Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelindustrie:Was die Werbung so verspricht

Die Verbraucher sind empört. Über eine Puddingverpackung, die gezielt Kinder locken will. Über ein Müsli, das mehr Zucker enthält als ein Butterkeks. Dabei sind die Verbraucher selbst das Problem. Sie sollten wissen, dass Werbung verführen, nicht informieren will - und die Zutatenliste lesen.

Ein Kommentar von Daniela Kuhr

Es ist nur ein kleiner Kommentar im Internet, aber er sagt einiges aus: "Super! Ein voller Erfolg für uns!", schreibt da jemand, der sich Apophis nennt. Es lohne sich, "nicht nur zu protestieren, sondern auch aktiv zu werden". Wieder einmal sei es gelungen, "die Welt Stück für Stück ein wenig zum Besseren zu verändern". Na, das klingt ja wirklich nach einem tollen Erfolg. Doch worum geht es eigentlich? Um eine Umgehungsstraße, die verhindert wurde? Eine Tiermastanlage? Oder ein Neubaugebiet?

Nein, es geht um einen Tee. Einen Kindertee des Herstellers Hipp. Weil dieser Zucker enthielt, wurde er im vergangenen Jahr von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch mit dem "Goldenen Windbeutel" ausgezeichnet und zur "dreistesten Werbelüge" des Jahres gekürt. Kurz darauf nahm Hipp den Tee vom Markt. Das also ist nun der Erfolg, der nach Ansicht von Apophis die Welt "ein wenig zum Besseren" verändert hat.

Man sieht: Wenn es um Lebensmittel geht, verstehen die Deutschen keinen Spaß. Natürlich hat Zucker in Tees für Kinder nichts verloren. Allerdings entsprach der Zuckergehalt des Hipp-Tees ziemlich genau dem einer Apfelsaftschorle, die aus zwei Teilen Wasser und einem Teil Apfelsaft besteht. Sicher, reines Wasser wäre besser. Aber kann man ernsthaft der Meinung sein, es sei schlimm um die Welt bestellt, wenn Kinder so etwas trinken?

"Vollwertiger Start" oder voll gelogen?

In dieser Woche hat Foodwatch die Verbraucher erneut dazu aufgerufen, ein Produkt für den Goldenen Windbeutel vorzuschlagen. Vermutlich werden sich wieder Zehntausende daran beteiligen. In der Tat gibt es eine Menge zu kritisieren an der Lebensmittelbranche. So ist es mehr als ärgerlich, wenn sich etwas "Erdbeerjoghurt" nennen darf, das keine Erdbeeren enthält, oder "Putenwurst", obwohl auch Schwein drin steckt, oder "Schwarzwälder Schinken", obwohl der Schinken ganz woandersher stammt. Es ist gut, dass Verbraucherschützer solche Irreführungen immer wieder anprangern.

Aber handelt es sich wirklich schon dann um eine "dreiste Werbelüge", wenn ein Müsli, das mehr Zucker als ein Butterkeks enthält, als "vollwertiger Start in den Tag" beworben wird? Oder wenn die ganze Aufmachung eines süß-klebrigen Puddings gezielt dafür genutzt wird, Kinder anzusprechen? Beides Beispiele, die in diesem Jahr für den Windbeutel nominiert sind.

Worin genau besteht denn in diesen Fällen die Lüge? Klar, die Hersteller tun so, als handele es sich um gesunde Lebensmittel, die für Kinder geeignet seien. Aber es ist immer noch Sache der Eltern zu entscheiden, was im Einkaufskorb landet. Und lernt man nicht bereits in der Grundschule, dass man nicht alles glauben darf, was die Werbung so verspricht? Schließlich wusch Persil in Wahrheit ja auch nicht weißer als weiß, und genauso wenig klappte es mit dem Nachbarn, nur weil man ein bestimmtes Spülmaschinen-Mittel verwendete. Wer glaubt, Werbung müsse den Verbraucher sachlich informieren, hat den Sinn nicht verstanden. Sie dient nicht dazu, über ein Produkt aufzuklären, sondern es anzupreisen. Je früher Kinder das lernen, umso größer ist die Chance, dass sie sich zu kritischen Konsumenten entwickeln.

Menschen fühlen sich der Lebensmittelindustrie ausgeliefert

Vor wenigen Tagen hat das Bundesamt für Risikoforschung eine Analyse veröffentlicht, nach der Lebensmittel in Deutschland heute nicht nur signifikant sicherer sind als früher, sondern auch qualitativ deutlich besser. Die Wahrnehmung der Bürger aber ist eine komplett andere: Nach einer repräsentativen Umfrage des Bundesamts halten sie Lebensmittel offenbar sogar für ein großes Risiko. Bei der Frage, was alles eine potenzielle Gefahr für die Gesundheit darstelle, landeten Lebensmittel mit gut 29 Prozent auf Platz zwei - und damit noch weit vor Zigaretten, Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Nur Umweltverschmutzungen und radioaktive Strahlungen sind in den Augen der Verbraucher noch gefährlicher.

Dieses verzerrte Bild zeigt: Während die Menschen glauben, Drogen und Zigaretten aus dem Weg gehen zu können, fühlen sie sich der Lebensmittelindustrie offenbar ausgeliefert. Dabei ging laut Bundesamt für Risikoforschung nicht einmal von Skandalen wie den Dioxin-Eiern, Pestizidfunden oder der Pferdefleisch-Lasagne eine Gefahr für die Gesundheit aus.

Und auch einen zu hohen Zucker-, Fett- oder Salzkonsum könnten die Verbraucher leicht vermeiden: Sie müssten nur auf die Verpackung schauen. Da ist fein säuberlich aufgelistet, wie viel Zucker, Fett, Salz und Kalorien enthalten sind. Wem das egal ist, wer trotzdem zugreift, einfach weil es ihm schmeckt, der hat keinen Grund, sich zu beschweren. Nicht die Industrie ist schuld, wenn er zu fett ist, sondern ganz allein er selbst.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2013/leja
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