Wohl kaum eine Branche in Deutschland ist so zersplittert wie die der Versicherer: Es gibt fast 100 Anbieter, bei denen man sein Auto versichern kann, und fast genauso viele Lebensversicherer. Das Kuriose: Neben dem Marktführer Allianz haben nur vier Anbieter mehr als fünf Prozent Marktanteil. 70 Prozent der Lebensversicherer kommen noch nicht einmal auf ein Prozent.
Vielen von ihnen geht es aktuell alles andere als gut. Sie sitzen immer noch auf Beständen an klassischen Kapitallebensversicherungen, die jahrzehntelang ein echter Verkaufsschlager waren. Die Niedrigzinsphase besiegelte ihr Ende im Neugeschäft, aber die Versicherer haben die alten, höher verzinsten Verträge noch lange im Bestand.
Bei etlichen Lebensversicherern steigt der Druck, diese Altbestände ohne Neugeschäft loszuwerden. Für die externe Abwicklung, im Branchenjargon Run-off, gibt es spezialisierte Anbieter. Viridium, Athora oder Frankfurter Leben kaufen den Versicherern die Verträge ab. Die Versicherer müssen dann die Altverträge nicht mehr verwalten, sondern können sich auf das Neugeschäft in anderen Bereichen konzentrieren.
Versicherte sollten nicht überstürzt kündigen, wenn ihre Police verkauft wird, rät die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Sie sollten sich aber unabhängig beraten lassen und die Standmitteilungen der Versicherer genau checken, um mögliche Änderungen festzustellen.
Der Bedarf für solche Run-off-Deals seitens der Versicherer sollte eigentlich enorm sein, und auch die Abwicklungsgesellschaften, hinter denen in der Regel Finanzinvestoren stehen, haben Interesse. Doch aktuell herrscht Flaute. Das dürfte sich allerdings bald ändern, glaubt Christian Wrede, Chef der Frankfurter Leben. „Die kleinen und mittleren Gesellschaften halten das nicht mehr lange aus“, prognostizierte er auf der Run-off-Konferenz der SZ in Hamburg.
Wrede meint die Kosten: Wenn ein Versicherer für diese Tarife kein Neugeschäft mehr macht, die Zahl der Verträge wegen Ablaufs also automatisch sinkt, wird die Verwaltung pro Vertrag immer teurer. Dazu kommt, dass die Lebensversicherer eigentlich hohe Summen in ihre Jahrzehnte alten IT-Systeme investieren müssten. Sie sind ein echter Kostenfresser und werden von der Finanzaufsicht Bafin mit zunehmendem Misstrauen betrachtet. Außerdem gehen von den IT-Experten, die sich mit den Uralt-Systemen noch auskennen, immer mehr in Rente.
Wie externer Run-off funktioniert, hat die Generali vorgemacht: 2019 verkaufte sie rund vier Millionen Lebensversicherungsverträge an den Abwickler Viridium. Ihre Kunden, die einst bei der Generali oder einem Vorläuferunternehmen wie der Volksfürsorge ihre Lebensversicherung abgeschlossen hatten, waren plötzlich bei Viridium versichert, einer Tochter des Londoner Finanzinvestors Cinven. Bereits 2017 hatte die Arag ihre Lebensversicherung an die Frankfurter Leben veräußert.
Das Verfahren ist kompliziert
Damals waren die niedrigen Zinsen das wichtigste Motiv für den Verkauf. Bei künftigen Transaktionen dürften die IT-Probleme den Ausschlag geben, glauben Experten.
Laut Immo Querner, Deutschland-Chef bei Athora, zögern viele Lebensversicherer bei der Bestandsabgabe an Spezialisten wegen der komplexen und zeitraubenden Prozedur. Schließlich müssen die betroffenen Verträge ausgiebig geprüft und bewertet werden. „Das Verfahren ist nicht gerade einladend“, sagte Querner, der lange als Finanzvorstand bei den Versicherungskonzernen Gerling und Talanx gearbeitet hat.
Schließlich hat die Finanzaufsicht Bafin ein entscheidendes Wort mitzureden. Das zeigte die geplante Übernahme von mehr als 700 000 Policen der Zurich durch Viridirum im vergangenen Jahr: Die Bafin hatte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Investors Cinven, der Mehrheitseigner von Viridium ist. Er hatte seiner italienischen Tochter Eurovita Kapitalstärkungen verweigert, die italienische Aufsicht hatte daraufhin die Zerschlagung von Eurovita angeordnet.
Für Viridium heißt das: Weitere Übernahmen sind erst wieder mit neuem Hauptaktionär möglich. Wann das der Fall ist, dazu hält sich Chef Dresig bisher bedeckt. Der Verkaufsprozess läuft. Bei Abschluss konnte der Run-off-Markt wieder in Fahrt kommen. An Anfragen der Lebensversicherer mangelt es nicht, sagen die Anbieter.
