Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Rebellion auf großen Rädern

Deutsche Bauern wehren sich mit Straßenblockaden gegen strengere Umweltauflagen. Die Politik sieht sich allerdings zum Handeln gezwungen. Denn längst drohen hohe Strafzahlungen.

Von Markus Balser und Benedikt Müller, Berlin/Bonn

Eigentlich schwingt Martin Eudenbach ungern große Reden, das sagt er gleich zu Beginn. Und doch spricht der Milch- und Ackerbauer aus dem Westerwald nun auf dem Bonner Münsterplatz zu einigen Tausend Kollegen. Die jüngsten Agrarpläne der Bundesregierung - mit schärferen Düngeregeln und Beschränkungen für den Einsatz von Pestiziden - haben Eudenbach auf die Straße gebracht.

"Ich habe nicht Landwirt gelernt, um stundenlang im Büro zu sitzen", schimpft der Mitorganisator der Demonstrationen in seiner Region. Manchmal habe er den Eindruck, dass Deutschland zu einem einzigen Naturschutzgebiet werden solle, das seine Lebensmittel dann aus dem Ausland importiere, spitzt Eudenbach zu. "Ob das CO₂-neutral ist, das stelle ich mal infrage."

Unter dem Motto "Land schafft Verbindung" hatten sich Bauern aus der ganzen Republik im Internet zu Protesten verabredet - "weil unsere Branche auf dem Spiel steht", wie es in dem Aufruf heißt. In Bonn zählte die Polizei etwa 2000 Traktoren, die im Konvoi durch die frühere Hauptstadt kurvten, in der noch immer Abteilungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums sitzen. Auch in München und Hamburg blockierten Landwirte an zentralen Stellen den Verkehr. In Berlin umkurvten Hunderte Trecker die Siegessäule, wo erst vor Kurzem die Öko-Aktivisten von Extinction Rebellion den Verkehr lahmgelegt hatten.

Die Parallele war beabsichtigt. Denn die Bauern protestieren auch gegen strengere Umweltvorschriften. Konkret geht es um ein neues Agrarpaket von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Es sieht etwa Einschränkungen für den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat vor, mehr Geld für Umwelt- und Klimaschutz, ein freiwilliges Tierschutzlabel und ein Programm für den Insektenschutz. Die Regierung steht unter Druck, mehr für die Umwelt zu tun, weil sich etwa das Artensterben beschleunigt hat und hohe Strafzahlungen durch die EU drohen: wegen zu viel Gülle auf hiesigen Feldern.

Doch der Streit spaltet auch Klöckners Partei, die traditionell viele Landwirte zu den eigenen Wählern zählt. Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast etwa forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) dazu auf, den Konflikt um die Agrarpolitik zur Chefsache zu machen. Sowohl Parteikollegin Klöckner als auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) seien mit dem Problem überfordert, sagte Otte-Kinast vor etwa 2000 Landwirten in Hannover. Klöckner hingegen rechtfertigte die geplante Verschärfung: Es gebe angesichts von Umweltproblemen auch Erwartungen an die Bauern, beispielsweise bei der Sauberkeit des Grundwassers und der Einhaltung von EU-Regeln, sagte sie in Berlin.

Zur bundesweit größten Kundgebung in Bonn reisten mehrere Tausend Landwirte mit Kuhglocken und Apfelkisten, Trillerpfeifen und Tröten an. Ungewöhnlich viele Karohemden prägen am Vormittag die Stadt. Manche Gruppen waren schon am Montagabend aufgebrochen, um über Nacht mit dem Trecker nach Bonn zu fahren. Nun kommen auf dem Münsterplatz ganz unterschiedliche Gefühlslagen zum Ausdruck: Existenzängste und Ärger über die viele öffentliche Kritik, aber auch kämpferische Appelle an Händler und Verbraucher.

So erzählt ein Schweinebauer vom Niederrhein, dass er Flächen nur noch 20 Prozent unter Bedarf düngen darf. "Wenn ich so mit meinen Kindern umgehe, dann kommt das Jugendamt." Ein Kollege aus Osnabrück überlegt nach eigenem Bekunden, seine Schweinehaltung nach 750 Jahren Familiengeschichte aufzugeben - wegen der Politik der jüngsten Jahre. Ein Winzer vom Mittelrhein schimpft, es gebe nur deshalb so viele Vorschriften, "damit die, die uns kontrollieren, etwas zu tun haben". Und Mitorganisator Marcus Vianden wirft Nichtregierungsorganisationen vor, dass diese ein Geschäft daraus gemacht hätten, Angst vor Stoffen wie Glyphosat oder Nitrat zu streuen. "Wir Landwirte leben von und mit der Natur", hält der Bonner dagegen. "Wenn jemand Naturschützer ist, dann sind das wir."

Freilich stehen die Bauern nicht nur wegen der jüngsten Pläne unter Druck. Bundesweit kämpfen viele Betriebe ums Überleben. Anfang der Neunzigerjahre arbeiteten hierzulande noch knapp 1,2 Millionen Menschen in der Landwirtschaft, heute sind es 650 000. Auch die Zahl der Höfe hat sich fast halbiert. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete die Proteste deshalb auch als Ergebnis einer verfehlten Agrarpolitik. "Viele Bäuerinnen und Bauern stehen schlicht mit dem Rücken zur Wand, weil sie nicht mehr von dem leben können, was sie produzieren", so Hofreiter.

Die Landwirte appellieren an Verbraucher, mehr Geld für heimische Lebensmittel zu zahlen

Von Umweltschützern dagegen kam Kritik an den Protesten. Der BUND etwa monierte, bei vielen Entscheidungen bremsten die Bauernverbände selbst Verbesserungen aus - etwa beim Schutz des Grundwassers vor Nitraten.

Und dann sind da noch Landwirte wie Hermann Bossert. Der 69-Jährige hat Weingut und Ackerbaubetrieb in Rheinhessen längst an seinen Sohn übergeben, hilft aber noch regelmäßig aus. Auch Bossert ärgert, dass mittlerweile einer von fünf Beschäftigten seines Unternehmens nur noch mit Bürokratie beschäftigt sei. Doch appelliert der Rüben- und Getreidebauer vor allem an die Verbraucher: "Am Framstag wird unsere Welt untergehen", hat Bossert in Anspielung auf die Werbung einer Discounterkette auf sein Transparent gedruckt. "Heimische Lebensmittel kosten nun mal paar Cent mehr als Billigprodukte aus Übersee", sagt der Rheinland-Pfälzer, "auch wegen der strengeren Auflagen." Die Kunden haben es doch in der Hand, so Bossert, wo und was sie einkaufen gehen.

Gegen drei Uhr in der Früh seien die Kollegen aus seinem Ort Gundersheim aufgebrochen, um mit dem Traktor die gut 160 Kilometer nach Bonn zu fahren. "Wir wollen mal gesehen und gehört werden", sagt Bossert, der seine Bekannten am Transparent auf dem Münsterplatz erkennt: "In Deutschland wollt ihr heile Welt", haben sie darauf gepinselt, "das Essen nehmt ihr aus der Dritten Welt."

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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