Süddeutsche Zeitung

Lausitz:Vorsicht an der Tagebaukante

Die Kohlekommission macht einen Ausflug ins Lausitzer Revier. Sie trifft auf empörte Beschäftigte und verunsicherte Bürger. Doch jenseits der Strecke gibt es Leute, die längst anpacken - der Strukturwandel läuft schon.

Von Michael Bauchmüller, Proschim/Großräschen

Hagen Rösch hätte im Bus mitfahren können, aber er wollte nicht. "Vom Ortseingang bis zum Ortsausgang", sagt er. "Wie'n Landstreicher." Da mache er nicht mit. Und so rollt der weiße Bus der Kohlekommission ohne den Kohlegegner Rösch durch Proschim, vorbei an einem Häufchen Demonstranten, die sich an einer Ecke mit Transparenten aufgestellt haben. "Wir fordern Antworten", steht auf einem. Wie es eben so aussieht, wenn sich die Kohlekommission auf "Revierfahrt" macht. Schließlich soll sie noch in diesem Jahr einen Plan aufstellen, wie es weitergehen soll in den deutschen Braunkohlerevieren - und das auf kurz oder lang auch ohne Kohlekraft.

Das mitteldeutsche Revier haben sich die Reisenden in Sachen Kohle schon angeschaut, das rheinische ist übernächste Woche dran. Und jetzt die Lausitz: Kein Revier ist so kompliziert wie dieses. Rund 80 000 Menschen waren hier, in den äußersten Zipfeln Brandenburgs und Sachsens, mal in Tagebauen und Kraftwerken tätig. Heute sind es noch 8000, in vier Tagebauen. Anders als im Rheinland aber gibt es nicht viel anderes als die Kohle. "Ein schrittweiser Prozess ist für uns vorstellbar", sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). "Aber kein ungesteuerter."

Hagen Rösch hätte eine Idee, wie es laufen könnte, er hat sie selbst vorgemacht. "Wir sind der Mittelstand, mit dem es gehen soll", sagt er. "Auf große Industrieansiedlungen können wir lange warten." 80 Beschäftigte hat Röschs Firma am Rande Proschims, Landwirtschaft, Fleischereien, Ökostrom. Der Laden läuft. Nur läuft der Tagebau auch, gleich hinter Röschs Äckern. Welzow-Süd II heißt er, er arbeitet sich unaufhörlich auf Proschim mit seinen 800 Einwohnern zu. Es ist eines dieser Dörfer am Rande des Tagebaus, wo Menschen auf gepackten Koffern sitzen. 80 solcher Dörfer sind seit den 60er-Jahren aus der Lausitz verschwunden, 26 000 Menschen wurden umgesiedelt. Bis 2020 will der Energiekonzern Leag entscheiden, ob der Tagebau auch Proschim schluckt. Das schafft Hoffnung, aber auch jede Menge Unsicherheit.

Der Bus fährt ohne Stopp durch das Dorf, vom sächsischen Weißwasser zum brandenburgischen Großräschen. Noch vor dem Bus der Kommission sind die Busse mit den Beschäftigten eingetroffen, zu Hunderten kesseln Bergleute die Kommission bei ihrer Ankunft ein. "Wir sind hier", steht auf ihren Transparenten, ist allerdings auch kaum zu überhören. Trillerpfeifen und leere Plastikflaschen haben die Kumpels mitgebracht, als Trommeln. Die Leag-Mitarbeiter hatten sich aussuchen können, ob sie an diesem Tag arbeiten oder doch demonstrieren gehen. Statt Kohle zu schaufeln, haben sie jetzt einen grünen Teppich für die Kommission ausgerollt: "Hier werden gute Jobs mit Füßen getreten", haben sie darauf gemalt.

Noch einen Exodus verkrafte die Lausitz nicht, sagen lokale Politiker

Auch das gehört zur Arbeit der Kommission: Die Emotionen kochen hoch. Die Endstation des Ausflugs ist ein hübsches Hotel in Großräschen, an einem See, den es noch nicht lange gibt. "Wir haben den Strukturbruch in brutalster Weise erlebt", sagt Thomas Zenker, der Bürgermeister von Großräschen. "Wo jetzt der See ist, war einmal ein Ortsteil mit 4000 Einwohnern." Bald sollen Boote über den See schippern. Diesmal müsse der Strukturwandel anders verlaufen, sagt Zenker. Seit 1993 ist der Sozialdemokrat hier Bürgermeister. "Noch einen Exodus verkraftet die Lausitz nicht."

Die jüngere Geschichte verfolgt auch die Kommission auf Schritt und Tritt. Nicht nur die Kohle, auch Glas und Textil gaben zu DDR-Zeiten vielen Lausitzern Arbeit. Doch quasi über Nacht verschwanden erst die Jobs und dann die Leute. So wurde die Lausitz, ein klimatisch gesegneter Flecken Erde, zum Sorgenkind. Und weil die Braunkohle mit vielen Treibhausgasen verbrennt, ist es auch ein Sorgenkind der Klimapolitik. Einige der Kraftwerke hier zählen zu den klimaschädlichsten Europas.

Doch der Kommission geht es nun vor allem um die Zukunft. Neben einem Ausstiegsfahrplan für die Kohlekraft soll sie schließlich auch die drohende Joblücke in den Revieren schließen helfen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) etwa schwebt neue, bessere Infrastruktur vor, neue Bahnlinien, ein Testfeld für die neue Mobilfunk-Generation 5G. Eine Batteriefabrik ist im Gespräch, mit neuen industriellen Jobs rund ums Elektroauto. Eine Regionalbahn von Berlin nach Cottbus soll wieder zweigleisig werden. Vor allem wollen die Länder aber mehr Geld. Die große Koalition in Berlin hatte dafür 1,5 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Viel zu wenig, findet Woidke. "Was da bisher diskutiert wird, sind Almosen", sagt er. "Das kann nicht funktionieren." Summen jenseits der 60 Milliarden stehen im Raum.

Als der Bus schließlich durch Proschim gerauscht ist, geht Hagen Rösch, gelernter Kaufmann, wieder seiner Arbeit nach. "Es sagen immer viele, der Strukturwandel sei eine Managementaufgabe", sagt er. "Stimmt genau: für Unternehmer."

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SZ vom 12.10.2018
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