Sie ist gewissermaßen die Urform allen Wirtschaftens, das Reallabor der Ökonomie. Die Landwirtschaft hat die Arbeitsteilung erst möglich gemacht: Weil sich einige um die Grundlagen der Ernährung kümmerten, konnte der Rest anderen Tätigkeiten nachgehen, jenseits des Jagens und Sammelns. Auch ist sie bis heute ein Abbild aller Ökonomien, sie kennt das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage, fordert eine gewisse Risikobereitschaft, ist Markt-Wirtschaft im buchstäblichen Sinn. Eine Zukunft ohne Landwirtschaft ist nicht vorstellbar, nur muss sie anders aussehen.
Die Fragen werden von Jahr zu Jahr drängender. Wird die Landwirtschaft durchrationalisiert bis zum Letzten? Wird eine stetig schrumpfende Zahl an Betrieben stetig wachsende Erträge ernten können? Wie verträgt sich das mit den Ansprüchen einer Gesellschaft, die jedenfalls auf dem Papier das Thema Nachhaltigkeit riesengroß schreibt? In Berlin hat eine "Zukunftskommission" ihre Arbeit aufgenommen, sie soll genau diesen Fragen nachgehen. In Brüssel laufen außerdem Gespräche über die künftige Agrarpolitik an. Beide haben das Zeug, mehr noch: die Aufgabe, die Dinge zu ändern.
Das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und dem Rest der Gesellschaft ist angespannt. Viele Faktoren spielen eine Rolle dabei: preisbewusste Verbraucher und ein hochkompetitiver Handel. Agrarsubventionen mit ihren Anreizen und Fehlanreizen. Die Sprachlosigkeit zwischen Bauern und Konsumenten. Ein kompliziertes Knäuel ist entstanden, aus Regulierung und Deregulierung, aus technischem Fortschritt und Grenzen des Wachstums, aus gesellschaftlichen Ansprüchen und den Gesetzen der Ökonomie.
Dieses Knäuel lässt sich noch am ehesten entwirren, wenn man die Probleme von oben abschichtet; beginnend vielleicht mit dem technischen Fortschritt. Er begleitet die Bauern gewissermaßen seit der Erfindung von Schaufel und Rad. Der von Ochsen gezogene Pflug war ein gewaltiger Fortschritt, später der Traktor, der Mähdrescher. Die Erfindung des Stickstoffdüngers war Fortschritt, aus Sicht der Landwirte auch der chemische Schutz vor Schädlingen aller Art. Die Folge waren stets höhere Erträge bei sinkendem Einsatz von Arbeit. Der Kapitaleinsatz dagegen wuchs.
Es wuchs auch die Weltbevölkerung - auch als Folge der Fähigkeit, aus jedem Hektar ständig mehr herauszuholen. Mehr noch: In einzelnen Ländern, auch in Deutschland, warfen und werfen Felder und Ställe mehr ab, als die eigene Bevölkerung braucht. Deutschland exportiert weit mehr Fleisch, Milch, Kartoffeln, als es importiert.
Diese wettbewerbsfähige Landwirtschaft ist gewollt
Beides, der technische Fortschritt und die Exportorientierung, führen in ein Verhängnis, das selbst der größte Fortschritt nicht überwinden kann: der massiven Überschreitung natürlicher Grenzen. In dem Maße, in dem sich Märkte - auch durch alle möglichen Handelsabkommen - geöffnet haben, wächst der Wettbewerbsdruck innerhalb der Landwirtschaft. Wer heute - zu recht - über eine Tierhaltung klagt, die Futter aus Südamerika importiert, das Fleisch exportiert, die überschüssige Gülle aber auf hiesigen Äckern versickern lässt, der findet darin alles, was eine auf Wettbewerbsfähigkeit getrimmte Landwirtschaft im 21. Jahrhundert ausmacht. Sie ist verwoben in globale Wertschöpfungsketten, dies aber um den Preis gewaltiger externer Kosten. Beispiel Trinkwasser: Es muss aufwendig von Gülle-Rückständen gereinigt werden. Die Bedingungen in den Ställen wünscht man ohnehin keinem Schwein.
