Süddeutsche Zeitung

Altersvorsorge:Lebensversicherungen werden wohl noch unattraktiver

Lesezeit: 3 min

Die Regierung überlegt, den Garantiezins abzusenken. Neukunden würden das sofort zu spüren bekommen.

Von Herbert Fromme

Lohnt sich eigentlich die Lebensversicherung? Diese Frage ist seit Jahrzehnten zwischen Verbraucherschützern und Versicherern heftig umstritten. Die eine Seite verweist auf hohe Kosten und niedrige Renditen, die andere auf die lebenslang gezahlten Privatrenten und den Sparprozess im Kollektiv.

Der Streit wird in den kommenden Monaten neue Nahrung erhalten. Denn nach SZ-Informationen will die Bundesregierung bis Ende Juni über eine weitere Absenkung des Garantiezinses in der Lebensversicherung entscheiden. Das würde für Neukunden in der klassischen Lebensversicherung gelten. Kunden mit bestehenden Verträgen sind nicht betroffen. Das Finanzministerium bestätigte, dass im ersten Halbjahr eine Entscheidung ansteht.

Zeitpunkt der Absenkung noch unklar

Zurzeit liegt der Garantiezins bei 1,25 Prozent. In Versicherungskreisen heißt es, dass eine Absenkung auf einen Wert zwischen 0,75 Prozent und ein Prozent zwischen der Finanzaufsicht Bafin und dem Finanzministerium diskutiert wird. Die Bafin schlägt dem Ministerium einen Zinssatz vor, die Festsetzung erfolgt in Berlin. Die Finanzaufsicht befragt dazu vorher die Versicherungsmathematiker in der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV). Sie wird von Vorständen der Versicherungskonzerne beherrscht.

Umstritten ist, wann eine mögliche Absenkung kommen könnte. Die DAV glaubt, dass der bisherige Garantiezins von 1,25 Prozent für das Jahr 2017 noch tragbar ist und der Wert im Januar 2018 auf ein Prozent abgesenkt werden sollte. Bei Finanzaufsicht und Ministerium wird eine Absenkung schon zum 1. Juli 2017 erwogen, möglicherweise auch auf 0,75 Prozent.

Lebensversicherungen würden noch unattraktiver

Finanzminister Wolfgang Schäuble ist ein Freund der privaten Altersvorsorge. Bundesregierung und Versicherungsbranche müssen zu Recht fürchten, dass die Absenkung die Attraktivität der klassischen Lebensversicherung für die Altersvorsorge weiter negativ treffen würde.

Andererseits ist das Finanzministerium aus gutem Grund vorsichtig - denn allzu optimistische Annahmen in der Vergangenheit haben heute zu akuten Probleme der Branche geführt.

Von 1994 bis 2000 durften Lebensversicherer mit regierungsamtlicher Erlaubnis ihren Kunden einen Zinssatz von vier Prozent für die gesamte Dauer der Verträge garantieren. Damals erschien das wenig, denn die Kapitalmarktzinsen lagen bei mehr als sechs Prozent. Die Versicherer drängten die Bundesregierung zu der hohen Maximalgarantie, um im scharfen Konkurrenzkampf um die Spargroschen wettbewerbsfähig zu sein. Kritiker verwiesen damals auf das Beispiel Japan mit seinen Niedrigzinsen. Das sei in Deutschland unmöglich, antworteten Politik und Branche.

Jetzt zeigt sich: Mit der Zinswette haben sich die meisten Lebensversicherer verzockt. Denn ein großer Teil dieser Verträge ist weiterhin in Kraft, die Versicherer müssen jedes Jahr vier Prozent gutschreiben. Aber die niedrigen Zinsen machen es zunehmend schwieriger für die Unternehmen, die vier Prozent auch zu verdienen.

Seit 2011 müssen Lebensversicherer auf Anordnung des Finanzministeriums deshalb die hohen Garantien aus der Vergangenheit mit besonderen Rückstellungen absichern. So will Berlin erreichen, dass die Anbieter auch künftig ihre Zusagen erfüllen können. 2015 waren die Gesellschaften gezwungen, diese besondere Reserve mit zehn Milliarden Euro zu stärken, 2016 werden es wohl 12 Milliarden Euro sein.

Das trifft die Lebensversicherer und erst Recht ihre Kunden. Denn die Absicherung für die hohen Garantien wird von allen Kunden aufgebracht, auch von denen, deren Verträge mit deutlich niedrigeren Garantien von 2,25 Prozent oder 1,25 Prozent versehen sind. Sie erhalten weniger Rendite.

Selbst die Anbieter haben keine Lust mehr auf klassische Lebensversicherungen

Nicht nur den Kunden, auch vielen Anbietern ist die Lust an der klassischen Lebensversicherung vergangen. Denn für die klassischen Verträge müssen die Gesellschaften nach neuesten Vorschriften sehr viel Eigenkapital vorhalten. Dazu kommt: Die Zinsgarantien ziehen heute kaum, mit 1,25 Prozent oder demnächst 0,75 Prozent bis ein Prozent wirken sie nicht sehr interessant. Stattdessen gelten Aktien und andere Wertpapiere als attraktiv.

Die großen Versicherer wie Allianz, Axa, Ergo, Generali und zunehmend auch kleinere Gesellschaften bieten deshalb aktuell vor allem fondsgebundene Versicherungen an, bei denen sie höchstens den Kapitalerhalt garantieren. Das Kapitalanlagerisiko - das bei den klassischen Policen vom Versicherer getragen wurde - hat jetzt der Kunde. Bei den fondsgebundenen Verträgen und anderen so genannten kapitalmarktnahen Produkten spielt der Garantiezins aber keine Rolle.

Deshalb ist die praktische Bedeutung der geplanten Absenkung begrenzt. Nur bei Riester-Verträgen und der betrieblichen Altersversorgung ist die klassische Lebensversicherung noch relevant. Doch der gesamte Markt wird den psychologischen Effekt spüren, ob klassische Policen angeboten werden oder nicht.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2016
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