Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelindustrie:Darf's etwas mehr sein?

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Lecker, gesund und billig soll das Essen im Supermarkt sein. Zu Besuch in einem Labor, das die Ware im Regal entwickelt.

Von Janis Beenen, Essen

Aus dem Fläschchen zieht ein strenger Geruch. Das soll Ananas sein? Riecht eher wie ein billiges Deo, dem der Hersteller vergebens eine exotische Note verpassen wollte. "Das ist Ananasaroma", sagt Lebensmitteltechnologe Harald Köster: "Riechen geht noch, zum Schmecken wäre das viel zu intensiv." Der Mann im weißen Kittel dreht die Ampulle zu und stellt sie in einen Kühlschrank zu etlichen anderen. Erst als minimaler Bestandteil in Essen oder Getränken erzielen die Aromen die gewünschte Wirkung. Köster kennt die richtigen Mengen. Er tüftelt für den Konzern Brenntag an Rezepturen für die Lebensmittelindustrie.

Brenntag ist als weltweit größter Chemikalienhändler bekannt, erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von fast 12,6 Milliarden Euro. Eher im Hintergrund trägt die Lebensmittelsparte zum Erfolg bei. Als Lieferant von Zusatz- und Inhaltsstoffen gehören die Essener ebenfalls zur globalen Spitze. Das Unternehmen taucht nicht mit Logo im Supermarktregal auf. Doch obwohl Brenntag seine großen und kleinen Abnehmer verschweigt, ist klar, dass es von Fertiggerichten, über Backwaren bis hin zum Fleisch an der Entwicklung von etlichen Produkten beteiligt ist.

Der Markt wächst. Schon deshalb, weil immer mehr Menschen auf der Erde leben. Hinzu kommen Wünsche der Supermärkte. "Der Lebenszyklus von Nahrungsmitteln ist kürzer geworden", sagt Frank Haven. Der Niederländer gehört zum Management der Sparte. Die Händler wollen ständig neue Produkte, um Trends zu setzen und mit Entwicklungen zu werben. Brenntag verkauft ihnen passende Rezepturen.

Verzicht auf Zucker ist ein Trend, doch einige Ersatzzutaten sehen Verbraucherschützer kritisch

Leute wie Köster müssen antizipieren, was in ein paar Monaten gefragt ist. Er arbeitet mit Kollegen an 28 Standorten weltweit. Es geht um Erkenntnisse wie diese: Stärke könnte teurer werden. "Da sie auch in Papiertüten steckt, verknappt sich das Angebot", sagt Kösters Kollege Timo Krüger. Brenntag sucht Alternativen. Das ist der Alltag. Hier eine Soße dickflüssiger machen, dort ein Produkt regionalen Bedürfnissen anpassen. Im Süden der Niederlande mögen die Kunden Ketchup eben etwas heller als im Norden.

Doch ein Thema dominiert: Gesündere Ernährung. "Lebensmittel mit weniger Salz, Fett und Zucker sind ein Megatrend", sagt Haven. Industriezucker etwa findet sich in zahlreichen Produkten, sogar in Wurst und Buttermilch stellten Forscher kleine Mengen fest. Die Kunden sind ans Süße gewöhnt, doch immer mehr Studien sorgen für ein mieses Image. Wer viel Zucker isst, nimmt wahrscheinlich zu. Das Risiko für Diabetes und Bluthochdruck steigt. Andere Länder reagieren beispielsweise mit einer Besteuerung von Zucker. Die deutsche Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) setzt auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie. Verbraucherschützer befürchten Tricks. Etwa, dass Zucker durch Fett ersetzt wird. Die Brenntag-Leute rollen bei diesem Vorwurf mit den Augen. "Die Logik Fett oder Zucker stimmt nicht", sagt Krüger. Der Geschmacksträger Zucker könne auch durch Aromen, Süßstoff oder eine komplett veränderte Rezeptur ersetzt werden. Die Entscheidung überlässt Brenntag dem Kunden.

