Leipzig:Die zerrissene Stadt

Hummer, Hunger, Humidor: In Leipzig, dem kaufkräftigsten Ort Ostdeutschlands, driftet die Bürgerschaft immer weiter auseinander in Arm und Reich.

Christiane Kohl

Die beiden Damen haben sich ein nettes Gedeck zusammenstellen lassen für ihr Adventsfrühstück: Köstliche Austern, Kaviar im Porzellantöpfchen und Langustenschwänze, dazu Rührei mit etwas schwarzem Trüffel und natürlich Champagner. Die Damen sitzen vor einer Galerie von edelsten Spirituosen am Fenster der "Gourmétage", Leipzigs anspruchsvollstem Feinkostgeschäft. Hinten im Verkaufsraum hängen deftige Schinkenkeulen von der Decke, es gibt handgeschöpfte Pralinen wie auch erlesene Zigarren aus dem begehbaren Humidor, auf einer Tafel wird der frisch eingetroffene Hummer angepriesen. Vor dem Schaufenster eilen derweil städtisch elegant gekleidete Leute auf der Jagd nach letzten Geschenken vorbei. Man winkt sich und grüßt sich - hier kennen sich die Kunden untereinander.

Leipzig: Weihnachtseinkäufer in Leipzig: Man kennt sich, man grüßt sich.

Weihnachtseinkäufer in Leipzig: Man kennt sich, man grüßt sich.

(Foto: Foto: dpa)

In die sorgfältig restaurierte Mädler-Passage, jener traditionsreichen Einkaufsmeile, die 1912 als Ausdruck der prosperierenden Leipziger Kaufmannsgilde errichtet wurde, ist ersichtlich der Wohlstand zurückgekehrt - hier hält die "bessere Gesellschaft" der Messestadt gern ein bisschen Hof. Die Cafés und Geschäfte rund um den überdimensional großen Weihnachtsbaum sind gut besucht, auch wenn hier manches etwas teurer ist als andernorts in Leipzig. "Das Qualitätsbewusstsein der Kunden ist enorm gestiegen", erklärt René Winkler, der Leipziger Filialleiter der Gourmétage den Erfolg des Feinkostunternehmens - "und es gibt hier in Leipzig eine Menge vor allem junger Leute, die genügend verdienen, um auf Qualität zu achten".

Auch im "Restaurant des Herzens", das ein paar Kilometer entfernt im Süden der Messestadt zu finden ist, steht ein Weihnachtsbaum auf der Bühne, er ist kleiner als der in der Mädler-Passage, aber dafür bunter. Aus großen Suppentöpfen wird gerade das Essen geschöpft, heute gibt es Jägerschnitzel mit Kartoffelbrei, davor Rote Beete mit gebratener Wurst und zum Nachtisch Äpfel.

Gratis-Menü in der Mensa

Einige Hundert Leute sitzen an den Tischen mit den praktischen Plastikoberflächen. Kinder toben durch den Saal, Mütter durchstöbern einen Kleiderberg, der am Eingang aufgeschichtet wurde - sie suchen brauchbare Klamotten für ihre Sprösslinge. Mitten durchs Gewühl stapft eine Frau mit feuerrot gefärbtem Haar und schwarzweißem Ringelpullover, sie grüßt mal hier und mal dort - auch Sabine Glinkowski kennt ihre Klientel.

Seit acht Jahren serviert die gelernte Köchin den Bedürftigen in den Wochen vor Weihnachten täglich ein kostenloses Menü in der alten Mensa der Leipziger Stadtwerke: "Es werden immer mehr Leute", beobachtet sie. Vor allem, dass so viele Kinder dabei sind, findet Sabine Glinkowski bedenklich - "offenbar schaffen es immer weniger junge Familien, mit ihrem Geld bis zum Monatsende zu kommen", glaubt sie. Da ist zum Beispiel die 35-jährige Katrin, die in einer weißgrauen Trainingsjacke am Esstisch sitzt. Ursprünglich hat Katrin Näherin für Berufsbekleidung gelernt, dann bekam sie mit 19 die erste Tochter - "ein Wunschkind", wie sie sagt.

Es folgten drei weitere Kinder, unterdessen wurde der Vater arbeitslos, zudem bekam er Alkoholprobleme. "Männer vertragen es nicht, wenn sie den Job verlieren", sagt Katrin. Gern würde die Näherin heute in der Altenpflege arbeiten, zeitweise hatte sie auch schon einen Ein-Euro-Job in diesem Bereich. "Doch wenn du als Mutter von vier Kindern zum Arbeitsamt kommst", berichtet Katrin, "da sagen sie dir: Kümmern Sie sich lieber um Ihre Kinder". Doch Katrin will nicht aufgeben, sie möchte ihren Sprösslingen gern "was anderes vorleben als Arbeitslosigkeit", wie sie sagt. Das sei doch wichtig, meint die junge Mutter, "damit die Kinder merken, dass das Leben eigentlich vor allem aus Berufstätigkeit besteht".

