Lebensmittelverschwendung:Unser täglich Brot

Jahr für Jahr landen Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll - das liegt auch an den Verbrauchern, die schlecht planen und stets volle Regale verlangen.

Georg Etscheit

Wie wäre es damit? Übrig gebliebene Lachsschnitte an halb aufgegessenem Hamburger? Oder: vertrocknete Laugenbrezel an verschimmelten Bio-Aprikosen? Oder auch: alter, überbackener Käsetoast in undefinierbarem Brei aus vergammeltem Obst und Gemüse.

Lebensmittelverschwendung: Lebensmittel im Müll - das liegt auch an schlechter Planung der Verbraucher.

Lebensmittel im Müll - das liegt auch an schlechter Planung der Verbraucher.

(Foto: Foto: dpa)

Solcherlei kulinarische Extravaganzen finden sich in den blauen Mülltonnen, die ein Spezial-Lkw der Recyclingfirma Berndt gerade am Unternehmenssitz in Oberding nahe des Münchner Flughafens angeliefert hat.

Lkw-Ladung Lebensmittel entsorgt

Ein Gabelstapler packt gleich drei Tonnen auf einmal und kippt ihren Inhalt in eine große Stahlmulde. Die bräunliche, säuerlich riechende Brühe darin als unappetitlich zu bezeichnen, wäre eine charmante Untertreibung.

Am Rande der Mulde stehen Kartons mit feinen Pralinen, deren Verfallsdatum vor einem Jahr abgelaufen ist, ehedem tiefgefrorene "Steinofenbaguettes Tomate-Basilikum" und gleich eine ganze Euro-Palette mit Plastikschälchen voller "Scampi in Senf-Honig-Sauce".

Das Verfallsdatum ist laut Etikett noch nicht überschritten. "Wahrscheinlich ist da die Kühlkette gerissen", sagt Adalbert Berndt. "Manchmal kommt es vor, dass bei einem Kühl-Lkw auf der Autobahn das Klimaaggregat ausfällt und der Laster direkt zu uns zur Entsorgung umgeleitet wird."

70.000 Tonnen verarbeitet das Entsorgungsunternehmen im Jahr

Dann verschwindet eine ganze Lkw-Ladung eigentlich noch genießbarer Lebensmittel in dem stinkenden Loch. Und kommt am anderen Ende der Recyclingmaschine nach Zerkleinerung und Aussieben der Verpackungsbestandteile als Gärsubstrat (Markenname: "Bio-Power") für die Biogasanlage wieder heraus.

Speisereste und Lebensmittelabfälle mit tierischen Anteilen einfach an Schweine zu verfüttern, wie es einst üblich war, ist seit 2006 aus seuchenrechtlichen Gründen verboten.

Adalbert Berndt ist Seniorchef des gleichnamigen Familienunternehmens, das sich auf die Entsorgung von Tierkörpern, Schlachtabfällen, Speiseresten und überlagerten Lebensmitteln spezialisiert hat. Allein 70.000 Tonnen verarbeitet das Unternehmen pro Jahr, zwölf Tonnen sind es stündlich. Das anrüchige Geschäft betreiben die Berndts in fünfter Generation.

Das heißt, gar so anrüchig ist es nicht: Eine eigens von der Firma Berndt entwickelte biologische Abluftreinigung gewährleistet, dass außerhalb der Produktionshallen olfaktorisch so gut wie nichts wahrzunehmen ist. Und das Abwasser wird dank einer eigenen Kläranlage so sauber in den kleinen Bach Dorfen eingeleitet, dass sich darin sogar der Biber wohlfühlt.

Halb leer gegessene Buffets

Insofern geht hier offenbar alles mit rechten Dingen zu. Jedenfalls wenn man vor der Tatsache gnädig die Augen verschließt, dass hier nicht x-beliebiger Müll entsorgt, sprich vernichtet wird, sondern Lebensmittel. All die nicht leer gegessenen Teller aus unzähligen Restaurants, Hotels und Imbissbuden, all das auf Vorrat Gekochte aus Mensen und Kantinen, all die nur halb leer gegessenen kalten und warmen Buffets, die Cateringunternehmen anrichten.

Dazu Fehlchargen aus der Lebensmittelindustrie, sogenannte Transportverluste, oder überlagerte Lebensmittel aus den Supermärkten, wobei "überlagert" nicht unbedingt heißen muss, dass die betreffenden Lebensmittel nicht mehr verzehrt werden könnten. Sie dürfen nur nicht mehr, wie es das Gesetz bestimmt, "in Verkehr gebracht" werden.

Auf der nächsten Seite: Millionen Tonnen Lebensmittel werden nicht verzehrt, sondern weggeworfen.

