Süddeutsche Zeitung

Leerverkäufe:So lief die Wirecard-Entscheidung der Bafin

Interne Unterlagen zeigen, wie das Leerverkaufsverbot für Aktien von Wirecard entstand.

Von Jan Willmroth und Nils Wischmeyer, Köln

Das wohl entscheidende Fax der Staatsanwaltschaft München I erreichte die Bafin an einem Freitagvormittag. Darin hieß es, der Zahlungsdienstleister Wirecard sei zur Zahlung eines hohen Geldbetrags aufgefordert worden, sonst drohe weitere schlechte Berichterstattung. Zudem hätten Personen versucht, Journalisten und Medien zu bestechen, um schlechte Presse gegen Wirecard zu machen. Die Staatsanwaltschaft nahm die Hinweise von Wirecard ernst und leitete sie am 15. Februar an die Finanzaufsicht Bafin weiter.

Zu diesem Zeitpunkt war die Wirecard-Aktie infolge von Berichten der Financial Times bereits stark gefallen. In mehreren Artikel berichtete die Wirtschaftszeitung von Unstimmigkeiten im Asien-Geschäft und berief sich dabei auf einen vorläufigen Bericht einer Anwaltskanzlei, der auch der SZ vorliegt. Demzufolge sollen mehrere Mitarbeiter Verträge gefälscht, rückdatiert oder sogar frei erfunden haben. Der Konzern bestreitet die Vorwürfe, Chef Markus Braun nannte es ein "Nicht-Event".

Wenige Tage, nachdem der erste Artikel erschienen war, verfügte die Bafin in enger Abstimmung mit der europäischen Wertpapieraufsicht Esma ein Verbot für Leerverkäufe von Wirecard-Aktien - eine drastische Maßnahme, von der die deutsche Bundesbehörde noch nie Gebrauch gemacht hatte.

Offiziell war der Hinweis der Staatsanwaltschaft an die Bafin nur ein Baustein von vielen in der Entscheidung der Finanzaufsicht, die das Unternehmen und seine Aktie schon lange beobachtet. Nach Eintreffen des Faxes aber ging alles sehr schnell. Das zeigen Mailverläufe und offizielle Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Demnach hat die zuständige Referatsleiterin für Marktmanipulation die Information noch am selben Tag intern weitergereicht. Der erste Entwurf für ein Leerverkaufsverbot stand wenige Stunden später, bereits abgestimmt mit der juristischen Abteilung.

Eine Aktie leer zu verkaufen, bedeutet, dass sich Händler die Aktie von Wirecard bei einem institutionellen Investor leihen, sie verkaufen und hoffen, dass der Kurs fällt - um sie dann günstig zurückzukaufen. Ihr Gewinn ist der Preisunterschied, abzüglich einer Leihgebühr.

Genau das hat die Bafin mit dem Verbot unterbunden, dessen Entwurf bereits vor 18 Uhr auf dem Tisch der Bafin-Vizepräsidentin Elisabeth Roegele landete. Knapp eine halbe Stunde später schickte diese den Entwurf mit kleineren Änderungen zurück. Später sollte der Entwurf präzisiert werden und auch die Esma überzeugen. Diese nämlich muss ein solches Verbot offiziell absegnen und eine eigene Meinung dazu abgeben. Abstimmungsberechtigt sind bei solchen Verfahren Aufseher aus allen 28 EU-Staaten. Am Freitagabend informierte die Bafin deswegen die Esma über das geplante Verbot mit einem erweiterten Bericht. Darin geht sie auf die Entwicklung der schwankenden Wirecard-Aktie und den Anstieg der Leerverkaufs-Positionen ein - mehr Händler als zuvor hatten die Aktie in den Tagen rund um die Berichterstattung der Financial Times leer verkauft und hofften auf fallende Kurse.

Wie hoch die Positionen tatsächlich waren, lässt sich zwar anhand der Dokumente nicht nachvollziehen. Doch allein zwischen dem 1. und dem 16. Februar, dem Tag, an dem der Entwurf für das Verbot erstellt wurde, gab es mehr als 30 neue Einträge. Die wenigsten davon lagen oberhalb der Meldeschwelle von 0,5 Prozent der Aktien eines Unternehmens. Diese sind auch öffentlich einsehbar. Die anderen Positionen sah ausschließlich die Bafin.

Der Anstieg der Leerverkaufspositionen, der Tipp der Staatsanwaltschaft und die Historie von Wirecard, die bereits mehrmals Opfer von Leerverkaufs-Attacken war, ergaben zusammen eine Mischung, die die Bafin alarmierte. Sie sah die Bedrohung, dass es bei Wirecard-Aktien nicht mehr zu einer fairen Preisbildung kommen und dass das den Markt generell verunsichern könnte.

Am Ende, so befürchteten die Experten der Bafin, könnte die Unsicherheit sogar auf andere Unternehmen übergreifen. Besonders gefährdet seien andere finanzielle Institutionen. Welche das sind, führte die Bafin aber nicht aus.

Am Samstagabend ließ Esma-Chef Steven Maijoor das sogenannte Supervisory Board der Europäischen Finanzaufsicht informieren, in dem Vertreter der EU-Staaten sitzen. Gegen sechs Uhr am Sonntagmorgen werde eine formelle Benachrichtigung erwartet. Alle Mitglieder müssten dann bis 18 Uhr dafür oder dagegen stimmen. Am Ende stimmten 14 Mitglieder dafür, der Rest antwortete nicht. Weitere zwölf Stunden später, um sechs Uhr am Montagmorgen, trat das Leerverkaufsverbot schließlich in Kraft und soll es vorerst bis zum 18. April auch bleiben.

Theoretisch kann die Bafin das Verbot dann verlängern oder aber bereits vorher aussetzen. Wie sie sich entscheidet, bleibt bis hierhin offen. Eines aber ist klar: Die Entscheidung der Bafin war rückblickend auch ein Statement an Hedgefonds und Investoren: Solche Leerverkaufs-Attacken auf ein Unternehmen dulden wir in Deutschland nicht mehr. Trotz des Verbots ging es für die Wirecard-Aktie weiter nach unten, und auch sonst kommt das Unternehmen kaum zur Ruhe. Gerade erst hat das Unternehmen vor dem Gericht in Singapur eine deutliche Schlappe hinnehmen müssen. Die Ermittler vor Ort hatten die Gebäude von Wirecard in Singapur mehrmals durchsucht und 226 Boxen an potenziellen Beweismaterialien mitgenommen. Wirecard legte dagegen Beschwerde ein und verlor vor Gericht. Die zuständigen Staatsanwälte warfen Wirecard in ihrer schriftlichen Antwort vor Gericht sogar vor, die Ermittlungen behindern zu wollen. Nach Kooperation klingt das nicht.

Kurz darauf wurde bekannt, dass Edo K., einer der beschuldigten Mitarbeiter, kurz nach dem ersten Bericht der Financial Times offenbar Urlaub eingereicht hatte und nun weiterhin beurlaubt bleibt. Warum er seit der Fertigstellung des vorläufigen Berichts im Mai 2018 bis zum Erscheinen des Artikels weiterhin in seiner Position tätig war, bleibt unklar.

Wirecard jedenfalls dementiert alle Vorwürfe, die gegen das Unternehmen gemacht werden und beruft sich dabei auf interne Prüfungen. Endgültige Gewissheit soll nun der finale Report der externen Anwaltskanzlei bringen. Er wird in den kommenden sieben Tagen erwartet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4371229
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.