Leben im Alter:Was brauchen wir eigentlich im Alter?

Pflege in Deutschland

Wie viel braucht man eigentlich im Alter?

(Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Viele Menschen fürchten um ihren Lebensstandard. Vielleicht wird die Angst davor geringer, wenn man mal eine grundsätzliche Frage stellt.

Essay von Angelika Slavik

Wenn man sich aussuchen könnte, wie das Leben im Alter sein soll, wünschte man sich natürlich ein Szenario wie in den Liedern von Udo Jürgens oder in diesen Werbespots für Bausparverträge: Man läuft fit und vital durch den Garten, ständig umgeben von Enkeln und Kuchen und strahlend weißer Wäsche. Man hat sich ein ausgefallenes Verkehrsmittel zugelegt, wahlweise ein Segelboot, ein Cabrio oder eine Harley. Man geht tanzen, schminkt sich die Lippen barbiepink und ist stets in spektakulären Glanz gehüllt, weil man immer all seine Schmuckstücke gleichzeitig trägt. Die Idee von der reduzierten Eleganz hat man längst hinter sich gelassen, überhaupt schert man sich nicht mehr um Konventionen, es gibt keine Grenzen und keine Sorgen, schon gar keine finanziellen. Man kostet das Leben aus, unbeschwert und glücklich. Wäre das nicht super?

In der Realität aber macht der Gedanke an das Leben im Alter den meisten Menschen Angst. Sie fürchten, später nicht nur keine Harleys und Cabrios anschaffen zu können - sie haben Angst, ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Diese Angst ist die Triebfeder hinter allen Versuchen, für das Alter vorzusorgen.

Das ist, um es deutlich zu sagen, absolut nachvollziehbar. Aber wenn man sich Gedanken über Vorsorge macht, ist es vielleicht auch sinnvoll, zunächst ein paar grundsätzlichere Fragen zu stellen: Was macht Lebensqualität eigentlich aus? Oder, noch ein bisschen deutlicher, was brauchen wir eigentlich?

Trend zum Weniger

In den vergangenen Jahren ist diese Frage in Mode gekommen, und eine häufige Antwort darauf ist Reduktion und Vereinfachung. Besonders unter jüngeren Menschen ist Minimalismus ein großes Thema geworden. Den Trend zum Weniger sieht man in allen Ausprägungen und Dimensionen: Da gibt es Beauty-Bloggerinnen, die sich schon minimalistisch nennen, wenn sie von 30 gleichen roten Lippenstiften nur noch drei behalten. Und es gibt Menschen, die ihren gesamten Besitz auf 100 Gegenstände begrenzt haben. Es gibt Leute, die sich in Konsumverzicht üben und andere, die versuchen, ihr Essen nur noch in einem Topf zu kochen, weil sie keinen zweiten mehr besitzen wollen, was man originell finden kann oder irre.

Viel hat mit dem digitalen Fortschritt zu tun. Das Internet hat es möglich gemacht, Dinge in zuvor nicht gekannter Art und Weise zu teilen. Deswegen wollen viele junge Leute kein eigenes Auto mehr besitzen, sondern setzen lieber auf Carsharing-Dienste. Deswegen ist es einfach geworden, selten benutzte Gegenstände, vom Campingkocher bis zur Nähmaschine, einfach auszuleihen, statt damit den eigenen Keller vollzustellen.

Interessant ist schon, dass offenbar viele Menschen die Reduktion ihres Besitzes und ihrer Konsumgewohnheiten als erleichternd empfinden. Die Freiheit von zu viel Zeug. Wenn man versucht, ein klares Bild von dem zu bekommen, was man wirklich braucht, wird das Ergebnis, natürlich, für jeden Menschen anders ausfallen. (Kochen mit einem einzigen Topf ist vermutlich nur für eine Minderheit eine interessante Option.) Sich bewusst zu machen, was man eigentlich alles nicht braucht, kann Besitztümer betreffen, genauso wie Konsumgewohnheiten, Rituale, möglicherweise auch Beziehungen zu bestimmten Menschen.

