Leitzins:Das große Dilemma der US-Notenbank

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Hält Janet Yellen am Nullzins fest?

(Foto: AFP)
  • Zum ersten Mal seit Jahren könnte die US-Notenbank die Zinsen anheben.
  • Die Folgen einer Zinserhöhung sind nur schwer abschätzbar.

Analyse von Hans von der Hagen

Wenn Meteorologen anhaltende Änderungen beim Wetter ankündigen, dann sprechen sie von einer neuen Großwetterlage. Die Finanzmärkte bräuchten einen vergleichbaren Begriff, den aber gibt es nicht.

Darum kann man sich für das, was am heutigen Donnerstagabend passieren könnte, nur bei den Wetterfröschen anlehnen: Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) mit ihrer Chefin Janet Yellen ist drauf und dran, die Großwetterlage an den Finanzmärkten zu beeinflussen.

Der Schritt, den die Fed dafür tun müsste, ist so lächerlich klein, dass man kaum glauben mag, dass er solche Konsequenzen haben könnte. Sie muss nur die Leitzinsen geringfügig anheben, zum Beispiel um 0,25 Prozentpunkte. Selbst dieser kleine Schritt würde bereits signalisieren, dass die Zeit des billigen Geldes vorbei ist. Einer ersten Erhöhung dürften in den kommenden Monaten einige weitere Zinsschritte folgen. So jedenfalls hat es die US-Notenbank in ihrer Geschichte fast immer gemacht.

Zerstörtes Vertrauen

Für die Finanzwelt wäre das eine gewaltige Umstellung, bekommt sie doch seit Anfang 2009 ihr Geld praktisch zum Nulltarif. Als im September 2007 die Finanzkrise immer offensichtlicher wurde, hatte die US-Notenbank in rascher Folge die Leitzinsen von mehr als fünf Prozent auf knapp null Prozent gedrückt. Nur so, befand die Fed damals, könnte das zum Erliegen gekommene Geschäft zwischen den Banken wiederbelebt werden. Nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers war das Vertrauen der Banken untereinander zerstört.

Und nun? Wird die Fed-Chefin an diesem Donnerstag die Zinsen erhöhen? Keine Frage treibt die Menschen in der Finanzwelt derzeit mehr um. Angedeutet hatte Yellen eine mögliche Erhöhung bis spätestens Dezember. Und noch vor wenigen Wochen waren viele Marktteilnehmer sicher, dass eine Erhöhung auch tatsächlich kommen werde, denn der US-Wirtschaft geht es prächtig.

Die gesamte US-Wirtschaftsleistung, also das Bruttoinlandsprodukt (BIP), ist im zweiten Quartal 2015 auf das Jahr hochgerechnet um 3,7 Prozent gestiegen. Die Teuerung hat sich im August im Vergleich zum Vorjahr zwar lediglich um 0,2 Prozent erhöht; rechnet man freilich die Preise für Nahrungsmittel und die zuletzt deutlich gesunkenen Energiepreise heraus, lag die sogenannte Kerninflation deutlich höher bei 1,8 Prozent - mithin nur noch knapp unter der von der Fed angepeilten Rate von zwei Prozent.

Auch die Lage am Arbeitsmarkt ist gut. Die Arbeitslosenquote betrug im August 5,1 Prozent - aus US-Sicht ist das fast schon Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosenquote ist eine der wirtschaftlichen Kennziffern, die die Fed besonders beobachtet. Denn anders als die EZB, die sich offiziell nur um die Preisstabilität kümmern soll, hat die Fed den Auftrag, immer auch die wirtschaftliche Lage der USA im Blick zu behalten.

Doch in den vergangenen Wochen mischten sich wieder Zweifel in die zuversichtlichen Prognosen: Da gab es den hässlichen Einbruch am chinesischen Aktienmarkt, weil das Land das enorme Wachstumstempo nicht mehr halten kann. Oder den stark gesunkene Ölpreis, der viele Fördernationen in die Bredouille bringt, darunter Schwellenländer wie Brasilien. Von den anhaltenden Krisen in Griechenland und Spanien ganz zu schweigen.

