Alte Kleidung zum Beispiel geht ganz schnell. Die fleckigen Kartoffeln, zwei Eier, zwei Tomaten, das noch gute, aber nicht mehr ganz so frische Fleisch. Zehn Minuten, dann ist die "alte Kleidung" fertig. Sagt zumindest das Ernährungsministerium.
Zu finden sind solche Rezepte in einer App des Ministeriums, sie heißt: "Beste Reste". Wie Kochsendungen die Deutschen von der Fertigkost weglocken sollen, will die App sie nun von sinnloser Verschwendung abhalten: Sind Lebensmittel nicht mehr ganz makellos, gehören sie noch lang nicht in den Müll. Wer noch kalte Bratwürste übrig hat, die Spaghetti vom Vortag oder hartes Weißbrot, kann da unter fast 700 Rezepten auswählen. Besser als wegschmeißen ist das allemal.
Die Dimension des Problems ist immens. Allein in Deutschland enden Schätzungen zufolge mindestens elf Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll, Jahr für Jahr. Zur gleichen Zeit leiden weltweit mehr als 800 Millionen Menschen akuten Hunger. Nach Zahlen der Umweltstiftung WWF werden in Deutschland auf 2,6 Millionen Hektar Nahrungsmittel angebaut, die nie jemanden ernähren - rund 15 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche. 38 Millionen Tonnen Treibhausgase entfallen nach Daten des Umweltbundesamtes auf Lebensmittel, von denen keiner lebt - vier Prozent der hiesigen Treibhausgas-Emissionen. "Oder 270 Milliarden gefahrene Autokilometer", wie Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sagt.
Das will die CDU-Frau nun ändern, nicht nur per App: Am Mittwoch verabschiedete das Kabinett ihre "Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung". "Jeder sollte in seinem Alltag unseren Lebensmitteln die gebührende Wertschätzung entgegenbringen", heißt es darin. Und "jeder" meint diesmal tatsächlich jeden und jede, sehr zur Freude von Umweltschützern.
Die Verschwendung hat schon diverse Ernährungsminister beschäftigt. Ilse Aigner (CSU) lud ins Kochstudio, ihr Nachfolger und Parteifreund Christian Schmidt propagierte eine Pappschachtel namens "Beste-Reste-Box": Für die Überbleibsel der wieder mal viel zu großen Portion im Restaurant. Adressaten waren meist die Verbraucher selbst. Dabei stehen die nur für rund 40 Prozent der vergeudeten Lebensmittel. Die übrigen 60 Prozent landen woanders auf dem Müll.
Die meisten Lebensmittel vergammeln keineswegs im heimischen Kühlschrank
Da wäre etwa frisch geerntetes Obst und Gemüse, das keine Abnehmer findet oder schon im Lager vergammelt. Da wären Kantinen, die mehr kochen als nötig und für die Überschüsse keine Verwendung haben. Da wären die Verarbeiter von Lebensmitteln, bei denen in der Produktion etwas schiefläuft oder Einzelhändler, die zu viel bestellt haben. "Lebensmittelabfälle entstehen an jedem Punkt der Lebensmittelversorgungskette", heißt es in der Strategie. Deren letzter Punkt, der heimische Kühlschrank, ist den meisten nur besonders gut vor Augen - wenn der Quark mal wieder im hintersten Eck des Kühlschranks gelandet ist oder der Salat unbemerkt dahinwelkt. Zu allem Überfluss aber, sagt Klöckner, verwechselten viele Verbraucher das Mindesthaltbarkeits- mit einem Verfallsdatum. Genießbares landet so millionenfach vorzeitig in der Tonne.
Harte Schritte sieht die Bundesregierung erst einmal nicht vor - aber die Strategie weitet den Blick. So soll ein eigener Indikator entstehen, der über alle Produktionsstufen die Vergeudung abbildet. Dadurch soll transparent werden, wo letztendlich wie viele Lebensmittel in der Tonne verschwinden. Eine bestehende Arbeitsgruppe von Bund und Ländern zum Thema soll sich der Frage widmen, ob es neue Regeln gegen die Verschwendung braucht.
Einstweilen sollen Unternehmen freiwillig analysieren, wo in ihrer Produktion Nahrhaftes vernichtet wird. "Niemand verliert gerne Lebensmittel, in denen wertvolle Arbeitskraft und wertvolle Rohstoffe stecken", heißt es beim Lebensmittel-Branchenverband BLL. Zu hohe Auflagen lehnt die Industrie ab, mit Verweis auf Gesundheitsvorgaben: Auch deshalb lande vieles auf dem Müll. "Natürlich steht außer Frage, dass an erster Stelle immer der Gesundheitsschutz der Verbraucher steht", sagt BLL-Chef Marcus Girnau. Die Frage sei aber, wann Produkte vernichtet werden müssten, obwohl sie nicht gesundheitsschädlich sind. Pauschal lässt sich die allerdings kaum beantworten.
Die Grünen vermissen einmal mehr "klare Ansagen"
Den Grünen dagegen geht die Strategie schon jetzt nicht weit genug. Klöckner setze "wieder einmal nur auf Freiwilligkeit statt auf Regulierung", sagt Renate Künast, selbst ehemalige Ernährungsministerin. "Wir brauchen klare Ansagen in allen Bereichen der Wertschöpfungskette." Ihr schwebt zum Beispiel ein Ausstieg aus der Massenproduktion in der Landwirtschaft vor oder eine Obergrenze für die Lebensmittelverschwendung in der Industrie.
So bleibt Klöckners Strategie auch eine Art Selbstversuch. Gelingt es, mit Aufklärung und Appellen, mit Arbeitsgruppen und viel gutem Willen, die Vergeudung einzudämmen? Helfen soll auch die Digitalisierung. Als besonders notorische Verschwender etwa gelten bislang junge Menschen, die nicht durch dieselbe Schule der Entbehrungen gegangen sind wie ihre Großeltern. Soziale Medien wie Instagram und Twitter will der Bund deshalb nun nutzen, um die Wertschätzung von Lebensmitteln auch bei jungen Menschen zu erhöhen. Und auch den Tafeln könnten digitale Kanäle helfen. Zuletzt nahmen sie 260 000 Tonnen Lebensmittel ab, meist leicht fleckige, aber noch sehr genießbare Produkte aus dem Einzelhandel. In der digitalen Welt könnten solche Überschüsse künftig noch leichter an die Bedürftigen gelangen, genau wie überzähliges Kantinenessen. Auch das soll nun erprobt werden.
Eine erste Zwischenbilanz muss der Bund 2025 ziehen, auch zu seinem Ansatz der Freiwilligkeit: Bis dahin, so will es EU-Richtlinie 2018/851, soll die Menge an Lebensmittelabfällen um 30 Prozent gesunken sein, bis 2030 soll sie sich halbiert haben. Die EU wiederum bezieht sich auf die 2015 erlassenen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. "Wir alle sind gefragt", sagt Ministerin Klöckner. "Und das fängt dort an, dass man selber riecht, schmeckt und probiert." Um dann am Ende zu entscheiden: Da geht noch was.