Süddeutsche Zeitung

Langzeitarbeitslosigkeit:Einmal Hartz IV, immer Hartz IV

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Sechs Jahre ohne Job: 1,5 Millionen Menschen haben seit der Hartz-IV-Einführung keine Stelle gefunden. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass der Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit immer schwieriger wird. Die Behörde spricht gar von einem harten Kern von Hartz-IV-Empfängern.

Thomas Öchsner

Einmal Hartz IV, immer Hartz IV - für viele Menschen, die länger als ein Jahr ohne Job und damit langzeitarbeitslos sind, trifft dieser Leitsatz weiter zu. Fast 1,5 Millionen erwerbsfähige Menschen sind seit Einführung der staatlichen Grundsicherung im Jahr 2005 dauerhaft auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) angewiesen. Trotzdem muss Hartz IV keine Sackgasse sein: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) meldet zunehmend Erfolge im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit. Hartz-IV-Empfängern Jobs zu vermitteln, dürfte in Zukunft aber eher schwieriger werden. Dies geht aus einer neuen Untersuchung der BA hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Seit den Ölpreiskrisen der siebziger Jahre prägte eine Krankheit den deutschen Arbeitsmarkt: Mit jeder Rezession stieg die Zahl der offiziell registrierten Erwerbslosen. Die Fachleute sprachen vom wachsenden Sockel der Arbeitslosen. Seit 2007 bröckelt dieser Sockel. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen nahezu halbiert. Sie fiel von 1,7 Millionen auf 886 000, zum Teil allerdings durch statistische Effekte bedingt. Dabei gelang es der BA nach einer neuen Auswertung ebenfalls, die Dauer der Arbeitslosigkeit im Hartz-IV-System zu reduzieren. Sie fiel binnen drei Jahren bis August 2011 von 81,4 auf 71,6 Wochen.

Dennoch wird Hartz IV nicht zu einer Schnellstraße in Richtung Beschäftigung. "Ein weiterer Abbau der Arbeitslosigkeit fällt immer schwerer, je weniger Arbeitslose verblieben sind", heißt es in der BA-Studie. Mit jedem weiteren Aufschwung ergatterten die besser qualifizierten, jüngeren (Kurzzeit)-Arbeitslosen Jobs. "Der Anteil der älteren, schlechter qualifizierten und länger Arbeitslosen nimmt so immer weiter zu", schreiben die Autoren der Untersuchung. Schon jetzt haben fast die Hälfte der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung. 40 Prozent waren 50 Jahre und älter, was eine Neueinstellung erheblich erschwert. Hinzu kommen große regionale Unterschiede. Unter den zehn Regionen mit dem größten Anteil Langzeitarbeitsloser an allen Jobsuchern befinden sich allein sieben in Nordrhein-Westfalen.

"Es bleiben in den Jobcentern diejenigen zurück, bei denen eine Integration in den Arbeitsmarkt sich selbst in weiter Zukunft nicht abzeichnet", sagt BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt. Er rechnet so: Der harte Kern, etwa 20 Prozent der etwa zwei Millionen Arbeitslosen im Hartz-IV-System, benötigt 80 Prozent der Mittel. "Je verfestigter die Arbeitslosigkeit ist, umso mehr müssen wir für Qualifizierung, Trainings, Schuldner- oder Suchtberatung ausgeben." Der BA-Manager sieht deshalb die Milliarden-Kürzungen bei Programmen für Arbeitslose, die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in den nächsten Jahren weiter fortsetzen will, mit Sorge: "Es gilt nicht der Automatismus, dass bei sinkenden Arbeitslosenzahlen weniger Geld für Arbeitsmarktpolitik benötigt wird."

Alt weiß auch, dass "zu viele Menschen in Hartz IV zurückfallen". Die Bundesagentur will deshalb bei einem Test in einem bayerischen Jobcenter herausfinden, wer und warum innerhalb kurzer Zeit nach Arbeitsaufnahme wieder in die Grundsicherung zurückkehrt. Der BA-Manager wünscht sich, dass die Jobcenter in Zukunft den Arbeitslosen länger zur Seite stehen. Er sagt: "Nicht mehr ,Tschüss und weg', sondern ein begleitendes Coaching bei Arbeitsaufnahme muss die Devise sein." Thomas Öchsner

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Quelle:
SZ vom 15.09.2011
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