Sicherheit gibt es nicht mehr

Und vielleicht kann man deshalb auch fragen, ob Reduktion nicht nur die Freiheit von zu viel Zeug bringen kann - sondern auch die Freiheit von der Angst, all dieses Zeug irgendwann nicht mehr kaufen zu können. Wer die Gewissheit in sich trägt, zumindest theoretisch auch mit sehr viel weniger glücklich sein zu können, wird in weit geringerem Maß darunter leiden, dass Zeiten mit Weniger tatsächlich eintreten könnten.

Denn, und das ist das zentrale Problem bei allen Vorsorgebemühungen unserer Zeit: Sicherheit gibt es einfach nicht mehr.

Wir leben in einer Ära der Variablen. Viele Faktoren werden unseren Wohlstand beeinflussen, und kaum einer davon unterliegt der Kontrolle eines Einzelnen, der sich um seine Altersvorsorge bemüht. Da ist die Terrorgefahr, die instabile politische Situation in vielen Teilen der Welt, der Brexit, die niedrigen Zinsen, der VW-Skandal. All das hat Folgen: Für Immobilienpreise, Goldkurs, Lebensversicherungen, Aktienkurse und Fondssparpläne. Kurz - alle gängigen Vehikel der Vorsorge sind von Faktoren abhängig, deren Entwicklung kaum jemand beeinflussen, ja nicht einmal seriös prognostizieren kann.

Dazu kommt, dass auch die persönlichen Lebensumstände schwer vorhersehbar sind: Ob man den Ehepartner von heute drei Jahrzehnte später noch kennt - wer weiß das schon? Bei der Hälfte aller Ehen ist "für immer" ein begrenzter Zeitraum, und das muss man nicht unbedingt bedauern. Auch die Einkommensentwicklung kann man heute nicht mehr voraussagen. In einer Welt voller Werkverträge, Projektarbeiten und Kleinunternehmen bedeutet eine bestimmte Ausbildung eben nicht mehr ein bestimmtes Lebenseinkommen. Karrieren sind heute unterteilt von Elternzeit, von Sabbaticals, von Phasen mit hoher und Phasen mit reduzierter Arbeitszeit, und all das hat Einfluss auf das laufende und auf das zukünftige Einkommen. Wohnorte ändern sich, Ansprüche ans Wohnen auch: Alleinerziehend, verheiratet oder Single, die wenigsten können mit Sicherheit sagen, wie sie in zehn, 20 oder 40 Jahren leben werden.

Unsicherheit ist immer da

Sich all diese Unsicherheiten einzugestehen, mag nicht immer angenehm sein. Denn natürlich ist das eine wohlig-warme Vorstellung: alles durchplanen zu können. Abgesichert zu sein gegen all die Unbill des Lebens, in einem restlos abbezahlten Biedermeier-Idyll. Und natürlich bedeuten diese Unsicherheiten nicht, dass man sich nicht mehr bemühen sollte um eine bestmögliche finanzielle Ausstattung auch für spätere Lebensphasen. Sein Geld mehren zu wollen, ist ein sinnvolles Ziel - sein Glück daran festzumachen nicht.

Vielleicht heißt Vorsorge zu treffen deshalb heute nicht nur, sich um Fonds, Aktien und Immobilienbesitz zu kümmern, sondern auch, sich zu verabschieden: von der Idee, dass es im Leben einen Zeitpunkt gibt, an dem man "es geschafft" hat. An dem der richtige Partner ausgesucht, das Haus erbaut, die Kinder großgezogen, der Kredit abbezahlt ist. Der Moment, an dem es keine Fragen und keine Unsicherheiten mehr gibt - er wird wohl nicht kommen.

