Lebensmittelpreise:Schlaraffenland Deutschland

Nie zuvor war Essen in Deutschland so billig. Doch der wahre Preis ist viel höher. Denn den Rest der Zeche zahlen irgendwann auch wir selbst.

Silvia Liebrich

Ein gepflegter Osterschmaus sieht in vielen Haushalten so aus: buntbemalte Eier zum Frühstück, am Mittag der obligatorische Lammbraten und später ein Stück Kuchen - vielleicht mit Erdbeeren und Sahne - und natürlich Kaffee, am liebsten mit frischer, aufgeschäumter Milch. Nicht zu vergessen die süßen Kalorienbomben aus Schokolade und Zuckerguss, die wohltätige Osterhasen in den Osternestern hinterlassen haben.

Lebensmittelpreise: Die Discounter sind schuld: In Deutschland ist Essen besonders billig.

Die Discounter sind schuld: In Deutschland ist Essen besonders billig.

(Foto: Foto: AP)

An Feiertagen wie diesen denken wir trotz Wirtschaftskrise nicht ans Sparen, schon gar nicht beim Essen. Doch wissen wir überhaupt, woher all die Leckereien stammen? Ist der Preis angemessen, den wir dafür zahlen? Können wir uns überhaupt noch vorstellen, auf das reichhaltige Nahrungsangebot zu verzichten?

Ostern markiert in der christlichen Welt das Ende der Fastenzeit, die - je nach Auslegung - beispielsweise den Verzicht auf Fleisch, Milch, Kaffee oder Alkohol vorschreibt, Bier ausgenommen. Besonders strenge Sitten herrschten in dieser Hinsicht im Mittelalter, als die Kirchenoberen ihren Schäfchen nur eine magere Tagesration von drei Bissen Brot und drei Schluck Bier oder Wasser zugestanden. Welcher Anteil der damals noch schwer körperlich arbeitenden Bevölkerung sich daran hielt, ist nicht überliefert.

Heute hilft die Statistik weiter. Die Umfragen zeichnen jedoch ein ernüchterndes Bild: Nur 13 Prozent der Deutschen nehmen sich noch vor zu fasten, noch weniger tun es dann tatsächlich.

Es fällt schwer zu verzichten angesichts eines Nahrungsangebots, das nie größer und verlockender war. Frische Erdbeeren zu jeder Jahreszeit sind selbstverständlich, ebenso wie exotische Früchte aus dem Herzen Afrikas oder Fischspezialitäten aus der Karibik. Kochen braucht niemand mehr selbst, wenn er nicht mag. Die Lebensmittelindustrie füllt diese Lücke mit einer Palette an Fertigprodukten, die kaum noch Wünsche offen lässt. Selbst so banale Gerichte wie Rührei mit Brot lassen sich mit etwas Glück im Tiefkühlregal finden. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die nicht kochen können, trotz der Flut von Koch-Shows, mit denen Fernsehkanäle ihr Publikum traktieren.

Leben im Überfluss

Die Folgen sind schwerwiegend. In Europa halten die Deutschen den wenig schmeichelhaften Rekord, die Dicksten zu sein. Drei Viertel der Männer und zwei Drittel der Frauen bringen zu viel auf die Waage.

Die Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher ist alarmierend. Auf der anderen Seite leiden schätzungsweise zwei Prozent der Bevölkerung, vor allem junge Frauen, an Essstörungen wie Magersucht oder Brechsucht. Auch ihnen fehlt das Gefühl für ein gesundes Maß. Zivilisationskrankheiten wie diese häufen sich in der Regel immer dann, wenn ein Überangebot an Nahrung herrscht. Bereits die alten Römer kannten sie. Sie konnten in den von ihnen eroberten Gebieten aus dem Vollen schöpfen. In der reichen Oberschicht war maßlose Völlerei gang und gäbe und gehörte zum Lebensstil.

Der Überfluss der Neuzeit lässt sich genauso am Inhalt unserer Mülltonnen ablesen. Jedes fünfte Brot wird weggeworfen. In Deutschland landen jedes Jahr Lebensmittel im Wert von 500 Millionen Euro im Abfall. Eine solche Verschwendung wäre für die Generationen unserer Großeltern und Urgroßeltern unvorstellbar gewesen; für den Großteil der Weltbevölkerung, die in Entwicklungsländern lebt und von der eine Milliarde als unterernährt gilt, ist es auch heutzutage unvorstellbar.

Hungerlohn in der Plantage

Viele ärmere Staaten, besonders wenn sie nicht über Rohstoffvorkommen verfügen, leben vom Export ihrer Agrarerzeugnisse, die anschließend von Lebensmittelkonzernen in Industrieländern weiterverarbeitet werden. Beispiel Kakao, wichtiger Bestandteil in Millionen Schokohasen, die wir jedes Jahr verspeisen. Einer der größten Lieferanten ist die afrikanische Elfenbeinküste, wo ein Heer rechtloser Landarbeiter, unter ihnen viele Kinder, für einen Hungerlohn in den Plantagen schuften. An den internationalen Rohstoffbörsen ist der Wert der Rohware Kakao in den vergangenen Jahrzehnten so stark gefallen, dass Kakao am Ladenpreis eines Schokohasen nur noch einen sehr geringen Bruchteil ausmacht.

Doch man muss nicht bis nach Afrika schauen, um herauszufinden, warum Essen für uns billiger ist denn je - knapp zwölf Prozent des Budgets gibt ein deutscher Haushalt im Durchschnitt für Nahrung aus, in der Nachkriegszeit war es noch mehr als die Hälfte. Im internationalen Vergleich essen die Deutschen ebenfalls äußerst günstig.

Dazu trägt auch die starke Ausbreitung von Discountern wie Aldi und Lidl bei, die im deutschen Lebensmittelhandel den Ton angeben. Vor dieser Marktmacht müssen vor allem kleine Erzeuger kapitulieren. Deutsche Bauern bekommen inzwischen so wenig Geld für den Liter Milch, dass viele in den kommenden Jahren aufgeben werden. Dank Massenhaltung kostet das Kilogramm Schweinefleisch im Supermarkt kaum mehr als drei Euro. Mit Hilfe von Pestiziden und Dünger wird aus den Böden herausgeholt, was nur geht, und so der Getreidepreis gedrückt. Nicht miteingerechnet: die Folgeschäden für die Umwelt, welche die industrielle Landwirtschaft verursacht.

Die Art, wie wir essen und was wir essen, hat also ihren Preis. Klar ist auch, dass sich dieser nicht komplett auf dem Kassenbon niederschlägt. Auf Dauer ist ein solcher Zustand jedoch unhaltbar. Den Rest der Zeche zahlen zur Zeit andere und irgendwann auch wir selbst. Das Schlaraffenland Deutschland ist auf einem brüchigen Fundament errichtet.

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