Sabine Holzäpfel, zuständig für Ernährung bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, sieht einige Ersatzstoffe kritisch. Süßstoff sei in großen Mengen ebenso ungesund wie zu viel Zucker, sagt sie. Aromen für den intensiveren Geschmack nennt sie "nicht zielführend". Auch Light-Produkte sieht sie vermehrt im Regal, aber nur als Ergänzung zum Original. Sie fordert stattdessen eine grundsätzliche Veränderung des Angebots. "Dabei reicht Freiwilligkeit der Industrie nicht aus", sagt Holzäpfel. Es brauche konkrete Zielvorgaben der Politik. Nötig sei zudem eine leicht verständliche Kennzeichnung für Verbraucher zum Nährwertprofil eines Produktes. Holzäpfel verweist auf Optionen wie eine Ampel oder den Nutri-Score in Frankreich. Dort werden günstige und ungünstige Nährwertelemente verrechnet und das Resultat in einer fünfstufigen Farbskala auf die Verpackung gedruckt. Das Hin- und Herschieben zwischen ungesunden Inhaltsstoffen wird durch die Gesamtbetrachtung weniger attraktiv.

Bei Brenntag verfolgen sie die Debatte scheinbar entspannt. Man sei in der Lage, die Geschäftspartner bei veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen zu unterstützen. Was bei Millionen Menschen auf dem Tisch landet, wird also auch in der Forschungsabteilung von Brenntag entschieden. Das klingt nach riesigem Labor. Doch das Reich des Lebensmitteltechnologen Köster erinnert an eine etwas protzige Küche im Großstadtloft - mit Kühlschrank in matter Edelstahloptik, Kochinsel und Messerblock. Angeschnittene Baguettes liegen auf der Anrichte. Köster knabbert zwischendurch ein paar Krümel. Ganz so wie am heimischen Herd geht es aber nicht zu. Neben dem Puderzucker stehen Pipetten. Und ein Aromenkühlschrank sowie ein Industriebackofen fehlen den meisten Haushalten sicher auch. "Wir bilden im Kleinstmaßstab die Herstellung bei Lebensmittelproduzenten nach", sagt Köster.

Hofladenromantik hat in der Forschung für den Massenmarkt keinen Platz. "Wir müssen berücksichtigen, wie viel Geld durchschnittliche Familien haben", sagt Manager Haven. Lebensmittel müssten bezahlbar bleiben. Was er meint, zeigt sich beim Fleisch. Köster legt hellbraune Geflügelbuletten auf ein Backblech. Er soll den Fleischanteil reduzieren, ohne dass die Patties auf dem Burger deutlich anders schmecken. Ein höherer Anteil pflanzlicher Proteine ist die Lösung. 100 Prozent Fleisch dagegen ist teuer. Auf dem Fleischmarkt gibt es kaum noch Wachstum, während die Nachfrage weltweit steigt - das treibt die Preise. Und wenn Händler möchten, dass die Tiere unter guten Bedingungen gehalten wurden, kostet es noch mal mehr.

Die Verbraucher prüfen allerdings zunehmend, was im Essen drin ist. "Durch Food-Blogger gibt es im Internet immer mehr Informationen und Meinungen zu Lebensmitteln", sagt Haven: "Die Konsumenten lesen das und sind informiert." Die Brenntag-Kunden überlegen daher genau, wie viele Zusatzstoffe sie nutzen. Soll der Erdbeerjoghurt röter sein oder die Salatsoße kräftiger schmecken, gibt es den Verweis auf der Verpackung. Die sogenannte E-Nummer zeigt, welcher Zusatzstoff geholfen hat. Die Aktivisten von Foodwatch nennen dies "billige Hilfsmittel, um die Verarbeitung zu erleichtern oder Kosten zu sparen" und warnen etwa bei Geschmacksverstärkern, dass die Geschmacksnerven abstumpfen. Die Erkenntnis: Maximal günstig, maximaler Geschmack und maximal natürlich - alles in einem - gibt es nicht.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2019
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