Süddeutsche Zeitung

Lehren aus der Krise:Wachsen? Ja, aber sinnvoll

Die Politik muss den Grundstein für ein Wachstum legen, das von Werten getrieben ist - denn Konsum ist nicht alles.

Alexandra Borchardt

Diese Krise steckt voller Lügen. Am Anfang stand jene, wonach sich jeder ein Haus bauen könne, auch ohne eigenes Geld. Es folgte der Irrtum, dass Risiken aus Bilanzen verschwinden, wenn man sie nur gut genug verpackt. Und irgendwann kam die Idee auf, dass der Kauf eines neuen Autos hilft, den Abschwung zu stoppen. Doch der Konsum wird die Wirtschaft nicht aus der Krise führen. Im Gegenteil: Er könnte sie geradewegs einer neuen Illusion aussetzen.

Die Bundesregierung, die sich an diesem Mittwoch mit den Wirtschaftsverbänden zum Konjunkturgipfel im Kanzleramt trifft, wird möglicherweise auch wegen dieser Erkenntnis vorsichtiger mit Geldgeschenken sein. Die Abwrackprämie ist ihr eine Warnung.

Wie im Rausch haben sich bislang weit mehr als eine Million Bundesbürger dafür entschieden, trotz weltweiter Rezession einen Neuwagen zu kaufen. Es wirkt, als versuche manch einer, die Sparsamkeit der Großeltern und die Öko-Prinzipien der Elterngeneration auf einen Schlag abzustreifen. Eine Nation, die im Ausland als geradezu geizig gilt und für das Trennen von Hausmüll belächelt wird, handelt plötzlich wie befreit. Wegwerfen, das geht wieder.

Während die Amerikaner gerade mühsam das Sparen erlernen und sich weniger verschulden, wird in Deutschland zum Geldausgeben getrommelt. Dahinter steckt das Ziel, die Wirtschaft, die bislang überwiegend im Export erfolgreich war, von innen her anzukurbeln.

Aus ökonomischer Sicht ist das logisch. Vielen Menschen mag es jedoch wie dem amerikanischen Schauspieler Clint Eastwood gehen, der kürzlich in einem Fernseh-Interview sagte: "Wir haben diese Krise, weil wir Geld ausgegeben haben, das wir nicht hatten. Und nun bekämpfen wir sie, indem wir noch mehr Geld ausgeben, das wir nicht haben. Wie soll das gehen?" Darin liegt die Erkenntnis: Exportnationen wie Deutschland oder China haben ihren Boom zu großen Teilen Millionen von Amerikanern zu verdanken, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Dies ließ sich jahrelang an einem enormen Leistungsbilanzdefizit der USA ablesen. Aber sollen wir nun die neuen Amerikaner werden, um die Krise zu überwinden? Das kann nicht sein.

Wirtschaft braucht Wachstum, schon deshalb, weil die Weltbevölkerung wächst. Nur wo es Wachstum gibt, wird investiert, gibt es die Hoffnung, Kredite zurückzahlen zu können. Und nur wo investiert wird, entstehen Arbeitsplätze. Entscheidend ist jedoch, welche Qualität dieses Wachstum hat. US-Präsident Barack Obama hatte kürzlich in Anlehnung an die Bergpredigt kritisiert, bisher sei die Wirtschaft auf Sand gebaut gewesen; die neue Wirtschaft müsse auf Fels gebaut sein. Eine Wirtschaft ist zwar immer ein wenig auf Sand gebaut, denn Investitionen sind Wetten auf bessere Zeiten. Es ist aber ein Unterschied, ob das Fundament aus einer Art Treibsand besteht - wie das eine oder andere abenteuerliche Finanzprodukt - oder ob es sich um fruchtbaren Boden handelt für das Wachstum einer Wirtschaft, die die Bedürfnisse künftiger Generationen erfüllt.

Kritische Wissenschaftler wie Dennis Meadows, der 1972 den Bericht des Club of Rome über die "Grenzen des Wachstums" mitverfasste, glauben nicht daran, dass sich Wachstum überhaupt umweltverträglich gestalten lässt. Nach ihrer Analyse legt die Wirtschaftsleistung nur zu, weil Güter wie Wasser, Bodenschätze und saubere Luft kostenlos in den Produktionsprozess einfließen - Ressourcen, die begrenzt sind. Doch diese Kritik ignoriert den technischen Fortschritt.

Der Mensch hat immer wieder bewiesen, dass er innovativ sein kann. Seit den Anfängen der Öko-Bewegung in den siebziger Jahren ist im Umweltschutz Enormes erreicht worden. In den entwickelten Industrienationen haben sich Schadstoffausstoß und Produktionswachstum längst voneinander abgekoppelt. Es ist durchaus möglich, dass neue Technologien und Konzepte in ein paar Jahrzehnten ein Wachstum ermöglichen, das Sonntagsredner heute als "nachhaltig" preisen. Gefragt sind Erfindungen zu Fahrzeugantrieben, in der Energiegewinnung und Siedlungsstrukturen, die auf kürzere Wege und effizienten Verbrauch ausgerichtet sind. So werden seit dem Ölpreisschock des vergangenen Sommers mit Hochdruck Elektroautos entwickelt. In der Wüste von Abu Dhabi entsteht eine Vorzeige-Ökostadt, die ohne Privatautos auskommen und sich komplett aus erneuerbaren Energien speisen soll. Auf solche Entwicklungen sollten Konjunkturprogramme zielen - und auf die Förderung von Bildung, denn Menschen müssen auf die guten Ideen kommen. Bedarf für intelligente Investitionen gibt es genug.

Das alles ist nicht zu Schnäppchenpreisen zu haben. Ein größerer Teil der persönlichen Ausgaben wird künftig nicht mehr in den Konsum, sondern in Dienstleistungen fließen. Angesichts ungeheurer Schuldenberge wird der Staat für immer weniger geradestehen können. Umso wichtiger ist es, dass die Politik das Gerüst für ein Wachstum baut, das von Werten getrieben ist. Die heutigen Generationen haben die Krise verursacht und werden deren Folgen hinterlassen. Sie schulden es ihren Kindern, eine neue Vision von Wohlstand zu entwickeln.

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SZ vom 22.04.2009/mel
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