Langzeitarbeitslose:Ausnahme ohne Wirkung

Widerspruch von Uber

Wer einen Langzeitarbeitslosen einstellt, zum Beispiel als Taxifahrer, darf ihm weniger als 8,50 Euro zahlen.

(Foto: Andreas Arnold/dpa)

Die Sonderregel beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose, um die es große Aufregung gab, wird kaum genutzt.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Für den früheren Wirtschaftsweisen Wolfgang Franz ist der Fall klar: Die einzige Chance auf eine Beschäftigung für Langzeitarbeitslose "ist oft ein niedriger Lohn". Ähnlich argumentierte CSU-Chef Horst Seehofer: Wer länger als ein Jahr ohne Job ist, benötige eine Brücke. Deshalb "sollten diese Menschen in der Anlernphase zeitlich befristet unterhalb des Mindestlohns bezahlt werden können". So sahen es auch viele andere Unionspolitiker und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, der vor einer "zu hohen Einstiegshürde" für die eine Million Langzeitarbeitslosen in Deutschland warnte.

Gut ein Jahr ist es her, dass sich deshalb Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit dem Kanzleramt auf eine Sonderregel vor Einführung der gesetzlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro verständigte: Der Mindestlohn gilt seit 1. Januar 2015, aber Arbeitgeber dürfen ehemalige Langzeitarbeitslose - maximal sechs Monate - für weniger als 8,50 Euro beschäftigen, um ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Doch was die Wirtschaftsverbände, assistiert von der Union, forderten und Linke und Sozialverbände heftig kritisierten, entpuppt sich nun als offenbar als Papiertiger. "Die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose beim Mindestlohn spielt nach unserer Erkenntnis bislang praktisch keine Rolle", sagte das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), Heinrich Alt, der Süddeutschen Zeitung.

Langzeit-Jobsucher, die bereit sind, auf den Mindestlohn zu verzichten, müssen ihrem Arbeitgeber nachweisen, dass sie zuvor ein Jahr ohne Stelle waren und entsprechend Arbeitslosengeld bezogen haben. Diese Bescheinigung stellen die Arbeitsagenturen oder die Jobcenter aus, sofern es sich um frühere Hartz-IV-Empfänger handelt. "Der Arbeitgeber braucht die Bescheinigung, um sie dem Zoll bei einer Kontrolle vorlegen zu können. Sonst darf er ja nicht weniger als den Mindestlohn zahlen", erläutert eine BA-Sprecherin. Vorstand Alt hat aber nun aus den meist zuständigen Jobcentern gehört, "dass es weder Arbeitgeber gibt, die wegen dieser Ausnahme gezielt Langzeitarbeitslose einstellen. Noch gibt es Arbeitnehmer, die in nennenswertem Umfang sich bescheinigen lassen, dass sie langzeitarbeitslos sind, um so womöglich einen Arbeitgeber zu finden".

Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), überrascht das nicht: "Unternehmen schrecken nach wie vor vor der Einstellung von Langzeitarbeitslosen zurück, weil sie Produktivitätsnachteile fürchten. Daran ändern großzügige Regelungen beim Mindestlohn nichts. Arbeitgebern gehe es darum, fähige Arbeitnehmer zu gewinnen, die sie länger beschäftigen können. Dies könne ein vorübergehender Lohnkostenvorteil, der noch mit bürokratischen Auflagen verbunden sei, nicht aufwiegen. Außerdem könnte die Nutzung der Ausnahme ein Problem für das Lohngefüge werden. Es sei nicht unbedingt "gesund" für einen Betrieb, wenn der eine Mitarbeiter zum Beispiel sechs Euro bekomme und der andere 8,50 Euro, obwohl sie die gleiche Arbeit tun. Auch BA-Vorstandsmitglied Alt ist sich sicher, "dass es Arbeitgebern bei der Einstellung von Langzeitarbeitslosen nicht darum geht, Geld in Form von Lohnkosten zu sparen. Sie müssen von den Menschen überzeugt sein und nicht vom Eingliederungszuschuss."

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