Landwirtschaft:Tierschutz im Schweinestall - Das Geschäft mit dem guten Gewissen

Schweinezucht in Thüringen

Ein Schwein ohne Ringelschwanz? Eigentlich unvorstellbar. In der Massentierhaltung gilt er jedoch als Hindernis und wird entfernt, obwohl das eigentlich verboten ist. Das soll sich ändern.

(Foto: dpa)
  • Der Handel verlangt mehr Tierschutz in der Landwirtschaft - auch weil der Verbraucher das möchte.
  • Die Landwirte sind durchaus willig, fühlen sich aber oft überfordert und gegängelt.
  • Auch in der Politik werden die Aktivitäten der großen Einzelhändler argwöhnisch beobachtet. Denn diese treten oft schon wie Gesetzgeber auf.

Von Silvia Liebrich

Landwirt Andreas König steht frustriert in seinem Schweinestall. Die Arme vor der Brust verschränkt schaut er auf seine Tiere, die grüne Schildmütze tief ins Gesicht gezogen. Er ärgert sich über das schlechte Image seiner Branche in der Öffentlichkeit - und dann das ständige Gerede über die Massentierhaltung, er könne es nicht mehr hören. "Die Leute brauchen offenbar immer einen Schuldigen, im Moment ist das eben die moderne Landwirtschaft." Fast automatisch tätschelt er beim Reden den Kopf eines Schweins, das ihn mit feuchter Schnauze anstupst.

Dabei ist König einer von denen, die es richtig machen wollen. In dritter Generation betreibt er einen Hof bei Bad Sassendorf, gut 50 Kilometer entfernt von Dortmund. Ein Familienbetrieb mit Schweinemast und 120 Hektar Ackerland, bei dem alle mit anpacken. Seine Schweine sollen es gut haben. Deshalb beteiligt er sich schon länger an der Tierwohl-Initiative des Handels. Nun will er dabei helfen, dass Ferkeln nicht mehr in einer schmerzhaften Prozedur der Ringelschwanz gekürzt wird.

Das Projekt dafür haben die zwei Bauernverbände in Nordrhein-Westfalen vor Kurzem gestartet, zusammen mit 61 Schweinehaltern, dem grünen Landwirtschaftsministerium in Düsseldorf und dem Einzelhändler Rewe. Es ist eines von vielen in Deutschland. Ziel solcher Initiativen ist es, für mehr Tierschutz in den Ställen von Geflügel, Schweinen und Kühen zu sorgen. So wollen es die Verbraucher, so will es der Handel. In Königs Fall geht es darum, die Bedingungen im Stall so zu verändern, dass auf das sogenannte Kupieren von Ringelschwänzen verzichtet werden kann. Ein besonders heikles Thema in der konventionellen Tierhaltung. Denn eigentlich ist das Abschneiden verboten und nur mit Ausnahmegenehmigung möglich. Doch die Ausnahme ist in den meisten Ställen zur Regel geworden, um Verletzungen zu verhindern. Gestresste Tiere verbeißen sich gern im Ringelschwanz ihrer Artgenossen. Dies alles wirft kein gutes Licht auf die Halter. Das weiß auch König, deshalb sucht er nach Auswegen.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Über den Weg hin zu einer tierfreundlicheren Haltung herrscht große Uneinigkeit, und das belastet viele Landwirte. Auch König spürt den Druck. Der Handel forciert das Geschäft mit dem guten Gewissen - und er soll dafür sorgen, dass es funktioniert. "Wie, das müssen wir aber erst herausfinden", sagt König, der schon mit 13 Jahren auf dem Hof kräftig anpacken musste, weil sein Vater schwer erkrankte.

Seine zwei Ställe liegen gleich neben dem Wohnhaus. 500 Tiere kann König hier unterbringen, in einzelnen Boxen mit je 8,7 Quadratmetern. Gemästet wird in Gruppen mit bis zu sieben Tieren. Damit gehört der westfälische Landwirt eher zu den kleineren in der Branche. Im Osten Deutschlands sind Betriebe mit Zehntausenden Schweinen keine Seltenheit. Negative Schlagzeilen machte zuletzt der große Schweinezüchter Adrianus Straathof, der wegen grober Missstände und Tierschutzverstößen mit einem Berufsverbot belegt wurde. Der Fall habe allen in der Branche geschadet, sagt König. "Klar will ich diese schwarzen Schafe weghaben, sofort."