Lesen Sie im zweiten Teil: Spektakuläre Firmenansiedlungen und Armut in der wohlhabendsten Stadt Ostdeutschlands.

Die zerrissene Stadt

Leipzig ist eine typisch deutsche Großstadt - eine Stadt der Gegensätze. Während die Besserverdienenden in prunkvollen Gründerzeitetagen und Landhausvillen der gehobenen Stadtteile wie Süd-Gohlis oder Markkleeberg leben, haben sich andere Stadtviertel in der Messemetropole schon zu regelrechten Armensiedlungen entwickelt. Da strahlen im Waldstraßenviertel prunkvolle Fassaden zwischen Szenerestaurants hervor, in den Parkbuchten stehen Jaguars und andere Nobelkarossen. Hingegen klaffen in Stadtteilen wie Lindenau oder Volkmannsdorf offene Fensterlöcher in bröckelnden Häusermauern, auf den Bürgersteigen liegt Schrott herum. Menschen in Trainingsanzügen frequentieren billige Eckkneipen, in denen vornehmlich Hochprozentiges ausgeschenkt wird.

Einerseits gilt Leipzig in der Einzelhandelsbranche als die Stadt in Ostdeutschland mit der kaufkräftigsten Kundschaft für Luxuswaren. Andererseits fühlt sich eine Großzahl der Leipziger Bewohner längst abgehängt vom Wirtschaftsleben. Spektakuläre Firmenansiedlungen haben die Stadt im Wortsinn bereichert: Ob es das BMW-Werk ist oder die Fertigungslinie des Luxusgeländewagens Porsche Cayenne, die Logistikfirma DHL oder das nahe bei Bitterfeld gelegene "Solarvalley" der boomenden Solarindustrie - die zukunftsträchtigen Industriezweige haben viele junge Leute nach Leipzig gelockt, die vergleichsweise gut verdienen. Auch der Zustrom von Ausländern ist enorm, Leipzig wird immer internationaler. Und die Werke der bildenden Künstler, die ihre Ateliers in einer alten Leipziger Baumwollspinnerei haben, werden weltweit zu Bestpreisen gehandelt.

Doch zugleich zog es auch immer mehr Arme in die Messestadt. Und so liegt der Durchschnittsverdienst in Leipzig mit seinen inzwischen wieder rund 504.000 Einwohnern trotz aller Erfolgsnachrichten derzeit noch unter Dresden und sogar hinter Chemnitz. Etwa ein Zehntel der Leipziger Haushalte sind sogenannte "Bedarfsgemeinschaften", die ihren Lebensunterhalt von Hartz-IV-Zuwendungen bestreiten. Immerhin geht die Zahl dieser Haushalte zurück: Während 2006 noch 50.700 Bedarfsgemeinschaften gezählt wurden, sind es 2008 "nur" noch 45.300. Doch zugleich nimmt die Zahl derjenigen zu, die trotz einer Beschäftigung finanziell nicht mehr über die Runden kommen - derzeit werden 16.000 Haushalte bezuschusst, obgleich die betreffenden Menschen Arbeit haben.

"In der Mitte, da hapert es"

Wie viele Millionäre Leipzig inzwischen beherbergt, ist unbekannt. Bei der Stadt gibt es darüber keine Informationen und auch im statistischen Landesamt hat die Mitarbeiterin, die sich mit der Erhebung der Einkommensentwicklung befasst, keine Zahl parat: "In meinen Stichproben hat sich noch kein Millionär geoutet", sagt Ina Hilbich.

In der Exquisit-Etage des Nobel-Kaufhauses Breuninger am Marktplatz aber sind einige der Damen und Herren wohlbekannt. Auf Wunsch wird die Kundschaft hier mit dem Limousinen-Service zum "Personal Shopping" abgeholt, Maßanzüge werden gefertigt, Pelzmäntel zur Anprobe zu den Kunden ins Haus geschickt. "Die Oberschicht ist hier bereits eins zu eins wie im Westen vorhanden", hat der Breuninger-Geschäftsführer David van Laak beobachtet. Doch er fügt hinzu: "Nur im mittleren Bereich, da hapert es noch".

Das wird im Sozialamt der Stadt bestätigt. "Der Anteil der mittleren Einkommensgruppen", berichtet der stellvertretende Amtsleiter voll Sorge, "ist hier tendenziell stark rückläufig."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: