Das Wetter kennt keine Gnade mit Cem Özdemir. Die Sonne steigt immer höher, der Schatten verflüchtigt sich. Erst zieht der Landwirtschaftsminister das Sakko aus, dann krempelt er die Ärmel hoch. Feine Schweißtropfen treten auf seine Stirn. Aber irgendwie passt das auch ganz gut, es geht schließlich um die Ernte. Und damit für den Grünen auch ums Klima.
Özdemir ist zur Domäne Dahlem gekommen, einem Zwischending zwischen Bauernhof und Freilandmuseum im Südwesten Berlins. Die Ernte hier, so erfährt der schwitzende Minister, sei eigentlich relativ gut gewesen, gerade bei den frühen Sorten. Für die örtlichen Verhältnisse hat es sogar ganz gut geregnet. Und auch das passt Özdemir gut in den Kram. Er will Bilanz ziehen über die deutsche Ernte. Und das ist in diesem Jahr noch politischer als sonst.
Die Zahlen, so viel vorweg, waren schon besser. So fuhren deutsche Bäuerinnen und Bauern in diesem Jahr nur 34,5 Millionen Tonnen Getreide ein, Körnermais nicht mitgerechnet – und mithin gut neun Prozent weniger als im vorigen Jahr. Allerdings gingen die Erträge pro Hektar nur leicht zurück, und das wiederum hängt nach Auffassung des Ministeriums vor allem mit der Witterung zusammen: Da die feuchte Witterung die Aussaat von Winterweizen erschwerte, sei auch weniger Getreide angebaut worden. „Die Landwirtinnen und Landwirte sind schlicht nicht auf die Felder gekommen“, sagt Burkhard Schmied, zuständiger Abteilungsleiter im Ministerium. Anstatt Winterweizen bauten sie Sommerweizen an, der aber weniger bringt. Bei Hülsenfrüchten und Kartoffeln ist die Anbaufläche gewachsen, beim Hopfen nimmt das Land wieder Kurs auf die Weltspitze.
„Unterm Strich“, sagt Özdemir, „können wir zufrieden sein“. Allerdings zeige das Jahr auch, dass die Klimakrise die Landwirtschaft zunehmend in den Griff nehme. „Das Wetter gerät geradezu aus dem Gleichgewicht“, warnt der Minister, die Betriebe müssten sich darauf einstellen. „Wer uns empfiehlt, dass die Rezepte, die in die Krise geführt haben, uns aus der Krise herausführen sollen, der schadet der deutschen Landwirtschaft.“ Wen er damit genau meint, sagt er nicht. Aber es lässt sich ahnen.
Der Bauernverband legte dramatischere Zahlen vor
Erst vorige Woche hatte auch der Deutsche Bauernverband Erntezahlen vorgelegt – doch die klangen weit dramatischer als jene der Bundesregierung. „Stark unterdurchschnittlich“ sei die Getreideernte, ein seit zehn Jahren anhaltender Abwärtstrend setze sich fort. Anders als Özdemir sah der Bauernverband die Schuld aber nicht nur bei der Witterung, sondern auch bei Einschränkungen rund um Düngung und Pflanzenschutz. „Wir brauchen dringend eine Neuausrichtung in der Pflanzenschutzpolitik“, verlangte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Die Erntezahlen sind mittlerweile auch Waffen im politischen Streit.
Denn so eine Neuausrichtung schwebt auch Özdemir vor, nur ganz anders als Rukwied. Im Frühjahr hatte der Grüne einen „Beteiligungsprozess“ angestoßen, der ein „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“ aushecken soll. Ziel soll sein, Einsatz und Risiken von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent zu senken, das allerdings in Absprache auch mit der Landwirtschaft selbst, mit Beratung, Förderung und Forschung. Doch seit der Plan in der Welt ist, verursacht er Streit. Das Zukunftsprogramm sei in Wahrheit ein „Rückbauprogramm für die deutsche Landwirtschaft und für deren Produktivität“, ätzte Rukwied schon im Frühjahr, „schlichtweg inakzeptabel“. Das Agrarministerium wiederum betont Freiwilligkeit und Kooperation beim Abschied von zu viel Pflanzenschutz. So geht es hin und her.
Im September will Özdemir nun das Zukunftsprogramm vorlegen, und in der Domäne Dahlem, inmitten einer blühenden Wiese, klingt es nicht so, als wolle er von dem Plan abrücken – schließlich geht es auch um die Artenvielfalt im Land. „Wir können nicht so tun, als ob es die andere Krise, die Artenkrise, nicht gibt“, sagt Özdemir. „Lernen wir aus den Fehlern der Vergangenheit.“ Dann macht er sich auf in den Schatten.