Lega und Fünf-Sterne-Bewegung:Italien droht der wirtschaftliche Abstieg

Lesezeit: 4 Min.

Der Süden Italiens ist schon lange wirtschaftlich schwach, Müllberge wie hier in Neapel gehören vielerorts zum Straßenbild. Nun fürchten Unternehmer und Investoren, dass die neue Regierung das Land endgültig zugrunde richtet. (Foto: imago/Kickner)
  • Seit elf Wochen regiert in Rom die Koalition aus der rechten Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung.
  • Bisher hat sie wenig umgesetzt. Im Koalitionsvertrag hat das Bündnis jedoch eine Reihe von Maßnahmen versprochen, die zusammen als unbezahlbar gelten.
  • Sollte die neue Regierung an ihren Plänen festhalten, droht Italien nach Ansicht von Ökonomen ein wirtschaftliches Desaster.

Von Ulrike Sauer, Rom

Damit hatten die wackeren Unternehmer aus dem Nordosten Italiens nicht gerechnet. Dass ihnen nun aus Rom ein feindlicher Wind ins Gesicht wehen würde - wo doch ihr Mann, Lega-Chef Matteo Salvini, als Vize-Premier und Innenminister in der Hauptstadt seit Juni den starken Mann gibt. Das Parlament aber verabschiedete kurz vor der Sommerpause noch ein "Dekret Würde", das für die Mittelständler aus Venetien ein rotes Tuch ist. Das Eilgesetz begrenzt und verteuert befristete Arbeitsverträge, es schränkt Leiharbeit ein und erschwert die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer. Zuvor hatten 600 Industrielle in Treviso und Padua gewarnt: "So ruiniert ihr uns". Ihre Appelle verhallten ungehört. Salvinis Leute rührten im Parlament keinen Finger.

Nach den ersten elf Wochen im Amt ist es das einzige Gesetz, das die selbstproklamierte "Regierung des Wandels" aus der Protestpartei Cinque Stelle und der rechtsextremen Lega vorweisen kann. Arbeitsminister Luigi Di Maio, der 31-jährige Chef der Cinque Stelle, lobte das Würde-Dekret als "Waterloo des Prekariats". In Italiens Wirtschaft sieht man darin dagegen nur ein neues Wachstumshemmnis. "Die italienischen Unternehmen sind nun weniger wettbewerbsfähig", sagte Luciano Vescovi, Chef des Wirtschaftsverbands Confindustria in Vicenza. Dass es die Lage der 3,1 Millionen befristet Beschäftigten verbessert, ist unwahrscheinlich. Nach einer Schätzung der Sozialversicherung INPS werden in einem Jahr 8000 Jobs wegfallen.

Das Gesetz soll davon ablenken, dass der Regierung eine Agenda fehlt. Lega und Cinque Stelle unterschrieben einen Koalitionsvertrag, in dem sie ihre kaum kompatiblen Versprechen aneinanderreihten - ohne Prioritäten festzulegen oder die Finanzierung der 130 Milliarden Euro teuren Projekte zu erläutern. Ihre Rivalität hält dringende Entscheidungen auf.

Brückeneinsturz in Genua
:Italiens Straßen - marode und profitabel

Die Autobahn-Betreiber machten Gewinne, investierten aber kaum in die marode Infrastruktur. Und die Politik sah zu. Nun steht Italien vor einer nationalen Katastrophe.

Von Thomas Steinfeld

Und dann stürzte am vergangenen Dienstag in Genua die Morandi-Brücke ein und riss mindestens 43 Menschen in den Tod. Die Regierungsspitzen eilten aus dem Urlaub in die Stadt, deren Hafen nun ohne das Autobahnviadukt vom Niedergang bedroht ist. Die Minister nutzten die Katastrophe, um medienwirksam ihre nächste Attacke gegen das Establishment zu inszenieren. Regierungschef Giuseppe Conte kündigte an, dem privaten Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia unverzüglich die Lizenz zu entziehen. "Wir können nicht auf die Justiz warten", sagte der Rechtsprofessor. Er betreibt auf der Welle der Empörung lieber Lynchjustiz.

Im Kommuniqué der Regierung wird der Beschluss nicht erwähnt. Doch das ist egal, was zählt, ist die momentane Botschaft: Die Regierung nimmt den Kampf gegen eine der reichsten Industriellendynastien Italiens auf, die Benettons. Ihr Infrastrukturkonzern Atlantia, der über die Mauttochter für die Autobahnbrücke verantwortlich ist, verlor an der Börse in zwei Tagen sechs Milliarden Euro an Wert. Conte schlug aber nicht nur die Anleger von Atlantia in die Flucht. Er zerstörte auch ein weiteres Stück der Glaubwürdigkeit Italiens. Die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen sprang auf 3,1 Prozent.