Da stellt sich die Frage, ob es sich die Fed angesichts der fragilen Lage der Weltwirtschaft leisten kann, nur auf die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu schauen. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hatte auch gleich eine Antwort parat: Nein. Eindringlich warnte sie vor Zinserhöhungen in den USA.

Allein das Wort kann helfen

Die große Furcht ist: Wenn die Zinsen wieder zu steigen beginnen, wird Geld aus den Schwellenländern, aber auch aus Europa abfließen und in US-Dollar angelegt werden. Der Grund: Die Anlage in der US-Währung würde dann erstmals seit Jahren wieder Rendite versprechen.

Das würde nicht nur den vom Abfluss des Geldes betroffenen Ländern schwer zusetzen, sondern auch den Kurs des Dollar in die Höhe treiben. Die US-Wirtschaft wäre also durch höhere Zinsen und einen stärkeren Dollar gleich doppelt getroffen. Ein stärkerer Dollar macht US-Produkte im Ausland teurer und damit unattraktiver.

Ökonomen uneins

Für die Anleger ist das komplex - schon lange taten sie sich nicht mehr so schwer, die Position der Fed einzuschätzen. In einer Umfrage, die die Nachrichtenagentur Reuters unter Ökonomen machte, rechnet nun eine knappe Mehrheit mit gleichbleibenden Zinsen.

Die Unsicherheit ist umso ungewöhnlicher, als die US-Notenbank in den vergangenen Jahren die Transparenz ihrer Politik fortlaufend erhöht hat. So ist sie zunehmend berechenbarer geworden (hier eine Übersicht dazu). Früher handelte sie nach dem Prinzip: Unsicherheit stärkt das Risikobewusstsein: Wer nicht weiß, was passiert, bleibt vorsichtig. Plastisch formulierte das der früheren Notenbank-Chef Alan Greenspan: "Seit ich Notenbanker geworden bin, habe ich gelernt, in großer Zusammenhanglosigkeit zu murmeln. Wenn ich Ihnen über Gebühr klar erscheine, müssen Sie falsch verstanden haben, was ich gesagt habe."

Aber weil die Beobachter der US-Notenbank es dann doch lieben, jede noch so vage Spur zu deuten, argumentieren viele nun so: Gerade weil die Unsicherheit so ungewöhnlich groß ist, darf sie als Indiz dafür gewertet werden, dass vorerst nichts geschieht. Würden die Zinsen erhöht werden, hätte die Fed das viel entschlossener signalisiert.

Yellen weiß, dass eine Zinserhöhung deutlich machen würde, dass nach den Jahren der Krise wieder ein Stück Normalität eingekehrt ist. Dass die Wirtschaft soweit gesundet ist, dass sie eine Zinserhöhung verkraften kann.

Ihr ist auch bewusst, dass das bisher so billige Geld die Wirtschaft nicht nur stützt - sondern ihr auch schadet. Weil es so überreichlich vorhanden ist, jagen die Anleger mangels Zinsen für Guthaben überall nach Renditen: bei Aktien, bei Immobilien und bei Land. Das treibt die Preise enorm. Die Folgen tragen jene, die ihre Wohnung mieten müssen oder als Bauern auf Land angewiesen sind.

Wenn sie andererseits die Zinsen erhöht, riskiert sie den berüchtigten policy error, den geldpolitischen Irrtum. Schon in den vergangenen Jahren nahmen einige Notenbanken eine Zinserhöhung verschämt wieder zurück, weil sie die Wirtschaftsentwicklung falsch - nämlich zu positiv - eingeschätzt hatten (hier eine Übersicht dazu).

Tut sie hingegen nichts, entstünde der Eindruck, dass die Notenbank die Lage eben doch nicht mehr so positiv einschätzt - und mit ihren früheren Prognosen daneben lag.

Aus dem Dilemma kann sich Yellen nur lösen, indem sie in der Pressekonferenz nach Bekanntgabe der Entscheidung die richtigen Worte findet: Bei einem faktischen Stillhalten müsste sie zumindest verbal schon mal die Zinsen steigen lassen und so für eine gesunde Unruhe am Finanzmarkt sorgen. Umgekehrt stünde sie bei einer Zinsanhebung vor der Aufgabe, beruhigende Worte für die Finanzmärkte zu finden.

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