Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelverschwendung:Zum Wegwerfen zu schade

Lesezeit: 3 min

Wie Start-ups und Initiativen versuchen, mithilfe von Apps die Verschwendung von Essen zu reduzieren.

Von Marvin Strathmann, Hamburg

Kurz vor Ladenschluss im Hamburger Café Philo. In einer weißen Box liegen ein Stück Quiche, zwei Scheiben Baguette und ein gemischter Salat mit Caesar-Dressing. Eigentlich müsste das Café diese Lebensmittel wegwerfen, morgen wären sie unverkäuflich. Das Brot wäre vertrocknet, der Salat nicht mehr frisch. Doch Rettung naht bereits - in Gestalt von Ilona Ardiuschkina.

Ein Mitarbeiter des Cafés sieht auf Ardiuschkinas Smartphone, tippt auf den Bildschirm, dann darf Ardiuschkina die Box mit dem Essen mitnehmen. Bezahlt hat sie vorab per Handy. Mealsaver heißt die App, die ihr eine Freundin empfohlen hat. Mit ihr soll Lebensmittelverschwendung bekämpft werden.

Über Mealsaver können Restaurants und Geschäfte am Ende des Tages übrig gebliebene Lebensmittel Nutzern der App billiger anbieten. Was es gibt und wie viel die Nutzer sparen können, hängt vom Restaurant und vom Tag ab. Ardiuschkina nutzt die App hauptsächlich, um Geld zu sparen, aber auch die Idee, Lebensmittel nicht zu verschwenden, gefällt ihr.

Mealsaver ist im Google Play Store für Android und im App Store für iPhones verfügbar. Dahinter steckt ein Berliner Start-up mit 16 Mitarbeitern, die EatUp GmbH. Seit Oktober bieten etwa 150 Restaurants übrig gebliebene Lebensmittel in der Hauptstadt an. Hamburg ist seit Dezember dabei, dort sind es bisher etwa 25 Restaurants. Weitere Städte sollen folgen.

In Deutschland landen der Umweltorganisation WWF zufolge jedes Jahr mehr als 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Weil man sich beim Wocheneinkauf verschätzt hat, Gemüse zu klein oder zu krumm gewachsen ist oder im Supermarkt Joghurt aussortiert werden muss, der am Tag darauf abläuft. Und eben, weil Restaurants, Cafés und Bäckereien ihre Waren am nächsten Tag nicht mehr anbieten können oder wollen. Mealsaver soll helfen, das zu vermeiden, wenigstens im Kleinen. "Vorher hatte ich etwa fünf Liter Reste pro Tag", sagt Anja Merten, die Inhaberin des Cafés Philo. "Jetzt eigentlich gar keine mehr, nur noch das, was auf den Tellern übrig bleibt. Ich kann Gerichte verkaufen, die ich sonst weggeschmissen hätte und der Kunde bekommt ein gutes, günstiges Essen."

Die Boxen kosten meist zwischen zwei und vier Euro. Das Geld geht nicht komplett an die Restaurants. Einen Euro erhält Mealsaver für die Vermittlung und die Gebühren an Paypal. Das Unternehmen stellt auch die biologisch abbaubaren Boxen bereit, die mit Essen gefüllt werden. Die App zeigt Restaurants, die die sogenannten Foodboxen anbieten, in einer Liste an und sortiert sie nach ihrer Nähe zum Standort des Nutzers.

Auch auf einer Karte können sie angezeigt werden. Die App erkennt allerdings immer wieder mal den Standort nicht und schlägt den Nutzern dann auch Restaurants in 250 Kilometern Entfernung vor. Außerdem dauert es manchmal recht lange, bis die Karte geladen hat. Ein Neustart der App löst meist die Ortungsprobleme.

Außer der Entfernung bietet Mealsaver weitere Informationen zu den Restaurants an: Welche Gerichte werden angeboten, wie viel kostet eine Foodbox, wann können Nutzer sie abholen. Tippen die Nutzer auf die Vorschau, zeigt die App eine kurze Beschreibung des Restaurants an, die genaue Adresse und wie viele Foodboxen es dort noch gibt. Über den "Auswählen"-Knopf können Nutzer schließlich die Zahl der Boxen bestimmen und bestellen. Allerdings können Nutzer nur mit einem Paypal-Konto bezahlen.

Viele Restaurants verkaufen Übriggebliebenes erst spät am Abend

Nach dem Kauf erhält der Nutzer einen virtuellen Gutschein. Den kann er einlösen, wenn er das Essen abholt. Ein Nachteil: Viele Restaurants verkaufen ihre Foodboxen erst spät am Abend, kurz bevor sie schließen. So kann der Kunde das Essen beispielsweise erst um 21 Uhr oder noch später abholen. Bei Bäckereien und Cafés sieht es anders aus, sie können schon am Nachmittag übrig gebliebene belegte Brötchen in die Box packen.

Mealsaver hat den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung nicht erfunden. Nahezu identisch funktioniert der Service "Too good to go" für Android, iPhone und den Browser. Die Anwendung kommt aus Dänemark und ist seit April 2016 in Deutschland verfügbar. Wie bei Mealsaver liegt der Fokus auf Berlin mit etwa 50 und Hamburg mit etwa 20 Restaurants. Auch im Ruhrgebiet, in München oder Dresden hat das Unternehmen Partner gefunden.

Ein anderes Konzept gegen Lebensmittelverschwendung verfolgt die Plattform Foodsharing. Hier können sich Privatpersonen anmelden, die übrig gebliebene Lebensmittel kostenlos abgeben möchten, zum Beispiel, weil sie in den Urlaub fahren oder zu viel eingekauft haben. Ein Netzwerk aus Ehrenamtlichen holt außerdem Essen von Betrieben ab und stellt es bei Foodsharing ein oder verteilt es an Tafeln oder andere gemeinnützige Vereine.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2017
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