Lebensmittelkontrollen:Wenn die Gen-Papaya Alarm auslöst
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Pferde-DNA und Pistazien voller Pilzgift: Die Datenbank des EU-Alarmsystems für Lebensmittel zeigt, was Kontrolleure in unserem Essen finden. Ganz transparent ist das System aber nicht.
Von Jannis Brühl
Die Messerklinge, die Kontrolleure aus einer Packung französischer Brötchen fischten, war wohl ein Einzelfall. Genau wie die Nagetier-Exkremente in kasachischem Leinsamenöl. Beide sind im Lebensmittel-Schnellwarnsystem RASFF (Rapid Alert System for Food and Feed) gelandet. In der Datenbank der EU (plus Norwegen, Schweiz, Liechtenstein und Island) werden alle Schweinereien gespeichert, die Kontrolleure bei Lebensmittelkontrollen finden und den anderen Mitgliedsländern melden.
Manche der Zahlen zeigen Muster, machen ernste Probleme deutlich im globalen Handel mit dem, was wir täglich essen: plötzliche Anstiege von Salmonellen-Funden gehören etwa dazu oder Nüsse, die immer wieder durch Pilzbefall auffallen.
Markt- und Grenzkontrolleure, Prüfer der Unternehmen und Verbraucher melden nationalen Ämtern Probleme mit bestimmten Nahrungsmitteln und Getränken: verbotene Inhaltsstoffe, Überschreitungen von Grenzwerten und Dinge, die eben nicht ins Essen gehören. Besteht nach Einschätzung der nationalen Aufseher Gesundheitsgefahr, lassen sie Ware zurückrufen, schicken Lieferungen aus Nicht-EU-Ländern wieder heim oder zerstören verseuchtes Essen gleich ganz. Und über das RASFF-System schlagen sie Alarm, damit auch EU und andere Regierungen entsprechend reagieren können.
331 Warnungen aus Deutschland
Aus Deutschland gemeldete Funde sind seit 2011 um mehr als 20 Prozent zurückgegangen - ein Indiz, dass die Kontrollen grundsätzlich funktionieren. Das heißt allerdings nicht, dass es keine Probleme mehr gibt. Deutschland warnte im vergangenen Jahr immerhin 331-mal, nur Italien schlug öfter Alarm, zeigen Zahlen aus dem vorläufigen Jahresbericht des EU-Kommissariats für Verbraucherschutz (PDF). SZ.de hat zusätzlich die RASFF-Meldungen aus Deutschland ausgewertet.
Am häufigsten wurden 2013 in Deutschland Grenzwertüberschreitungen für Aflatoxine festgestellt. In hohen Dosen schädigen diese Schimmelpilz-Gifte das Erbgut und werden für Leber- und Nierenkrebs verantwortlich gemacht. Saddam Hussein wollte aus ihnen einst Biowaffen bauen. Die Kontrolleure fanden sie vor allem an Feigen, Aprikosenkernen und Pistazien.
Behörden verweisen auf die Schwierigkeit, aus den RASFF-Zahlen generelle Tendenzen für die Lebensmittelsicherheit abzuleiten. Mindestens eine Häufung von Fällen hat sie vergangenes Jahr aber wirklich aufgeschreckt: Die EU-weiten Funde von Salmonellen in Geflügel aus Brasilien haben sich binnen eines Jahres auf 107 verfünffacht, zeigt ein Blick in die Datenbank (Tabelle für 2011-2014). Die EU hat im Herbst vier Fleischproduzenten unter verschärfte Beobachtung gestellt und Inspektoren zu Farmen in den Bundesstaaten Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul geschickt. "Die Situation ist ein Grund zur Sorge", sagt ein EU-Sprecher SZ.de.
Das Problem ist noch nicht erledigt. Allein am 11. März verweigerten niederländische Kontrolleure die Einfuhr von mehr als 24 Tonnen Truthahnfleisch aus Brasilien in die EU wegen Salmonellen. Die Keime können Durchfall, Fieber, Erbrechen auslösen. Bei Kontakt mit rohem Fleisch können sie über den Mund oder kleine Wunden auf den Menschen überspringen, und für Kinder und ältere Menschen lebensbedrohlich sein.
In Deutschland wurden neben heimischen Produkten (die aufgrund des hohen Marktanteils deutscher Produkte auch häufig auffallen) Lebensmittel aus der Türkei, China und den Niederlanden am häufigsten beanstandet.
Zu beachten ist, dass Waren aus Nicht-EU-Ländern strenger kontrolliert werden, weil sie durch die Außengrenzen der EU müssen - und dementsprechend auch häufiger in der Statistik landen können.
Der EU-Bericht zeigt, welche Probleme in der gesamten Union am häufigsten auftraten: Aflatoxine in Nüssen aus der Türkei und China, Salmonellen in Geflügel aus Brasilien und Polen, Quecksilber in spanischem Fisch.
Die meisten Beanstandungen betrafen 2013 allerdings die Kategorie "Obst und Gemüse" - vom illegalen Insektizid auf Spargel bis zu gentechnisch veränderten Papayas aus Vietnam oder Thailand, die in Europa nicht zugelassen sind.
Die Zahlen zum Fleisch sind auch wegen der Funde von Pferde-DNA leicht angestiegen, die 2013 Schlagzeilen machten. Diese Meldungen hat die Verbraucher-Organisation Foodwatch aus der Datenbank gezogen (PDF).
Eines erfährt man aus der Datenbank allerdings nicht: Welche Unternehmen für die Vergehen verantwortlich sind und wie genau die betroffenen Produkte heißen. Deshalb fordern Verbraucherschützer, die EU müsse automatisch Namen nennen, die Lebensmittelindustrie stemmt sich aber gegen jede Form eines "Prangers".
Die Auswertung für die Grafiken beruht auf Meldungen des RASFF-Portals zu Lebensmitteln und Getränken (ohne Tierfutter und Essensutensilien) für Deutschland von 2011, 2012 und 2013. Manche Produkte zählen in den Grafiken mehrfach, weil sie mehrere Ursprungsländer haben - wenn sie zum Beispiel in den Niederlanden verarbeitet wurden, das Rohmaterial aber aus der Türkei kam.