Der Fall der Morandi-Brücke offenbart, dass die Regierungskoalition auch ein halbes Jahr nach den Wahlen noch immer im Wahlkampfmodus steckt. Eigentlich hatten die Anleger nicht damit gerechnet, dass Cinque Stelle und Lega vor den Europawahlen im kommenden Mai eine Finanzkrise riskieren würden. Diese Überzeugung wankt nun. Europas wichtigstem Schuldenland stehen damit schwierige Monate bevor.

Die weltweit schwächere Konjunktur und die politische Unsicherheit in Rom haben den italienischen Aufschwung gebremst. Im ersten Halbjahr fiel das Wirtschaftswachstum unerwartet von 1,5 auf 1,1 Prozent. Glitte das Land aber wieder ins chronische Null-Komma-Wachstum ab, hätte das schwerwiegende Folgen. Der Schuldenabbau fiele erneut aus und die Anleger würden der Regierung ihr Geld nur gegen steigende Risikoprämien leihen.

Roms Finanzminister aber braucht jährlich 400 Milliarden Euro zur Refinanzierung. Das Auslaufen des EZB-Kaufprogramms für europäische Staatsanleihen wird das bald erschweren. Drei Daten sind deshalb in den Kalendern der römischen Schuldenmanager bereits rot angestrichen: Am 31. August, am 7. September und am 26. Oktober geben die Ratingagenturen Fitch, Moody's und Standard & Poor's nacheinander ihre neuen Bewertungen der italienischen Kreditwürdigkeit ab. Die Noten sind bereits jetzt nur zwei Stufen vom Ramsch-Niveau entfernt.

Was dem Land drohen könnte, zeigte sich während der Koalitionsverhandlungen. Im Mai flüchteten Investoren bereits aus italienischen Staatsanleihen, in nur zwei Monaten zogen sie 100 Milliarden Euro ab. Die höhere Risikoprämie kostet die Steuerzahler bereits sechs Milliarden Euro im Jahr. Und nun warten die Finanzmärkte auf ein Signal aus Rom. Im September muss die Regierung einen Haushaltsentwurf vorlegen. Finanzminister Giovanni Tria hat die Aufgabe, die Wahlversprechen mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. In Interviews bemüht er sich, die Märkte ruhigzustellen. Doch kaum hat der Wirtschaftsprofessor die Einhaltung europäischer Defizitziele zugesichert, kündigen die Parteiführer lautstark das Gegenteil an. So tönte Salvini kürzlich: "Ob es der EU gefällt oder nicht, wir beginnen jetzt mit der Demontage der Rentenreform."

Überall steigt das Tempo, Italien legt den Rückwärtsgang ein

Für Italien geht es mit dem nächsten Haushalt um alles. Halte die Regierung an ihren unbezahlbaren Vorhaben fest, drohe der Abstieg Italiens in die zweite Liga der Weltwirtschaft, warnt der Ökonom Gustavo Piga. Überall steige das Tempo des Wandels, Italien aber lege den Rückwärtsgang ein. Industrieminister Di Maio beispielsweise liebäugelt damit, den Verkauf des süditalienischen Stahlwerks Ilva an Arcelor-Mittal rückgängig zu machen. Würde das Bieterverfahren annulliert, könnte das aber das Aus für Europas größte Hütte bedeuten, 14 000 Beschäftigte verlören die Arbeit. Und statt Investitionen aus dem Ausland anzuziehen, müsste Italien Vertragsstrafen in Milliardenhöhe zahlen. Und auch den Verkauf der maroden Fluglinie Alitalia will Di Maio abbrechen, sie hinge dann wieder am Tropf des Staates.

Und damit nicht genug. Rom will auch den Ausbau der Hochgeschwindigkeits-Bahntrasse zwischen Turin und Lyon stoppen, wodurch das Land vom europäischen Ost-West-Korridor abgeschnitten würde. Dann drohten hohe Strafen und der Ausschluss von EU-Förderprogrammen. In Apulien, am Absatz des italienischen Stiefels, will die Regierung zudem die Trans Adriatic Pipeline (TAP) blockieren, durch die Gas aus Aserbaidschan an Russland vorbei nach Europa strömen soll. Die 878 Kilometer lange Röhre soll die Abhängigkeit der EU von Moskau verringern. Obendrein sperren sich die Populisten gegen die Ratifizierung des Freihandelsabkommens Ceta zwischen Kanada und der EU und könnten es so zu Fall bringen - was wiederum der Exportwirtschaft Italiens schaden würde. "So tritt man nicht nur aus Europa aus, so verlässt man die reale Welt", kommentierte jüngst der Publizist Massimo Riva angesichts des Treibens.

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Brückeneinsturz
:Italien, der fragile Riese

Die Morandi-Brücke in Genua und der Zustand des Landes zeigen bestürzende Parallelen. Unklar ist, ob die Italiener ihren Staat stabilisieren können - bevor er zusammenbricht.

Kommentar von Stefan Ulrich

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: