Es stinkt nach faulen Eiern, verrottendem Fleisch und ätzendem Ammoniak. In den Gerbereien in Hazari Bag, einem Stadtteil von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, stehen Kinder barfüßig in grau-blauer Gerbbrühe und atmen die beißende Luft ein. Mit bloßen Händen ziehen sie Lederhäute aus großen Trommeln und lassen sie in die Brühe zu ihren Füßen fallen - zwölf bis 14 Stunden am Tag. Doch das ist gefährlich: Hochgiftige Schwermetalle wie Chrom-VI und Hunderte andere Chemikalien sind in der Gerbbrühe und den Dämpfen enthalten. Schutzanzüge, Atemmasken oder Gummistiefel gibt es nicht. Und die Abwässer der Betriebe vergiften auch die Umwelt: Täglich fließen Tausende Kubikmeter aus den Gerbereien ungefiltert in den Fluss, in dem Kinder planschen.
Hazari Bag ist eines der wichtigsten Lederproduktionszentren der Welt. Rund 250 Gerbereien gibt es hier, in denen Tausende Menschen das billige "wet blue"-Leder für den Weltmarkt herstellen. Der bitterarme Ort rangiert auf Platz fünf der am stärksten verschmutzten Orte der Welt, laut einer Liste des New Yorker Blacksmith Instituts und der Umweltschutzorganisation Green Cross International.
Das weltweite Geschäft mit dem Leder boomt, genau wie das mit dem Fleisch. Die Rinderherden wuchsen von 2000 bis 2014 um 13 Prozent auf 1,8 Milliarden Tiere, hat die FAO ermittelt. Noch schneller stieg die Lederproduktion - um 21 Prozent. Fast alles davon ist Chromleder: Etwa 90 Prozent der Häute werden mit dem Schwermetall schnell und billig haltbar gemacht - vor allem in Lateinamerika und Asien. Denn dort sind Umweltstandards meist niedrig, und viele Menschen bereit, in den Gerbereien ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen - oft für weniger als einen Euro am Tag.
Zwar werden zum Gerben nur unbedenkliche Chrom-III-Salze eingesetzt, aber diese oxidieren bei unsauberer und billiger Produktion zu Chrom-VI. Und das ist stark krebserregend, kann zu Hautausschlägen und Allergien führen, schädigt das Immunsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sterben 90 Prozent dieser Kinderarbeiter, bevor sie 50 Jahre alt sind.
Das Chrom-VI gelangt auch zu uns: über günstige Ledertaschen, -jacken und -schuhe, auch für Kinder. Selbst wenn im Schuh "Made in Italy" steht, stammt das Leder oft aus Bangladesch. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat die Substanz immer wieder nachgewiesen, besonders Handschuhe und Babyschuhe sind betroffen. Und die Kontrolle ist schwierig: Selbst wenn das Leder frei von Chrom-VI die Fabrik in Bangladesch verlässt, kann sich die Substanz durch Hitze, Licht oder Sauerstoff bilden - beim Transport nach Europa oder im Schaufenster. In Deutschland reagieren inzwischen eine halbe Million Menschen sensibel auf Chrom-VI - und können kein Leder mehr tragen.
Leder kann man auch mit Olivenblättern oder Rhabarber gerben
Also lieber die Finger vom Leder lassen? Chromfreie Alternativen findet man auf dem "Greenshowroom" in Berlin. Auf der grünen Modemesse zeigen meist kleine Labels Kleidung aus Biobaumwolle oder Recycling-Materialien - und aus vegetabil, also pflanzlich gegerbtem Leder. Royalblush etwa verkauft Espadrilles aus pflanzlich gegerbtem Kalbsleder, Grand Step Shoes Ledersandalen. Denn auch mit Olivenblättern, Kastanie, Rinden, Holz und Früchten kann man Leder haltbar machen.
Oder mit Rhabarber: Die auffallend weichen Taschen und Kleider von "deepmello" finden sich auch auf der Messe. Die Pflanzenanalytikerin Anne-Christin Bansleben und ihr Team entdeckten den Ledergerbstoff in der Rhabarberwurzel - und stellen nun "Rhabarberleder" her. Ihr Antrieb: Eine marktfähige Alternative zum Chrom bilden, denn: "Die normalen Lederprodukte sind eigentlich Sondermüll", sagt Bansleben. Rhabarberleder dagegen erfüllt die Kriterien des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN), des strengsten Öko-Leder-Siegels am Markt.