Wer in Aktien investiert, achtet in der Regel auf eine möglichst breite Streuung. Wenn man an das Leben im Alter denkt und daran, wie man es sich möglichst schön machen kann, ist es womöglich sinnvoll, ebenfalls breit zu denken. Finanzielle Absicherung ist ohne Zweifel ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor, der ein glückliches von einem unglücklichen Leben unterscheidet. Zur Zufriedenheit ist nicht nur ein gelungenes Aktiendepot nötig. Es braucht, vielleicht mehr als alles andere, ein Netz aus Freunden und Familie. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Investitionen in Beziehungen

In einer Zeit wie unserer nimmt Arbeit sehr viel Raum ein. Womöglich ist das der Grund, warum viele Menschen, solange sie noch arbeiten, die Freunde, die Familie, das gesellschaftliche Leben vergessen. Mancher merkt erst beim Renteneintritt, dass es eben einen Unterschied gibt zwischen Geschäftskontakten, mit denen man gelegentlich Golf spielt, und richtigen Freunden, die sich auch noch für einen interessieren, wenn man keinen für sie nützlichen Job mehr hat.

In seine Beziehungen zu anderen Menschen Zeit, Aufmerksamkeit, Energie zu investieren, ist deshalb auch eine Säule der Altersvorsorge: Wer gelegentlich die Kinder der Nachbarn hütet, darf darauf hoffen, dass diese Nachbarn ihm später mal mit den Einkäufen helfen. Wer seinen Enkeln gegenüber offen, zugewandt und tolerant ist, erhöht seine Chancen, dass sie gerne und freiwillig zu Besuch kommen. Alle anderen müssen eben mit dem Pflichttermin zu Weihnachten und Ostern zufrieden sein.

Altersvorsorge kann aber auch bedeuten, den Fokus zwischendurch auf die eigene Weiterentwicklung zu legen. Sich auszuprobieren, neuen Interessen nachzugehen, eingefahrene Verhaltensmuster zu überwinden. Das führt im Idealfall erstens dazu, dass man sich im Alter mit sich selbst nicht langweilt. Und zweitens dazu, dass man als Person interessant wird oder bleibt - und damit auch ein Gesprächspartner für andere aufregende Leute. Und drittens vielleicht auch dazu, im Kopf so flexibel wie möglich zu bleiben. Denn das ist, gerade in Zeiten, die sich so schnell ändern und die so schwer vorhersehbar sind, eine zentrale Qualität, auch, um die chaotischen Zeiten dennoch genießen zu können.

Wette auf die Zukunft

Vielleicht kann man also die Angst vor dem Leben im Alter mildern, wenn man sich verdeutlicht, dass Vorsorge heute eben auch bedeutet, Abschied nehmen zu können: von Dingen, von Gewohnheiten, von alten Vorstellungen. Das mag manchmal schmerzhaft sein, aber diese Fähigkeit zum Loslassen ist es eben auch, die es ermöglicht, seine Vorsorge für die späte Lebensphase auf mehreren Säulen aufzubauen als nur auf der gesetzlichen, der betrieblichen und der privaten Rente.

Vorsorge ist immer eine Wette auf die Zukunft. Vermutlich wird nur bei wenigen Menschen in jedem Bereich ihres Lebens alles genauso klappen, wie sie es geplant haben. Wer sein Leben ausgekostet hat, so gut es irgendwie ging, muss am Ende nicht den verpassten Chancen früherer Jahre hinterhertrauern. Das macht vieles leichter. Und wer sich auf vielen verschiedenen Ebenen darum gekümmert hat, wie sein Leben später mal aussehen soll, hat zumindest seine Chancen optimiert, irgendwann sagen zu können: Es ist schlussendlich ja doch alles ziemlich gut gelaufen.

Reicht die Rente in Zukunft zum Leben? Wie kann ich zusätzlich vorsorgen? Wie ändert sich das Leben alter Menschen? Die SZ-Serie "Unsere Zukunft, unsere Rente" beschäftigt sich mit den wichtigsten Aspekten des Ruhestands.

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