Sehen so glückliche Schweine aus?

Bei König geht es im Vergleich zu den großen Ställen beschaulich zu. Die Tiere machen einen munteren Eindruck, sie springen und tollen herum, zupfen an Jutesäcken und Seilen, die als Spielzeug dienen. Der Stall ist sauber, es riecht nach Schwein, aber nicht penetrant. Sehen so glückliche Schweine aus? König findet: Ja. Das Besondere in seinem Stall ist, dass bei einem Teil der Tiere die Ringelschwänze unversehrt sind. Damit das auch so bleibt, muss er einiges tun. Nur zufriedene Tiere schnappen nicht nach Artgenossen. Viele Faktoren spielen eine Rolle, etwa Futter und Wasser, die Gestaltung der Boxen, das Raumklima und vieles mehr. Für König ein mühsamer Lernprozess, der seine Tücken hat. "Was bei mir funktioniert, muss woanders noch lange nicht klappen. Jeder Bauer arbeitet anders."

Finanzielle Unterstützung bekommt König von Rewe, 18 Euro gibt es pro Tier, hinzu kommt eine Starthilfe von 500 Euro. Das Projekt läuft bis zum nächsten Frühjahr und kommt laut Bauernverband gut an bei den Haltern. "Wenn ein Erzeuger Mehrleistung erbringt, soll er dafür auch Geld bekommen", sagt ein Sprecher der Rewe Group. Der Einzelhändler will möglichst bald in seiner Lieferkette bei Schweinen auf Eingriffe wie das Kürzen von Ringelschwänzen verzichten.

Das klingt gut, trotzdem sehen viele Bauern solche Initiativen kritisch. Auch weil jeder Händler seinen Lieferanten eigene Vorschriften macht, die zum Teil weit über die gesetzlichen hinausgehen. Das macht die Sache kompliziert. "Der Lebensmittelhandel tritt zum Teil wie ein Gesetzgeber auf", meint Bernhard Schlindwein vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband, der dort das Ringelschwanz-Projekt betreut. Er fordert mehr Kooperation statt Konfrontation.

Dass der Handel dabei ist, die Tierhaltung in Deutschland nach seinen Vorstellungen zu verändern, steht für Armin Spiller außer Frage. Der Professor leitet den Lehrstuhl für Agrarökonomie an der Universität Göttingen. "Der Handel hat eine zentrale Schaltposition, weil es quasi nur noch vier große Firmengruppen gibt." Das hat aus seiner Sicht Vor- und Nachteile. "Einerseits kann der Handel innovativer sein und mehr durchsetzen als der Gesetzgeber." Ein Problem sieht Spiller jedoch dann, wenn Auflagen gemacht werden, die sich als nicht sinnvoll erweisen oder zu kurzfristig umgesetzt werden sollen.

Und dann wäre da ja noch die Sache mit dem Geld, wendet der Schweinemäster König ein. Dass Händler wie Rewe solche Initiativen finanziell unterstützen, sei nicht selbstverständlich. Meistens werde bei gleichen Preisen mehr Leistung gefordert. Doch mehr Tierschutz koste eben Geld. "Wenn man investiert, möchte man das irgendwann wieder haben", sagt König.

Bauern müssen sich an strenge Auflagen halten

Viele Landwirte fühlen sich von den Ansprüchen des Handels überfordert und gegängelt. Auch der bayerische Landwirt Michael Häsch hat schlechte Erfahrungen gemacht. Häsch ist ein streitbarer Mann mit blondem Haarschopf und breitem Kreuz. In Dietramszell, südlich von München, betreibt er einen Hof mit 16 000 Legehennen, 6000 davon in Bodenhaltung, 10 000 im Freiland. Knapp 30 Seiten mit Geschäftsbedingungen umfasste der Liefervertrag, den ihm ein großer Einzelhändler vor einigen Jahren vorlegte. "Da hätte ich viel investieren müssen und trotzdem keine Abnahmegarantie bekommen." Häsch hat nicht unterschrieben.

Bernhard Schlindwein vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband

"Der Lebensmittelhandel tritt zum Teil wie ein Gesetzgeber auf."

