, die verzichtet hatten, denen Kirchner versprochen hatte, ihre neuen Anleihen fristgerecht zu bezahlen. Griesa ließ bereits bereitgestelltes Geld Argentiniens bei der Bank of New York Mellon einfrieren. Am 30. Juni. Eine Verzugs- oder Gnadenfrist (grace period) von vier Wochen läuft an diesem Mittwoch aus.

Was noch möglich ist

Frühestens um 11 Uhr amerikanischer Zeit (17 Uhr in Deutschland) sollen die Verhandlungen fortgesetzt werden. "Nachdem die Verhandlungen weitergehen, kann ich keine Angaben zu Details machen." Damit verabschiedete sich Argentiniens Wirtschaftsminister Dienstag kurz nach 23 Uhr von der Öffentlichkeit. Die Nacht dürfte für ihn und seine Delegation kurz gewesen sein. Denn die Fronten sind verhärtet, Kiciloff hat nur noch diese eine Chance, den Zahlungsausfall abzuwenden. Seine Präsidentin ist zwar inzwischen dafür bekannt, dass sie mit einer Mischung aus Ignoranz, Hinhaltetaktik und selektiv angewiesenen Zahlungen wie zuletzt an Gläubigerstaaten des Pariser Clubs die Schuldenkrise einigermaßen im Griff hält. Mit ihrer harten Haltung gegen die von ihr als "Geierfonds" bezeichneten Hedgefonds kann sie zudem innenpolitisch derzeit gut für ihre Partei punkten. Im nächsten Jahr sind wieder Wahlen.

Sympathien helfen nicht mehr

Wer Argentinier kennt, weiß auch, wie demütigend es sein muss, ausgerechnet von amerikanischen Investoren und Richtern derart in die Enge getrieben zu werden. Seit Jahren ist das Land bemüht, sich gemeinsam mit anderen südamerikanischen Staaten vom mächtigen nördlichen Nachbarn zu emanzipieren. Eine Emanzipation, für die Argentinien in anderen Teilen der Welt durchaus Sympathie erntet. Sogar beim Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte man schon durchblicken lassen, dass man dem Vorgehen der Amerikaner nicht wirklich zustimmt.

Aber nun helfen Sympathien nicht mehr. Etwa zwölf Stunden bleiben Kicillof in New York, um einen Kompromiss mit den Gläubigern zu finden. Entweder die Hedgefonds verzichten vorerst freiwillig auf die Auszahlung oder andere Gläubiger bestehen nicht auf Gleichbehandlung, wie sie ihnen aber nach argentinischem Gesetz und einer mittlerweile berüchtigten Passage namens Rufo-Klausel in den restrukturierten Anleihen zustehen würde. Diese Auszahlung würde das klamme Land nach Angaben des argentinischen Außenministeriums von Ende Juni sofort 15 Milliarden Dollar und infolge erwarteter Klagen später mehr als 120 Milliarden Dollar kosten. Beträge, die für die auf eine wirtschaftliche Rezession zusteuernde Regierung derzeit nicht zu stemmen wären. Zumal ein abstürzender Peso und steigende Inflationsraten von geschätzt mittlerweile bis zu 30, 40 Prozent groß angelegte Sparprogramme und Steuererhöhungen derzeit unmöglich machen. Die aber bräuchte es, um alle Investoren voll auszubezahlen.

Die Rufo-Klausel gilt nur bis zum 31. Dezember. Wenn das Gericht das Urteil also bis Jahresende aussetzt, müsste die Regierung die Gläubiger umgeschuldeter Anleihentitel nicht gleichberechtigt ausbezahlen. Es wäre eine Lösung zu Lasten jener Anleger, die ohnehin schon verzichtsbereit sind. Aber es wäre auch eine Lösung, die die US-Gerichte nicht länger als Mitschuldigen an der Misere dastehen ließen. Allerdings mit gravierenden Folgen.

Es dürfte dann sehr schwer werden, überhaupt noch Investoren zu finden, die bereit sind, auf Umschuldungsangebote jeglicher Art einzugehen, warnen Insolvenzrechtler "Die Anleger werden Umstrukturierungen nicht mehr mitmachen, sondern versuchen, jeweils gerichtlich ihre eigenen Ansprüche durchzusetzen", prognostiziert etwa Christoph Paulus, Rechtsprofessor und Spezialist für Staatsinsolvenzen an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Die Börse reagiert cool

Weniger verzagt als die Politik zeigten sich zuletzt die Börsen im Fall Argentinien. So holte der maßgebliche Merval-Aktienindex am Dienstag zunächst mehr als sechs Prozent auf 8357 Punkte auf, nachdem er seit Mitte Juli elf Prozent eingebüßt hatte. Der Mittwochshandel beginnt am frühen Nachmittag europäischer Zeit. Und an den Anleihemärkten schnellten einige argentinische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen bis auf 94 Prozent des Nennwerts nach oben - nachdem sie jahrelang fast unverkäuflich gewesen waren. Ein Niveau, das einige langjährige Anleger auch in Deutschland nutzten, um 13 Jahre nach der letzten Staatspleite des südamerikanischen Landes das leidige Argentinien-Kapitel für sich ganz privat zu beenden. Sie verkauften ihre Anleihen endlich, berichten Anlegeranwälte.

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