Lebensmittelverschwendung:In die Tüte statt in die Tonne

Start-up Dörrwerk

40 Gramm Esspapier stecken in einer Tüte, zum Preis von drei Euro.

  • Das Berliner Start-up Dörrwerk stellt Esspapier aus Obst her, das andernfalls im Müll gelandet wäre.
  • Gründer Zubin Farahani kämpft gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Jeder Deutsche wirft jährlich mehr als 80 Kilogramm noch essbare Lebensmittel weg.

Von Vivien Timmler

Es war herrlich pastellfarben, kostete nur ein paar Pfennige und schmolz auf der Zunge, wenn man nur lange genug wartete. Geschmeckt hat es eigentlich nach nichts, aber das war egal: Millionen Menschen haben sich mit Esspapier die Kindheit versüßt.

In einer Zeit, in der Ernährungsforscher vor dem Verzehr von zu viel Zucker und mithin auch Süßigkeiten warnen, wirken die blassen Blättchen aus Wasser, Mehl, Stärke und Süßstoff irgendwie fehl am Platz. Der Snack des 21. Jahrhunderts muss gesund sein, am besten ohne Zucker, und dick machen darf er eigentlich auch nicht.

Das "Fruchtpapier" des Start-ups Dörrwerk erfüllt all diese Kriterien mühelos. Aus pürierten Früchten, die aufgrund von Mängeln nie im Supermarkt landen würden, macht die Berliner Obstmanufaktur hauchdünne Blättchen, die äußerlich durchaus dem klassischen Esspapier ähneln. Mit einem entscheidenden Unterschied: Sie sind gesund.

Fast elf Millionen Tonnen Essen werfen die Deutschen jährlich weg

Gründer Zubin Farahani ging es von Anfang an jedoch vor allem um den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung. Mehr als 80 Kilogramm noch verzehrbarer Lebensmittel wirft ein Deutscher pro Jahr in die Tonne. Auch beim Anbau, beim Transport und bei der Lagerung von Obst und Gemüse wird radikal aussortiert. Was kleine Dellen, Flecken oder andere Makel hat, ist häufig nicht gut genug für den Einzelhandel. Knapp elf Millionen Tonnen Lebensmittel wandern jedes Jahr in Deutschland in den Müll, fand die Universität Stuttgart in einer Studie heraus. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, diese Menge bis zum Jahr 2030 zu halbieren.

Lange trug Farahani den Wunsch mit sich herum, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Dafür gab er den Job als Assistenzarzt in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses auf und machte sich auf die Suche: erst nach einer Idee, dann nach einem Konzept, schließlich nach Investoren. Er knüpfte Kontakte in die Berliner Foodsharing-Szene, also zu Menschen, die noch verzehrbare Lebensmittel retten, die sonst auf den Abfall wandern, und sie mit anderen teilen. Die Lebensmittelretter gehen zu Bauern, auf Märkte oder zu Großhändlern und sammeln Obst, Gemüse und andere Lebensmittel ein.

Aus Iran, der Heimat seiner Eltern, kannte Farahani Lavashak - eine Süßigkeit aus Pflaumen oder Sauerkirschen. "Lavashak schmeckt säuerlich, die Konsistenz ist ledrig. Als Kind mochte ich es überhaupt nicht, aber ich wusste, dass ich es besser machen kann", sagt Farahani.

Er experimentierte, pürierte Kilo für Kilo das Obst, das ihm die Bauern auf dem Markt gegeben hatten. In einem kleinen Dörrofen trocknete er das Fruchtpüree zu feinem Papier, aber es wurde nicht so knusprig, wie er es sich vorgestellt hatte. Größere und leistungsstärkere Dörröfen mussten her. Farahani startete eine Crowdfunding-Kampagne. Dabei wird das Kapital über eine Vielzahl an Geldgebern über ein Onlineportal gesammelt. Es ermöglichte ihm, Rezeptur und Herstellung zu optimieren.

Ein halbes Kilo Frischobst pro 40-Gramm-Tüte

Heute wird das Obst in mehreren Schritten gereinigt, zerkleinert und erhitzt. Basis für alle drei Fruchtpapiersorten sind Äpfel. "Hinzu geben wir entweder Ananas, Mango oder Erdbeeren und einen Spritzer Zitronensaft. Mehr nicht", sagt Farahani. Das Fruchtpüree wird hauchdünn auf Silikonmatten aufgetragen und dann über viele Stunden bei Niedrigtemperatur gedörrt. 2000 Tüten stellt das Unternehmen mittlerweile täglich in seinen Räumen in einer roten Backsteinfabrik am Rande Berlins her.

Das Papier verkauft Dörrwerk über die eigene Webseite und einige Feinkostläden. Eine 40-Gramm-Tüte kostet drei Euro, was viele Kunden als zu viel empfänden und deshalb sein Geschäftsmodell infrage stellten, so Farahani. "Einige Leute denken, wir bekommen das Obst geschenkt und machen das Geschäft unseres Lebens. Aber das stimmt einfach nicht", sagt er.

Vom Wochenmarkt holen er und seine Kollegen das Obst schon lange nicht mehr. Vielmehr fahren sie mit Lastwagen während der Erntezeit zu Landwirten oder zu Großhändlern, wenn es sich um Tropenfrüchte handelt. Natürlich zahle er für sein Obst weniger als für erstklassige Ware, sagt er - aber trotzdem einen angemessenen Preis, von dem auch die Bauern leben können.

Zudem steckt in einer einzelnen Tüte mehr als das Gewicht vermuten lässt. Durch das Dörren verliert das Fruchtpüree viel Wasser und schrumpft im Ofen auf etwa ein Zehntel seines ursprünglichen Gewichts. In eine Tüte wandert also etwa ein halbes Kilogramm frisches Obst.

35 Tonnen Obst allein in diesem Jahr gerettet

20 Tonnen Äpfel und 15 Tonnen Tropenfrüchte hat das Start-up schon in diesem Jahr gerettet und damit allein im ersten Quartal 2016 so viel Umsatz gemacht wie im gesamten Vorjahr.

Momentan arbeiten Farahani und seine Mitarbeiter fieberhaft an neuen Sorten. Schließlich werden längst nicht nur Äpfel, Erdbeeren und Tropenfrüchte in Massen weggeworfen, wenn sie nicht schön oder schmackhaft genug sind. Hin und wieder probieren sie dabei auch ungewöhnliche Kombinationen aus, Kohl zum Beispiel. Der riecht in getrocknetem Zustand jedoch alles andere als appetitlich. So wird wohl zuerst noch Obst gerettet.

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