Unser täglich Brot

Die eine Seite unserer Hyperkonsumgesellschaft, das sind die prächtigen Gourmettempel und Lebensmittelabteilungen in den schicken Kaufhäusern, wo es scheint, als wäre die Erde ein einziges Schlaraffenland, in dem jederzeit an jedem Ort jede erdenkliche Köstlichkeit verfügbar ist - zumindest für die, die es sich leisten können. Die andere Seite des Dauer-Überflusses, das ist die ekelerregende Brühe, mit der Entsorger wie die Firma Berndt ihr Geschäft machen.

Etwa zehn Prozent aller Lebensmittel landen ungeöffnet im Hausmüll

Das Thema ist heikel. Niemand redet besonders gerne darüber, dass in Deutschland und vielen anderen Ländern Millionen und Abermillionen Tonnen Lebensmittel nicht verzehrt, sondern weggeworfen werden. Eine Tatsache, die Bernhard Walter von der Organisation "Brot für die Welt" schlicht als "Skandal" bezeichnet, angesichts einer geschätzten Zahl von 862 Millionen hungernden Menschen auf diesem Planeten. Und in einer Zeit, in der immer häufiger von drastisch steigenden Lebensmittelpreisen und sogar Hungerrevolten die Rede ist.

Vielleicht will auch niemand so genau wissen, was alles täglich in der Müllverbrennung oder beim Recycler landet. Keine Statistik berichtet davon. Es gibt nur Anhaltspunkte, Schlaglichter. So fallen nach Aussage von Uwe Kohl vom Bundesverband Nahrungsmittel- und Speiseresteverwertung (BNS) jedes Jahr in Deutschland etwa zwei Millionen Tonnen gewerbliche Speisereste an.

Das entspricht einem "Futteräquivalent" von 400.000 Tonnen Weizen oder Gerste plus 100.000 Tonnen Sojaextraktionsschrot, einem Nebenprodukt der Ölgewinnung aus Sojabohnen. Österreichische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass etwa zehn Prozent aller verpackten Lebensmittel ungeöffnet im Hausmüll landen.

390 Euro jährlich pro Haushalt

Der Wert dieses vormals verzehrfähigen Restmülls entspricht nach einer Analyse des Marktforschungsunternehmens GfK knapp 390 Euro pro Haushalt und Jahr. Auf deutsche Verhältnisse übertragen wären das fast 15 Milliarden Euro im Jahr, was rund zehn Prozent des jährlichen Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandel entspricht. "Zahlen, die zum Nachdenken anregen", heißt es in der GfK-Analyse lakonisch.

In anderen Ländern sieht es nicht weniger schlimm aus. Nach einer im Dezember 2006 veröffentlichten Studie des Wissenschaftlers Timothy Jones von der University of Arizona in Tucson landen in den USA, dem Mutterland des Massenkonsums, jedes Jahr 35 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Wert: 30 Milliarden Dollar. Besonders groß sind die Verluste in Geschäften, wie es sie immer öfter auch hierzulande gibt, wo Pizzen, frische Sandwiches, Bagels und anderes zum umstandslosen Verzehr angeboten wird.

Der Mangel an wirklich systematischen Daten ist erstaunlich, aber vielleicht auch auf die einfache Tatsache zurückzuführen, dass die Erforschung der Müllströme keine besonders attraktive Aufgabe ist. Felicitas Schneider weiß das. Sie ist, wie es in Österreich heißt, eine "Mistkübelstierlerin". Als Mitarbeiterin des Instituts für Abfallwirtschaft der Wiener Universität für Bodenkultur hat sie untersucht, was in Haushalten so alles weggeworfen wird. Sechs bis zwölf Prozent des Restmülls, hat Schneider herausgefunden, sind verpackte Lebensmittel.

Auf der nächsten Seite: Wühlen in der Mülltonne - "Wir finden originalverpacktes Bio-Fleisch".

Unser täglich Brot

"Da finden wir Biofleisch, das originalverpackt ist, ebenso wie halbvolle Packerl Mehl." Dazu kommen noch bis zu sechs Prozent der Restmüllmenge, die aus zubereiteten Speisen besteht, sowie eine unbekannte Menge an Suppen, Saucen und Fetten, die über den Kanal entsorgt werden. Weiteres landet in der Biotonne und auf dem Kompost oder wird direkt an Haustiere verfüttert. "Viele Leute planen nicht gut. Sie kaufen am Wochenende groß ein und gehen dann doch spontan ins Restaurant. Dann verfallen oft die Lebensmittel und wandern in den Müll." Gravierende Verluste entstünden auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette von der Produktion bis zum Endverbraucher, sagt Schneider.