Diese wettbewerbsfähige Landwirtschaft ist gewollt, mehr noch: An globalen Märkten, die keine gemeinsamen Standards kennen, scheint sie alternativlos. Das Gespenst unbewirtschafteter Brachen und leerer Ställe geht um, liegen gelassen von Landwirten, die sich dem Wettbewerbsdruck geschlagen gaben. Lebensmittel müssten dann vermehrt eingeführt werden, die "Selbstversorgung" wäre dahin. Lobbyverbände der Bauern, aber auch der chemischen Industrie haben diese Schreckgespenster mühevoll gezüchtet. In dieser Welt ist, wie in vielen anderen Branchen auch, jede neue Auflage eine Bedrohung des Standorts. Der Verzicht auf Auflagen ist aber umgekehrt eine Bedrohung des Standortkapitals: des Bodens etwa, der Artenvielfalt, der klimatischen Bedingungen; fehlende Regulierung geht auf Kosten des Tierwohls und der Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten.
An dieser Stelle kommen die Agrarsubventionen der EU ins Spiel. Ursprünglich sollten sie einmal die Wettbewerbsnachteile für Europas Landwirtschaft ausgleichen. Weil Europas Bauern eben doch Auflagen haben, die manche ihrer Konkurrenten nicht kennen, weil sie mit höheren Arbeitskosten operieren und teils unter ungünstigen geografischen Bedingungen, sollten sie einen Ausgleich erhalten. Allein deutsche Landwirte bekamen so im vergangenen Jahr insgesamt 6,7 Milliarden Euro europäischer Steuergelder.
Die EU-Subventionen belohnen Betriebe mit viel Fläche - ein falscher Anreiz
Verteilt werden die allerdings in erster Linie nach Fläche: Je größer der Betrieb, desto mehr Geld. Das ist immer noch besser als jene Preisstützungen, die einst Milchpulver- und Butterberge schufen, und auch besser als jene Exportsubventionen, die Entwicklungsländer mit günstigen EU-Waren fluteten und so dort Märkte zerstörten. Aber wieder setzen Europas Beihilfen einen falschen Anreiz: Sie belohnen Betriebe mit viel Fläche - und treiben so die Bodenpreise in die Höhe.
Die Folgen sind fatal und Teil des Problems, dem sich Landwirte, besorgte Verbraucher und Zukunftskommission nun gegenübersehen: Wer Land pachtet, muss umso mehr erwirtschaften, um steigende Pachten bedienen zu können. Das zwingt zu einer weiteren Intensivierung. Die flächengebundenen Subventionen fließen so letztlich nicht an die Bauern, sondern zu großen Teilen an die Eigentümer des Bodens. Manche Landwirte geben frustriert auf und verpachten ihr Land lieber, statt sich darauf abzurackern. Investoren von außerhalb der Landwirtschaft entdecken Böden derweil als renditeträchtige Anlage, beflügelt noch von niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt. So nehmen die Dinge ihren Lauf.
Über die Jahre und Jahrzehnte haben sich so Landwirte und Verbraucher, wie abhängig auch immer sie voneinander sind, entfremdet. Bauernhöfe, wie sie einst viele Dörfer prägten, haben dichtgemacht oder die Ortschaften verlassen. Landwirte sind mehr denn je Manager, die der technische Fortschritt nun zunehmend vor die Computer zwingt, wo sie GPS-Daten für ihre Äcker einprogrammieren müssen. Viele ihrer Kunden dagegen studieren Zeitschriften wie die Landlust und erträumen Hofidyllen am heimischen Kamin. Was aber nicht zwingend bedeutet, dass sich ihre Wertschätzung für das Landleben auch in den alltäglichen Konsumentscheidungen niederschlägt. Zu verlockend sind die Supersonderangebote, die eine intensive, global vernetzte Landwirtschaft im Handel möglich macht.
