Oh nein, es ist tatsächlich schon wieder passiert: Mitten im August tauchen die ersten Lebkuchen in deutschen Supermärkten auf. Es ist gewissermaßen die früheste Weihnachtstradition des Jahres. Die Menschen sind schockiert – ist das nicht schon wieder früher als im Jahr zuvor? Das wird ja immer schlimmer!
Nein, wird es nicht. Jedes Jahr kommen Lebkuchen und andere weihnachtliche Produkte im August in den Handel, oder in den Worten eines Vertriebsmenschen: Verkaufsstart ist um die KW 35 herum. Wann genau, darüber schweigen die großen Supermarkt- und Discounterketten auf Anfrage lieber unter Verweis auf den „Wettbewerb“. Doch so mancher Supermarktbetreiber nutzte die alljährliche Aufregung auch dieses Jahr gerne als Werbemaßnahme, indem er einfach ein paar Tage früher dran war, am besten sogar als Erster.
Warum die Lebkuchen-Lager jetzt schon voll sind, obwohl die meisten Menschen gerade noch die Füße in den Badesee halten, zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Demnach werden die meisten Lebkuchen in Deutschland, etwa ein Drittel der Jahresproduktion, im Juli, August und September produziert – und noch mal 26 Prozent sogar schon im Frühjahr von April bis Juni. Das liegt auch daran, dass es hier eher weniger um die gemütliche Weihnachtsbäckerei geht, in der zwischen Mehl und Milch so mancher Knilch eine riesengroße Kleckerei macht. Sondern vor allem um kalte, industrielle Massenproduktion: Im vergangenen Jahr stellten deutsche Unternehmen ganze 86 800 Tonnen Lebkuchen her. Das war zwar ein Prozent weniger als im Vorjahr, an dem Gefühl, dass das Weihnachtsgebäck irgendwie zu früh kommt, hat sich dadurch aber nichts geändert.
Der Zeitpunkt des Verkaufsstarts ist besonders perfide
Saisonale Produkte heißen zwar so, weil sie sich nach bestimmten Saisons richten – aber eben nicht danach, wann diese im Alltag der Leute eine besonders große Rolle spielen, sondern danach, ab wann sich damit Geld verdienen lässt. Wenn dann die Schoko-Nikoläuse im Supermarktregal direkt durch Osterhasen ersetzt werden, rennt das Geschäft dem saisonalen Gefühl der Menschen voraus. Während sie im Alltag eh schon das Gefühl haben, dass die Zeit zwischen Terminen, Kindern und Arbeit viel zu schnell vergeht, hetzen die Supermärkte schon zur nächsten Saison, kaum sind die Spuren der vorigen verräumt.
Der Zeitpunkt des Lebkuchen-Verkaufsstarts ist dabei besonders perfide. Ende August, wenn in fast allen Bundesländern die Sommerferien vorbei sind oder sich dem Ende nähern, kommen viele Menschen aus dem Urlaub zurück. Der „Post-Urlaubs-Blues“ beschreibt eine angefasste Stimmung, eine gedrückte Laune, die der Kontrast zwischen Meerwasserblau und Alltagsgrau hervorruft. Der Urlaub ging so schnell vorbei, am liebsten wäre ich noch dort – und jetzt soll hier schon Weihnachten sein? Was den Lebkuchen angeht, hilft vielleicht eine Erkenntnis, den Schock etwas abzufedern: Streng genommen gibt es ihn ja das ganze Jahr über zu kaufen – im Internet sowieso, aber auch auf zahlreichen Kirmesveranstaltungen und Volksfesten. Nur eben in Herzform, um dem Schwarm endlich seine Liebe zu gestehen.