Anders arbeiten:New Work kann zu Selbstausbeutung führen

Anders arbeiten: Illustration: Jessy Asmus

Illustration: Jessy Asmus

Arbeit muss sich ändern, denn im Moment macht sie zu viele Menschen unglücklich. Doch all die neuen Arbeitsmodelle, die Mitarbeitenden Freiheiten geben, haben Schattenseiten.

Kommentar von Kathrin Werner

Anders arbeiten

Die SZ-Serie "Anders arbeiten" erklärt, was Sie zum Thema Arbeitswelt der Zukunft wissen müssen, und zeigt auf, welche Unternehmen mit ihren Ideen Erfolg haben - oder auch nicht. Alle Folgen finden Sie auf dieser Überblicksseite.

Der Begriff klingt ein bisschen angestaubt, so wie ein alter Walkman aus den frühen Neunzigerjahren, den man in irgendeiner Kiste wiedergefunden hat: Work-Life-Balance. Heutzutage ist der Gedanke dahinter ziemlich out: Die Balance zwischen Arbeit und Leben und damit auch die Abgrenzung zwischen dem Arbeitsmenschen zwischen neun und 17 Uhr und dem Freizeitmenschen davor und danach, am Wochenende und in den Ferien.

Der Modebegriff der Zwanzigerjahre dieses Jahrhunderts lautet: New Work. Und oft bringt er das genaue Gegenteil der alten Balance-Idee mit sich: In der neuen Arbeitswelt verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, alles ist eins und Balance darum nicht notwendig. Und der Mensch ist immer derselbe Mensch, egal was er gerade tut.

Zunächst klingt das gut. Personalerinnen, Start-up-Gründer und Unternehmenschefinnen, die von ihren New-Work-Methoden schwärmen, lieben Substantive, gegen die kaum jemand etwas einzuwenden hat: Selbstbestimmung, Demokratisierung, Flexibilität. Dafür experimentieren sie gerade viel, etwa mit freier Wahl des Arbeitsplatzes und Orts, mit unbegrenzten Urlaubstagen oder mit Teams, die ihre Chefs, Gehälter oder Kollegen wählen. Solange die Mitarbeitenden ihre Arbeit erledigen, sollen sie so viele Freiheiten wie möglich haben.

Arbeit muss sich ändern. Arbeit wird sich ändern

Experimente in der Arbeitswelt sind gut, denn Arbeit muss sich ändern. Nicht nur, aber gerade auch die Pandemie-Jahre haben gezeigt, dass Arbeit, so wie sie jetzt ist, einfach zu viele Menschen unglücklich macht. Und Arbeit wird sich ändern. Die Industrialisierung zum Wechsel des vorigen Jahrhunderts brachte im großen Stil die räumliche und zeitliche Trennung zwischen Arbeit und Leben. Statt auf dem Hof oder in der Backstube zu arbeiten, gingen die Menschen in die Fabrik, zu festen Zeiten. Heute bringt die Digitalisierung die Arbeit wieder zurück ins Heim, mit dem Home-Office und der Möglichkeit, vor dem Schlafengehen noch schnell der Chefin zu antworten. Mit neuen Werkzeugen ändert sich immer auch die Arbeit.

Wer allerdings dafür sorgen will, dass Arbeit nicht nur anders, sondern auch besser wird, muss die Konsequenzen all der wohlklingenden New-Work-Modelle genau durchdenken. Die sicherlich überwiegend wohlmeinenden Führungskräfte lassen sich leicht täuschen von dem Gefühl, ihren Mitarbeitenden etwas Gutes zu tun und sie so zu halten oder leichter neue zu gewinnen - dabei passiert oft das Gegenteil. Es ist darum wichtig, zum Beispiel auch die Kehrseiten der Heimarbeit zu erforschen und vor ihnen zu warnen, etwa die Vereinsamung oder die Gefahr, bisherige Pendelzeiten einfach zu Arbeitszeiten zu machen und so noch viel mehr zu arbeiten.

Wie Unternehmen Arbeit organisieren, sagt viel über ihr Menschenbild aus

All die Ideen, Arbeit neu zu organisieren, dürfen nicht dazu dienen, darüber hinwegtäuschen, dass Mitarbeitende für zu wenig Geld zu viel arbeiten. Denn das Wichtigste an Arbeit ist und bleibt, dass Menschen mit ihren Gehältern ein gutes Leben finanzieren können. Und dass sie auch mal etwas anderes tun als arbeiten. New Work kann leicht zum Deckmäntelchen für Selbstausbeutung werden. Es ist in der neuen Arbeitswelt dann nicht mehr der Vorgesetzte, der dazu zwingt, die tausend Schrauben binnen 30 Minuten in die Windungen zu drehen - es ist die Arbeiterin selbst, die sich aus vermeintlich freien Stücken dazu entscheidet, weil sie ihre Kollegen, Vorgesetzten und das Unternehmen nicht hängenlassen will und sie sich zu ihrer Schicht ja selbst eingeteilt hat. Am Ende des Tages ist sie genauso müde - vielleicht sogar noch müder, weil Eigenverantwortung auch eine Last ist und es niemanden mehr gibt, dem man die Schuld geben kann. Und wer seine Arbeit sowieso kaum bewältigen kann, tendiert dazu, eher weniger als mehr Urlaubstage zu nehmen, selbst wenn deren Zahl nicht gedeckelt ist.

Wie Unternehmen Arbeit organisieren, sagt viel über ihr Menschenbild aus. Wer davon ausgeht, dass der Mensch im Kern gut ist, kann ihm vertrauen. Und Vertrauen zu bekommen, fühlt sich gut an. Aber genau darin liegt auch die Herausforderung: Die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, diejenigen, die wirklich für ihre Arbeit brennen, drohen auch als erste auszubrennen. Vorderste Aufgabe von Führungskräften muss darum sein, sie zu bremsen und vor sich selbst zu schützen. Damit die neue Arbeit nicht nur neu, sondern auch besser wird.

Die nächste Folge aus der Serie "Anders arbeiten" lesen Sie am 3. Mai: Was Lebensarbeitszeitkonten bringen.

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