Süddeutsche Zeitung

Langzeitarbeitslose:Ein sozialer Arbeitsmarkt darf keine Beschäftigungstherapie sein

Es ist richtig, wenn die Bundesregierung Langzeitarbeitslosen eine Perspektive bieten will. Eine Alternative zu Hartz IV ist das allerdings nicht.

Kommentar von Thomas Öchsner

Wenn es ein Recht wäre, das sich wirklich einklagen ließe, müsste es im Grundgesetz stehen: Jeder Mensch sollte eigentlich ein Recht auf Arbeit haben. Eine Arbeit zu haben, heißt nicht nur Geld zu verdienen. Wer arbeitet, ist mit anderen Menschen zusammen, hat einen Plan für den Tag und bestenfalls sogar das Gefühl, etwas Sinnvolles für sich und die Gesellschaft zu tun. Man könnte auch sagen: Ich arbeite, also bin ich.

Diesen Wert der Arbeit für ein würdevolles Leben muss man sich in Erinnerung rufen, um zu verstehen, was mit vielen langzeitarbeitslosen Menschen passiert. Sie stumpfen ab, wissen nicht mehr, warum sie aufstehen sollen, vereinsamen, werden oft auch psychisch krank und gelten dann erst recht als nicht vermittelbar auf dem regulären Arbeitsmarkt. Es ist deshalb gut und richtig, wenn die Bundesregierung einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen will. Öffentlich geförderte Beschäftigung, bei dem aus Steuermitteln der Lohn ganz oder teilweise gezahlt wird, ist allerdings kein Wundermittel. Auch wird damit weder Hartz IV abgeschafft noch ein solidarisches Grundeinkommen eingeführt, wovon Kritiker der staatlichen Grundsicherung träumen mögen.

Ein sozialer Arbeitsmarkt kann das Hartz-IV-System nur ergänzen. Etwa 850 000 Menschen gelten als langzeitarbeitslos. Tatsächlich liegt die Zahl der chronisch Arbeitslosen deutlich über eine Million, zählt man jene hinzu, die nicht nur länger als ein Jahr ohne Job sind, sondern im stetigen Wechsel sehr kurz arbeiten, an Förderkursen teilnehmen und dann wieder als arbeitslos gezählt werden. Die große Koalition plant jedoch nur mit 150 000 Arbeitsplätzen in Kommunen, Firmen und gemeinnützigen Einrichtungen. Und diesen Plan sinnvoll mit Leben zu füllen, dürfte schwierig genug sein.

Die Arbeitgeberverbände warnen schon jetzt vor einer "künstlichen Beschäftigung" in Zeiten des Fachkräftemangels. Das ist aber auch nicht vorgesehen. Keiner will die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) aus den Neunzigerjahren in neuem Gewand einführen, mit denen Hunderttausende aus der Arbeitslosenstatistik verschwanden. Ein sozialer Arbeitsmarkt soll und darf keine sinnlose Beschäftigungstherapie werden, in denen abseits vom normalen Arbeitsleben die Geförderten zweckfrei Schwalben auf Helgoland zählen. Es geht darum, Hartz-IV-Empfänger, die mehrere Jahre ohne Job, oft älter, gesundheitlich eingeschränkt und ohne Berufsausbildung sind, eine Chance zu geben, am sozialen Leben teilzuhaben. Das sollte vor allem für Menschen gelten, die Kinder großziehen. Kinder brauchen ein Vorbild, Mütter und Väter, die zur Arbeit gehen, um nicht selbst zu sagen: "Ich werde mal Hartzer."

Kommunale Programme haben gezeigt, dass so ein sozialer Arbeitsmarkt funktionieren kann. Doch dabei kann viel schiefgehen. Es dürfen nur diejenigen subventionierte Stellen erhalten, die auf dem normalen Arbeitsmarkt wirklich ohne Chance sind. Es darf nicht dazu kommen, dass reguläre Stellen verdrängt werden oder solche Arbeitslose einen geförderten Job bekommen, die dann nicht mehr nach einer richtigen Arbeit suchen.

Der soziale Arbeitsmarkt kann keine Alternative zu Hartz IV sein

Wenn Berlins Bürgermeister Michael Müller davon schwadroniert, dass diese Langzeitarbeitslosen zum Beispiel Sperrmüll beseitigen oder Babys hüten sollen, liegt er falsch. Das eine ist eine ureigene Aufgabe der Stadt, das andere ein Auftrag für einen Dienstleister, und nichts für chronisch Langzeitarbeitslose, die selbst einen Sozialarbeiter als Coach brauchen. Umso schwieriger wird es, das Programm umzusetzen und in den nächsten fünf Jahren überhaupt 150 000 Jobs zu definieren, die allen diesen Kriterien entsprechen.

Auf keinen Fall sollte man dabei den sozialen Arbeitsmarkt als Alternative zu Hartz IV anpreisen. Die Grundsicherung wird bleiben. Die Bundesregierung muss sie aber reformieren, wenn das Ziel Vollbeschäftigung im gesamten Land keine Utopie bleiben soll. Die Jobcenter brauchen mehr Geld, um den harten Kern der Langzeitarbeitslosen besser betreuen zu können. Arbeit muss sich lohnen. Wer Hartz IV bezieht und arbeitet, muss von seinem Lohn mehr behalten können.

Die Bundesregierung sollte Geringverdiener bei den Sozialausgaben entlasten, damit Schwarzarbeit weniger attraktiv wird und von schmalen Löhnen netto mehr übrig bleibt. Bund und Länder müssen mehr in die Bildung der Kinder investieren, um Arbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Das wird mehr kosten als die für den sozialen Arbeitsmarkt eingeplanten vier Milliarden Euro. Aber Geld ist, wie die jüngste Steuerschätzung gezeigt hat, genug da. Man muss es nur richtig ausgeben.

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SZ vom 15.05.2018/vit
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