Lehren aus der Ölkatastrophe:Wir alle sind BP

Was sind die Konsequenzen aus der gigantischen Ölkatastrophe im Golf von Mexiko? Die Kumpanei zwischen Ölkonzernen und Industriegesellschaften muss ein Ende haben.

Karl-Heinz Büschemann

Der US-Präsident bläst sich mal wieder ordentlich auf. Den BP-Konzern, so schimpft der aufgebrachte Mann im Weißen Haus nach sechs Wochen andauernder Ölpest im Golf von Mexiko, werde er "vor Gericht bringen".

Lehren aus der Ölkatastrophe: Protestschild gegen BP und US-Prädient Obama im US-Bundesstaat Louisiana.

Protestschild gegen BP und US-Prädient Obama im US-Bundesstaat Louisiana.

(Foto: ap)

Anwälte laufen sich bereits warm, um gewaltige Schadenersatzklagen gegen den britischen Ölkonzern BP anzustrengen, dessen Bohrinsel am 20. April vor der Küste von Louisiana gesunken war und eine Ölkatastrophe von nie gesehenem Ausmaß zu verantworten hat.

Es ist richtig, dass amerikanische Regierung und Bürger nach Gerechtigkeit suchen. Es ist verständlich, dass sie den Konzern BP, der mit seinem Öl jedes Jahr Milliarden Dollar verdient, zur Verantwortung ziehen wollen. Es entspricht dem Rechtsempfinden der Menschen, dass derjenige, der einen unübersehbaren Schaden an Natur und menschlichen Existenzen anrichtet, zur Rechenschaft gezogen wird, vor allem wenn er auch noch zugeben muss, dass er die Vorsorge vernachlässigt hat.

Doch jetzt nur auf den BP-Konzern einzudreschen, wäre zu einfach. Es geht um mehr als um einen profitgierigen Konzern und ein unfähiges Management. Die Katastrophe im Golf von Mexiko zeigt in bedrückender Deutlichkeit, dass die Interessen von BP und die der größten Wirtschaftsmacht der Welt aufs Engste verknüpft sind.

Der Ölkonzern schafft neben Konkurrenten wie Exxon oder Shell den Schmierstoff heran, den die USA und alle Industrienationen brauchen, um ihre Wirtschaft in Gang zu halten und den Lebensstandard ihrer Bürger zu halten. Wir sind alle BP.

Dass die Ölkonzerne mit ihren Bohrungen in immer größere Tiefen unter dem Meer vordringen müssen und damit auch den Tod über ganze Fischregionen bringen, wurde bisher als bedauerliche Begleiterscheinung der auf Erdöl basierenden Weltwirtschaft akzeptiert.

Dass private und staatliche Ölkonzerne angesichts drohender Ölknappheit in Kanada oder Afrika ganze Regionen umpflügen, um auch noch aus dem letzten Körnchen Sand ein wenig von dem Energieträger herauszuquetschen, wird von Industrie, Politikern und Medien sogar als Großleistung einer Branche gefeiert, die für die Zukunft der Menschheit sorgt.

Die noch immer verbreitete und falsche Behauptung, Öl sei noch lange ausreichend verfügbar, beruht auf der fahrlässigen Annahme, dass auch Lagerstätten angezapft werden können, die nur unter großen Risiken erreichbar sind. Und noch immer gilt der gesellschaftliche Konsens, dass alles gerechtfertigt ist, was den Ölpreis niedrig hält.

Gefährliche Kumpanei

Zwischen Ölindustrie und Industriegesellschaft besteht eine gefährliche Kumpanei. Die sorgte dafür, dass bislang keine ausreichende Entwicklung von Alternativen für das Erdöl in Gang gesetzt wurde. Es ist auf lange Sicht kein Energieträger in Sicht, der die gewaltigen Ölmengen ersetzen könnte, die jeden Tag verbrannt werden.

In Amerika wird diese Vertrautheit zwischen Ölindustrie und Politikern besonders deutlich. Viele Präsidenten holten ihr Personal aus den Reihen von "Big Oil", auch Präsident Obama kommt nicht ohne Politiker aus, die schon im Diensten von Ölfirmen standen. Wegen dieser Nähe zur Ölindustrie, weil Amerika auf den Schmierstoff aus dem Boden angewiesen ist und zuletzt, weil einer das Loch im Golf von Mexiko wieder schließen muss, geht die US-Regierung mit BP bisher noch schonend um. So ist es Tradition im Ölverbraucherland Nummer eins.

Wenn Obama jetzt die Tonart ändert und er Strafen sowie eine Energiepolitik ankündigt, so ist zu hoffen, dass er es ernst meint. Dieser Weg wird mühsam, weil Amerika es gewöhnt ist, mit billigem Öl zu leben und die Bewohner der größten Industrienation der Welt einen günstigen Spritpreis für eine Art verfassungsmäßiges Recht halten. Aber das Fanal des Golfs von Mexiko könnte die fällige Wende einleiten, auch wenn es schwerfällt, an eine neue Energiepolitik in Amerika zu glauben.

Obama muss dazu aber alle Ölkonzerne in die Pflicht nehmen, nicht nur BP. Er muss dafür sorgen, dass der britische Konzern eine angemessene und hohe Milliarden-Strafe erhält und dazu herangezogen wird, den Schaden zu ersetzen, soweit der überhaupt zu beziffern ist. Aber es kann nicht so bleiben, dass in der modernen Wirtschaftswelt die Ölkonzerne und ihre Aktionäre mit dem Öl steinreich werden, sie aber nichts zur Erforschung und Entwicklung neuer Energien beitragen.

Der Ölkonzern BP, der sein grün-gelbes Markenzeichen noch vor wenigen Jahren als das Kürzel für "Beyond Petrol" ausgab, und behauptete, über das Ölzeitalter hinaus zu denken, hat diesen Anspruch längst wieder fallenlassen. Es war nicht mehr als ein PR-Gag.

Auch die anderen Ölmultis, seien sie in privatem oder staatlichem Besitz, haben bisher nicht bewiesen, dass sie ernsthaft daran arbeiten, die Zeit nach dem Öl vorzubereiten. Sie alle aber müssen lernen, dass sie dieselbe Verantwortung für die Gesellschaft tragen wie andere Unternehmen auch und dass sie nicht mehr unter faktischem Artenschutz stehen. Nur so werden sie verstehen, dass die alten Zeiten des bedenkenlosen Umgangs mit dem Öl auch in Amerika zu Ende sind.

Die Behauptung, dass mit einer massiven Strafzahlung die Existenz des Konzerns gefährdet ist, sollte nicht zu ernst genommen werden. BP hat jahrzehntelang prächtig verdient. Der Konzern hat eine große Schuld abzutragen. Wenn es eine Lehre aus dem Golf-Desaster gibt, dann diese.

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