Investiert hat er trotzdem. Auch bei den Legehennen geht es um besseren Tierschutz. Damit sich die Tiere durch Federpicken nicht gegenseitig verletzten, wird ihnen schon kurz nach dem Schlüpfen der Schnabel gekürzt. Das ist üblich in der Branche, doch ab 2017 ist diese Praxis verboten. Für die Halter ist das eine Herausforderung. "Das Schnabelkürzen von heute auf morgen abschaffen, das geht nicht", erklärt Häsch. Seit fünf Jahren testet er, wie die Umstellung gelingen kann und ist auch an einem Bundesprogramm beteiligt. "Es geht darum, Erfahrungen zu sammeln, die sich auf andere Betriebe übertragen lassen, dafür brauchen wir auch die Hilfe von Wissenschaftlern." Häsch hat viel Neues ausprobiert, die Ställe umgebaut und die Futterpalette erweitert. Mit den Erfolgen ist er zufrieden, am Ziel sieht er sich aber noch nicht.

Von den großen Ketten hält er sich lieber fern. "Der Handel will sich mit kleinen familiären Betrieben schmücken, macht ihnen aber Auflagen, die oft nicht zu erfüllen sind", kritisiert er. Seine Eier vermarktet Häsch selbst, im eigenen Hofladen oder über die regionale Vermarktungsgesellschaft Unser Land. Wer sehen will, woher seine Eier kommen, ist jederzeit auf seinem Hof willkommen. Diese Einladung hat er sogar mit einem Foto von sich auf die Eierkartons drucken lassen.

Diese Möglichkeit zur Eigenvermarktung haben viele Milchbauern nicht. Sie sind auf die Kooperation mit ihren Molkereien angewiesen. Groß war deshalb die Empörung bei den Erzeugern, als im August bekannt wurde, dass Edeka bei den Molkereien neue Standards in der Milchviehhaltung durchsetzen will, ohne mit den Bauern selbst zu sprechen. Der Anforderungskatalog enthält kostspielige Vorgaben, etwa mehr Platz für die Tiere im Stall und umfangreiche Protokollpflichten.

Edeka bemüht sich um Schadenbegrenzung. In einem Schreiben an die SZ heißt es, bei dem Katalog handele es sich nicht um eine Forderung, sondern "um eine Aufforderung, miteinander ins Gespräch zu kommen". Diesen Dialog will man bei Edeka zunächst aber nur mit den Molkereien führen. Erste Gespräche hätten bereits stattgefunden und würden in den kommenden Wochen fortgesetzt, heißt es. Der Bayerische Bauernverband hält dieses Vorgehen für eine Provokation, auch angesichts der niedrigen Milchpreise. Schon jetzt müssten sich die Erzeuger an umfangreiche gesetzliche Vorschriften halten, weitere Sonderleistungen müssten honoriert werden, verlangt der Verband.

Auch in der Politik werden die Aktivitäten der großen Einzelhändler argwöhnisch beobachtet. Einerseits sinkt damit der Druck auf die Regierung, mehr Tierschutz mithilfe von Gesetzen durchzusetzen. Andererseits vergibt sie damit die Chance, selbst die Richtung vorzugeben. Verbraucher und Tierschützer lassen nicht locker , sie kritisieren immer wieder gravierende Mängel bei der Haltung von Schweinen, Geflügel und Kühen. Diese Defizite bekam Agrarminister Christian Schmidt (CSU) nun auch von einer Expertengruppe attestiert, die er selbst einberufen hat. Der sogenannte Kompetenzkreis hat diese Woche seinen Bericht vorgelegt. Schmidt selbst kündigte an, sein Ministerium arbeite derzeit an einem staatlichen Tierwohl-Label, das er Anfang 2017 vorstellen will.

Schweinemäster König verfolgt den Aktionismus in Sachen Tierschutz mit gemischten Gefühlen. Er befürchtet, dass bald noch mehr Kontrolleure auf seinem Hof stehen könnten. Sechs seien allein schon in diesem Jahr vorbeigekommen. Neben den staatlichen Veterinären, waren das unter anderem Futtermittelkontrolleure, Experten der Tierwohl-Initiative und vom Qualitätssicherungssystem QS. Auch sie schreiben, bis auf wenige Ausnahmen, eine Rechnung. "Es wird immer mehr kontrolliert und der Landwirt zahlt." Fair sei das nicht, meint er.

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