Süddeutsche Zeitung

Regeln zum Insektenschutz:Die Dosis macht das Gift

Weniger Dünger, weniger Pflanzenschutz: Die Bauern müssen sich massiv umstellen. Höchste Zeit, dass die Agrarpolitik nachzieht.

Von Michael Bauchmüller

Niemand ist so sehr Opfer seines Tuns wie die Landwirte. Die Märkte verlangen mehr, sie liefern mehr. Sie steigern ihre Ernten mit allen möglichen Hilfsmitteln, schaufeln Kraftfutter in ihre Ställe - ganz so, wie es ihnen Agrarpolitiker in Deutschland und Europa seit Langem empfehlen. Leistungsfähigkeit war stets das Gebot der Stunde, und das zu niedrigen Preisen. Die Umwelt konnte warten. Jetzt rächt sich das.

An diesem Mittwoch hat das Kabinett neue, strengere Regeln für den Insektenschutz verabschiedet. Landwirte sehen sich als Opfer, weil sie auf Glyphosat und andere Chemie verzichten müssen. Und ja, auch diese Vorgaben sind Folgen ihres Tuns. Denn die Quittung erhalten die Bauern scheibchenweise. Da wäre der tiefe Graben, der sich zwischen Landwirtschaft und dem Rest der Gesellschaft aufgetan hat - aus Sorge um die Umwelt. Und da wären die faktischen Folgen ihres Tuns: Etwa erhöhte Nitratkonzentrationen im Grundwasser - und das vor allem dort, wo besonders viele Tiere gehalten werden, wo also viel Gülle anfällt. Das Verschwinden von Feldvögeln, weil die auf weiten Äckern immer weniger Rückzugsorte finden. Oder eben der massive Rückgang bei Insekten, auch durch den mitunter sorglosen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln.

Das alles ist nicht das Ergebnis böser Absicht. Wer, wenn nicht Landwirte, sollte um die Zusammenhänge der Natur wissen? Dass ein ausgelaugter Boden keine guten Erträge bringt, dass es ohne Insekten auch keine Bestäubung gibt, das weiß jeder Einzelne von ihnen. Und doch strapaziert das Kollektiv die Grenzen der Natur: Getrieben vom Druck der Märkte, angespornt von einer Agrarpolitik, die Größe und Masse belohnt, und vertreten von einer Lobby, die vor allem das freie, unbeschwerte Unternehmertum der Landwirte im Blick hat - weniger aber das große Ganze.

Die Koalition doktert nur an den Symptomen, und die Bauern sind aufgebracht

Auch das Paket zum Insektenschutz soll einen der Auswüchse intensiver Landwirtschaft eindämmen, diesmal durch Einschränkungen bei Pflanzenschutzmitteln. Dies ist, nach den neuen Düngeregeln zum Schutz des Grundwassers, der zweite starke Eingriff dieser Koalition in die landwirtschaftliche Praxis. Die Bauern sind aufgebracht. Und doch kann es nur der Anfang sein.

Denn letztlich doktert die Koalition nur an Symptomen. Sie kümmert sich um die Gülle als Folge intensiver Tierhaltung, kaum aber um die intensive Tierhaltung an sich. Sie bekämpft die Folgen zu intensiven Ackerbaus für Insekten - fragt aber nicht nach den Ursachen dafür. Doch wenn die Anreize das Kollektiv dazu bringen, immer wieder an die Grenzen von Ökosystemen zu gehen - dann ist wohl eher an den Anreizen etwas falsch.

Das mächtigere Instrument halten Bund und Länder gerade in der Hand: die künftige Verteilung der europäischen Agrarmilliarden. Denn Brüssel stellt es den Mitgliedstaaten frei, eigene Prioritäten dafür zu setzen. Sie können mehr Mittel in den Ökolandbau lenken - und damit in Anbauformen, die per se weniger Last für Umwelt und Natur bedeuten. Sie können Landwirte gezielter dafür entlohnen, nicht nur gute Lebensmittel, sondern auch lebenswerte Räume zu schaffen. Sie können Mittel umschichten und so weniger die schiere Größe von Betrieben entlohnen, mehr aber die Qualität, mit der diese ihr Land bewirtschaften. Die Steuergelder für die Landwirtschaft kämen so nicht allein der Landschaft zugute - sie böten den Bauern auch eine Perspektive jenseits der oft bescheidenen Erträge aus der Erzeugung von Lebensmitteln. Der Schutz, nicht die Ausbeutung von Ökosystemen würde so zum Geschäftsmodell.

Eine Politik aber, die sich nur um die Auswüchse intensiver Landwirtschaft kümmert, wird auf Dauer nur Verlierer produzieren. Die Natur, weil die Politik erst reagiert, wenn Auswüchse sichtbar werden - und dann nur noch reparieren kann. Die Landwirte, weil sie in einen ständigen Abwehrkampf gezwungen werden - und sich so nahezu zwangsläufig am Rand der Gesellschaft wiederfinden. Und die Verbraucher mit ihren hohen Ansprüchen an Landwirtschaft (bei begrenzter Zahlungsbereitschaft im Supermarkt) haben auch nichts davon.

Es gibt ein Forum, dass über genau diese Fragen berät: die von der Regierung eingesetzte Zukunftskommission. Sie soll bis zum Juni das Bild einer Landwirtschaft entwickeln, das sowohl für die Bauern selbst als auch für Umwelt und Gesellschaft funktioniert. Sie hat das Privileg, sich das System als Ganzes anzuschauen. Die Agrarminister von Bund und Ländern täten gut daran, sich die Vorschläge dieser Kommission gut anzusehen - ehe sie eine Politik fortsetzen, die nur Probleme schafft.

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