Öffentlicher Nahverkehr:Nächster Halt: Café Puschkin

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Wer mit der Straßenbahn durch Leipzig fährt, bekommt nicht nur die Haltestelle, sondern immer wieder auch die Namen lokaler Firmen genannt. (Foto: Jan Woitas/dpa)

In Leipzig verdienen sich die Verkehrsbetriebe mit Werbedurchsagen in der Straßenbahn Geld dazu. Lohnt sich das oder nervt das nur?

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Es lohnt sich ungemein, in Leipzig einen ganzen Tag lang Straßenbahn zu fahren. Wer das tut, erhält einen Einblick in die architektonische Vielfalt der Stadt (war das Völkerschlachtdenkmal schon immer so groß?), taucht ein in das Seelenleben seiner Mitmenschen – und lernt per Durchsage eine erlesene Auswahl an Gewerbetreibenden kennen, die in der Nähe der Haltestellen ihre Betriebe haben.

„Nächster Halt: Karl-Liebknecht-Straße/Kurt-Eisner-Straße, Eisbrennerei und Café Puschkin“, heißt es dann etwa. Werbeplakate, Werbewände und Werbebildschirme ist man im öffentlichen Nahverkehr gewohnt, akustische Werbung ist in Deutschland dagegen eher ungewöhnlich. Leipzig geht voran. Wer eigentlich nur zur Arbeit oder zum Sport wollte, erfährt nebenbei, wo man noch einkaufen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen könnte. Hier eine Apotheke, dort ein Optiker – oder doch gleich weiterfahren zum Augenlaserzentrum?

Die „Zusatzansagen“, wie sie von den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) genannt werden, gibt es schon seit 2013. Die Zahl der Unternehmen, die sie buchen, ist in den vergangenen Jahren durch gezielte Vermarktung stetig gestiegen, 77 sind es derzeit. Scheint sich zu lohnen, oder nicht?

Sagen wir mal: Es kommt darauf an. Denn bei den Mitfahrenden haben die Ansagen nicht nur Fans. Warum genau soll ein Discounter so relevant sein, dass seine Existenz auf dem Weg zum Arzt angepriesen wird? Und an manchen Haltestellen werden gleich drei Betriebe hintereinander beworben, da wird es dann mit dem Aussteigen knapp. Bei den LVB weiß man, dass die Ansagen polarisieren. „Es gibt natürlich Menschen, die Werbung im Allgemeinen ganz furchtbar finden, aber Kritiker gibt es im Leben überall“, heißt es von den Verkehrsbetrieben. Und, selbstverständlich: „Das sind wir im ÖPNV gewohnt.“

Die Werbung wirkt, sagen die Firmen

Die Anzeigen können über eine Medienagentur gebucht werden, für mindestens ein Jahr. Jeweils vor dem jährlichen Fahrplanwechsel Ende November werden sie einheitlich eingesprochen, zusammen mit den Namen von Sehenswürdigkeiten wie dem Gewandhaus. Die Jahrespreise bewegen sich im vierstelligen Bereich, variieren aber je nach Ort und Anzahl der transportierten Fahrgäste. „Wir bieten für jedes Budget etwas an“, heißt es von den LVB. Eine offizielle Summe der Jahreseinnahmen nennen sie nicht, also einfach mal geschätzt: Bei einem Jahrespreis von 5000 Euro pro Firma kämen 385 000 Euro zusammen. Im Vergleich zu den Zuschüssen von mehr als 90 Millionen Euro, die die LVB pro Jahr benötigen, wäre das in der Gesamtrechnung nur eine Kleinigkeit. Andererseits: besser als nichts. „Mit den Einnahmen können wir bei der nötigen Finanzierung des ÖPNV keine großen Sprünge machen, aber es trägt zur Entlastung für Kunden bei“, so die LVB. Zur finanziellen Entlastung auf jeden Fall, nur emotionalen Entlastung nur bedingt, je nachdem, wie sehr sich die Fahrgäste von den Durchsagen nerven lassen.

Generell biete man die Ansagen an, um die Wirtschaft zu unterstützen. „Für den lokalen Handel ist das eine gute Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen“, heißt es von den LVB. Die steigende Zahl der buchenden Unternehmen spricht dafür, dass das Angebot geschätzt wird. In den meisten Fällen wird lediglich der Firmenname genannt, soll ja schnell gehen. Bei der „Tanzschule Schrittfest“ spricht die Formulierung ohnehin für sich. Und wie effektiv ist die Werbung für die Unternehmen? Nachgefragt bei der Küchenfirma Xanocs, die ihren Namen seit 2021 in den Trams durchsagen lässt. „Viele Kunden erwähnen, dass sie durch die Ansagen auf uns aufmerksam geworden sind“, die Investition habe sich definitiv gelohnt.

Bleibt die Frage, ob die Werbedurchsagen auch auf größerer Ebene wirksam wären. Würde der Halt eines ICE in Wolfsburg mit der Werbung für Volkswagen die Autokäufe in die Höhe treiben? Zweifelhaft. Bisher ist die Wirkung nur für lokale Unternehmen beobachtet worden. Und die Ansagen in den Fernzügen sind doch sowieso schon so lang. Allzu weit treiben sollte man die Sache ohnehin nicht: Kopfhörer sind schnell gezückt.

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