So, wie es ist, kann es unmöglich bleiben. Wenn der Wettbewerb zu Intensivierung zwingt, diese aber an ökologische Grenzen stößt, wenn zugleich der gesellschaftliche Anspruch an eine nachhaltige, tiergerechte Landwirtschaft wächst, entsteht für die Bauern ein unlösbares Dilemma. Verhindern lässt sich das nur, wenn der Druck zur Intensivierung abnimmt.
Die Agrarsubventionen der EU spielen hier eine Schlüsselrolle. Nächste Woche laufen, unter deutscher Ratspräsidentschaft, in Brüssel die entscheidenden Gespräche für die nächste Förderperiode an; sie wird sieben Jahre dauern. So, wie sie in der Vergangenheit Dinge ins Ungleichgewicht gebracht hat, könnte sie Verhältnisse wieder ins Lot bringen - wenn die Europäer es denn wollen.
Es muss sich lohnen, nachhaltig zu wirtschaften
Da wäre, als Erstes, der Abschied von der unseligen Belohnung schierer Hektare. Mittel ließen sich umschichten hin zu Leistungen, die letztlich die Grundlagen der Landwirtschaft erhalten: Böden, Artenreichtum, Tierwohl. Es muss sich lohnen, Grünland zu erhalten und Äcker schonend zu bearbeiten, es muss, anders als heute, sich lohnen, Baumstreifen zu pflanzen, die der Erosion vorbeugen und Rückzugsräume für Tiere bieten. Selbst die Förderung von Arbeitskräften wäre denkbar, wie sie vor allem nachhaltig wirtschaftenden Betrieben zugutekäme - nicht aber jenen Betrieben, die mit riesigem Maschinenpark weitgehend ausgeräumte Agrarlandschaften bewirtschaften. Wenn es darum geht, den Teufelskreis aus Fehlanreizen, Kapitalinteressen und wachsendem Wettbewerbsdruck auf die Betriebe aufzubrechen, hängt einiges an der künftigen Agrarpolitik Europas.
Damit aber ist es nicht getan. Hinter der wachsenden Entfremdung zwischen Bauern und Verbrauchern stehen Fragen an die ganze Gesellschaft: Welche Art Landwirtschaft, welches Landesgepräge will sie eigentlich? Und was ist sie dafür zu zahlen bereit?
Hier kann die Zukunftskommission einiges klären. Ganz offensichtlich liegen Welten zwischen den Ansprüchen an die Landwirtschaft, an ihre Erzeugnisse - und der Zahlungsbereitschaft im Supermarkt. Tiere aus artgerechter Haltung, der Verzicht auf chemische Hilfsmittel im Ackerbau, der konsequente Anbau des eigenen Futters - dies alles hat seinen Preis. Er lässt sich nicht durchsetzen, wenn im Kühlregal gleich nebenan das billiger hergestellte Stück Fleisch zum günstigeren Preis liegt. Auch hübsche Siegel und flammende Appelle helfen alleine nicht.
Das gelingt nur mit besseren Standards: Das Gute muss die Norm sein. Auch das lässt sich am Ende nur europäisch durchsetzen, letztlich sogar in internationalen Handelsverträgen. Nicht wenige sprechen von einem neuen Gesellschaftsvertrag, den es zu schließen gelte. Das ist ein großes Wort, aber es trifft die Sache. Ein Vertrag regelt immer Leistung und Gegenleistung. Einen Vertrag schließt man auf Augenhöhe. Ein Vertrag ist auf Dauer angelegt, er bietet Verlass. Erreichen lässt er sich nur, wenn die Sprachlosigkeit endet, die sich zwischen den Bauern, den Verbrauchern, den Discountern und der Politik eingestellt hat; letztlich auch zwischen Stadt und Land.
Das alles verlangt nicht mehr als etwas Vernunft. Eine Zukunft haben das Land, seine Bauern und die Verbraucher nur gemeinsam. Die Grenzen dieser Zukunft steckt nicht allein der Markt, sondern auch die Natur.