Süddeutsche Zeitung

Leo Kirch ist tot:Der letzte Patriarch

Lesezeit: 3 min

Leo Kirch war Deutschlands mächtigster Medienunternehmer, ohne den das Fernsehen hierzulande kaum denkbar wäre. Ein geheimnisvoller, scheuer Mann. Ein Unternehmerleben geprägt von beispiellosem Erfolg und jähem Absturz. Neun Jahre nach dem Zusammenbruch seines Konzerns ist der Patriarch nun gestorben. Bis zuletzt kämpfte er um seine Unternehmerehre.

Lutz Knappmann

Kein Unternehmer hat die deutsche Medienlandschaft so geprägt wie er. Leo Kirch war der wohl mächtigste Mann der Branche, der Einzige, der den so oft gebrauchten Titel "Medienmogul" zu Recht trug. Ohne den geheimnisvollen Patriarchen aus München wäre das deutsche Fernsehen in seiner heutigen Form undenkbar. Pro Sieben Sat 1, der Bezahlfernsehanbieter Sky, zahllose Produktionsfirmen - sie alle gehen auf Kirchs Gründergeist zurück.

Bis heute kommt wohl kein europäischer Sender ohne Filme und Serien aus, die in Kirchs einstigen Archiven liegen. Bis heute arbeiten in den Führungsetagen vieler deutscher Medienfirmen Manager, die in Kirchs Konzern großgeworden sind. Eine "Generation Kirch", bei der die Fäden der Medienbranche zusammenlaufen.

Der fränkische Winzersohn, geboren 1926, hatte ein beispielloses Unternehmerleben. Geprägt von einem rasanten Aufstieg, einem ebenso dramatischen Absturz - und in den späten Jahren von vergeblichen Comebackversuchen und dem kompromisslosen Kampf um seine Unternehmerehre. Seine Mission hat Leo Kirch nie aufgegeben.

In die Medien zog es den BWL- und Mathematik-Studenten von Anfang an. Mitte der fünfziger Jahre gründete er seine erste Filmfirma Sirius. Es folgten zahllose weitere. Betafilm, Taurusfilm, schließlich die Kirch Holding - aus wenigen hundert Filmlizenzen, die der Gründer Anfangs vermarktete, wurde über die Jahre die größte Rechtebibliothek Europas mit weit mehr als 10.000 Titeln und rund 40.000 Stunden Serien.

Als Kirch am 1. Januar 1984 gemeinsam mit großen deutschen Printverlagen den Privatsender Sat 1 startete, stahl er nicht nur dem Rivalen RTL die Show, der erst einen Tag später auf Sendung ging. Der Unternehmer stand im Mittelpunkt des "medienpolitischen Urknalls", dem von der Politik forcierten Aufbau eines privaten Fernsehangebots - als Gegengewicht zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten.

In kurzer Folge wuchs das TV-Imperium: Pro Sieben, Kabel 1, der Spielsender Neun Live, der Nachrichtensender N 24, das DSF - fast alle diese Sender bestehen bis heute. Um sie herum schmiedete der Patriarch ein Unternehmensgeflecht, das alles verband: Produktion, Ausstrahlung, Vermarktung - das klassische Modell eines integrierten Medienkonzerns. Und bis heute das Gegengewicht zu Bertelsmanns RTL im deutschen Fernsehmarkt.

Kirch war stets ein einflussreicher Strippenzieher, der den öffentlichen Auftritt mied. Er pflegte enge Beziehungen in Wirtschft und Politik, zählte zu den Vertrauten von Franz Josef Strauß und Helmut Kohl - bei dessen zweiter Hochzeit 2008 er Treuzeuge war. Interviews gab er fast nie.

Seine große Niederlage, der Zusammenbruch seines Imperiums 2002, bahnte sich mit dem Einstieg ins Bezahlfernsehen an. Ende der achtziger Jahre hatte Kirch es als neues Geschäftsfeld entdeckt. Doch selbst mit Hilfe des US-Medienunternehmers Rupert Murdoch, den er 1996 ins Boot holte, konnte er den Sender DF1, aus dem später Premiere wurde und zuletzt Sky, nicht etablieren. Auch von teuren und exklusiven Sportübertragungen ließen sich die Zuschauer kaum überzeugen, für Fernsehen zu bezahlen.

Die Vermarktungsrechte an der Formel 1, die sich Kirch 2001 rund 1,75 Milliarden Euro kosten ließ, waren schließlich zu viel. Als Anfang des neuen Jahrtausends die New-Economy-Blase platzte und die gesamte Wirtschaft in die Krise stürzte, gingen Kirch und seinem 10.000-Mitarbeiter-Konzern das Geld aus. Kirch, der strenggläubige Katholik, fasste wenig später lapidar zusammen: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen."

Doch gleichgültig nahm er den Verlust seines Lebenswerks keineswegs hin. Er kämpfte, arbeitete diziplinert weiter, jeden Tag, bis zuletzt. Sein geplantes Comeback aber ging schief. Den Versuch, 2008 im Auftrag der Deutschen Fußball Liga die Übertragungsrechte der Bundesliga an Fernsehsender zu versteigern, stoppte das Kartellamt. Kirch zog sich zurück auf seine Beteiligung am Medienkonzern Constantin - einem jener zahlreichen Unternehmen, in denen das Erbe des Patriarchen weiterlebt.

In den vergangenen Jahren, Kirch war längst schwer gezeichnet von Diabetes und Herzproblemen, trieb ihn eine Mission weiter an: Gerechtigkeit. Seine Rehabilitierung als Unternehmer. Wieder und wieder verklagte er die Deutsche Bank und deren einstigen Vorstandssprecher Rolf Breuer. Der hatte in einem Interview Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Kirch-Konzerns geäußert - worin der Patriarch die Ursache für das Scheitern seines Lebenswerks sah.

Erst vor wenigen Wochen trat er noch einmal vor Gericht auf, um in Anwesenheit Breuers seinen Standpunkt zu vertreten - mit kaum mehr hörbarer Stimme. Wie das Urteil ausgeht, wird Leo Kirch nun nicht mehr erleben. Er starb am Donnerstag im Alter von 84 Jahren in München.

Ende März hat unser Redakteur Hans von der Hagen Leo Kirch bei seinem letzten öffentlichen Auftritt erlebt. Seine Eindrücke lesen Sie hier.

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