Süddeutsche Zeitung

Gesetzentwurf:EU könnte Lebensversicherungen noch unattraktiver machen

Die Kommission wird am Mittwoch neue Regeln für die Branche präsentieren - mit womöglich dramatischen Folgen für die in Deutschland so beliebten Lebensversicherungen. Kritiker sprechen von einem "Todesurteil".

Von Björn Finke, Brüssel

Die Deutschen sorgen gerne mit Lebensversicherungen für ihr Alter vor, auch wenn die Rendite mager ist. Neue EU-Regeln könnten dieses Problem verschärfen: An diesem Mittwoch wird die Kommission in Brüssel einen Gesetzesvorschlag präsentieren, der die Aufsichtsregeln für Europas Versicherer aktualisieren soll. Der Süddeutschen Zeitung liegt ein 102-seitiger Entwurf dieser Richtlinie vor, und in ihm finden sich brisante Änderungen. So sollen die Vorschriften verschärft werden, wie viel Kapital die Versicherer für ihre Policen vorhalten müssen. Das würde es insbesondere verteuern, langlaufende Lebensversicherungen anzubieten - die in Deutschland so beliebten Policen würden für die Verbraucher noch unattraktiver.

Die Kommission sieht diese Gefahr und schlägt deshalb vor, diese Regeln bis 2032 schrittweise einzuführen, um eine "Erschütterung des Marktes zu vermeiden", wie es in dem Richtlinienentwurf heißt. Konkret geht es um die sogenannte Extrapolation der Zinsstrukturkurve. Das ist so kompliziert wie es klingt, bedeutet aber de facto, dass die Versicherer bei den Kalkulationen für ihre Policen länger davon ausgehen sollen, dass die Zinsen so rekordniedrig bleiben wie jetzt. Damit können die Konzerne Kunden ebenfalls nur schlechte Konditionen offerieren. Außerdem müssen die Assekuranzen für ihre bestehenden Policen höhere Rückstellungen bilden, also mehr Kapital reservieren - das ist schmerzhaft. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft ist daher alarmiert: Als die EU-Versicherungsaufsicht EIPOA diese Änderung vorschlug, warnte die Lobbygruppe vehement davor. Trotzdem findet sich die Neuerung jetzt im Gesetzentwurf wieder.

Die bisherigen Aufsichtsregeln sind seit 2016 in Kraft; sie heißen "Solvency II". Nach fünf Jahren ist nun nach Ansicht der Kommission eine Überarbeitung fällig. Nach der Vorlage müssen sich Europaparlament und Ministerrat, das Entscheidungsgremium der Mitgliedstaaten, mit dem Richtlinienentwurf befassen; erfahrungsgemäß werden die Politiker Änderungen vornehmen, bis der Entwurf Gesetz wird.

Neben der umstrittenen Verschärfung sieht der Vorschlag auch Erleichterungen vor. So wird eine neue Kategorie von Versicherungsunternehmen eingeführt: Anbieter mit wenig riskanten Geschäftsmodellen. Diese sollen weniger hart reguliert werden. Zudem könnten Aufseher künftig Versicherer nachsichtiger behandeln, wenn die Konzerne ihr Geld in ökologische oder soziale Investments stecken. Die EU-Aufsicht EIOPA in Frankfurt soll bis 2023 eine Untersuchung vorlegen, ob solche Vorteile für grüne und soziale Anlagen gerechtfertigt wären.

Im Europaparlament stoßen die Ideen bereits auf Kritik: Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber warnt, dass sich die Finanzaufsicht immer an Risiken orientieren müsse. Laxere Vorgaben für grüne Versicherer seien "der falsche Weg", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion. Mit Sorge sieht er die Verschärfung bei den Lebensversicherungen. Überziehe die Kommission hier, wäre das "praktisch das Todesurteil" für langlaufende Policen.

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