Jedes fünfte Brot wird weggeworfen

Brot galt einmal als heilig. Heute wird ohne viel Aufhebens etwa jedes fünfte Brot weggeworfen. "Es wird wesentlich mehr produziert, als benötigt wird", stellt Peter Lechner, Chef des Wiener Uni-Instituts fest.

Wer für diese Situation verantwortlich ist, das ist schon fast eine philosophische Frage. Der Handel jedenfalls hat die Schuldigen längst gefunden: Die Verbraucher, die immer das volle Sortiment verlangten. "Regallücken", sagt Andreas Krämer, Sprecher von Rewe, "müssen unter allen Umständen vermieden werden".

Schließlich wolle der Kunde auch am Abend noch seinen Erdbeerjoghurt. "Wenn er das, was er wünscht, nicht mehr findet, ärgert er sich und geht vielleicht zur Konkurrenz." Auch ausgeklügelte Warenwirtschaftssysteme seien keine Patentlösung. Alle Planung habe ihre Grenzen, weil der Kunde, so der Handelsprofi, letztlich unberechenbar sei.

Leere Regale als Lösung?

Helmut Martell, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Großbäckereien, findet die Überproduktion von Brot "ärgerlich", verweist aber gleichfalls auf entsprechende Kundenwünsche "Leere Regale, das hatten wir ja schon mal. In den HO-Läden." Bliebe also nur der Weg, den Walter Bernhard von "Brot für die Welt" vorschlägt. Die allgemeine Wertschätzung für Lebensmittel müsse wieder steigen, dann würde auch weniger weggeworfen. "Wir brauchen einen Bewusstseinswandel", sagt Walter.

Ansätze für einen weniger verschwenderischen Umgang mit Lebensmitteln gibt es: Ein beliebiger Wochentag in der Münchner City. Vor dem Geschäft der Hofpfisterei in der Blumenstraße, einer Münchner Öko-Großbäckerei, hat sich eine lange Schlange gebildet. Hier stehen Hartz-IV-Empfänger, Schnäppchenjäger oder ältere Leute, die frisches Brot nicht vertragen, für "Gutes von gestern" an.

Den klassischen Pfister-Laib gibt es hier für zwei Euro je zwei Kilo. Frisch kostet das Brot mehr als viermal so viel. "Der Laden wird immer leergeräumt bis aufs letzte Brot", sagt die Sprecherin des Unternehmens. Ein ganz kleiner Rest werde an Öko-Bauernhöfe in der Umgebung geliefert. "Natürlich gehört es auch zu einer ökologischen Firmenpolitik, nicht auf Teufel komm raus zu produzieren."

Andere Großbäcker spendieren ihr überschüssiges Brot an Tierparks oder geben es einer der rund 800 Tafeln in Deutschland. Die eröffnen derzeit den wichtigsten Weg, Lebensmittelreste sinnvoller zu verwerten als über die Lebensmittelrecycler. Mehr als 100.000 Tonnen erhalten und verteilen die Tafeln pro Jahr an bedürftige Menschen; fast alle großen Lebensmittelhändler von Lidl bis Metro arbeiten mit den Tafeln zusammen. "Unsere Partner zeigen soziales Engagement und sparen dadurch schließlich auch Entsorgungskosten für Lebensmittel, die voll verzehrfähig sind", sagt Anke Assig vom Bundesverband Deutsche Tafel.

"Containern" - gegen den Willen der Händler

Manche Menschen greifen zur Selbsthilfe und wühlen in den Abfallbehältern der Supermärkte nach Essbarem. Das auch bei Öko-Aktivisten beliebte "Containern" ist bei Händlern nicht gerne gesehen, weil weggeworfene Lebensmittel offiziell für den menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet sind und womöglich komplizierte Haftungsfragen berührt werden könnten.

Im Internet im "autonomen container-blog" schildern die Müll-Revoluzzer ihre Erfahrungen und zeigen Bilder eines reich gedeckten Tisches: Bananen, Paprika, Radieschen, Bio-Basilikum im Töpfchen, Kartoffeln, Mais, Toastbrot, Milch, Joghurts, Nudeln - alles fand sich im Müllcontainer.

Zu einem besonderen Mittel, Lebensmittelabfälle zu vermeiden, haben vergangenes Jahr Restaurantbesitzer in Hongkong gegriffen. Sie drohten Kunden, die sich in den beliebten All-you-can-eat-Lokalen viel zu viel auf den Teller laden, mit Strafen für übriggelassene Speisen. Hongkong hat nämlich ein Platzproblem und weiß nicht, wohin mit dem Müll.

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