Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Ernte ohne Helfer

Auf vielen Bauernhöfen beginnt die Spargelsaison. Doch das Virus hält Arbeitskräfte aus Osteuropa fern. Nun sind kreative Lösungen gefragt.

Von Michael Bauchmüller und Silvia Liebrich, Berlin/München

Jörg Umberg sucht jetzt fieberhaft nach Flügen. "Ich versuche die letzte Variante", sagt er. Sonst weiß er auch nicht mehr, wie seine Helfer ins Land kommen sollen. Und die Zeit drängt.

Umberg betreibt einen Spargelhof im Ruhrgebiet, bei Bottrop. In diesen Tagen teilt er das Schicksal von hunderten Landwirten: Der Spargel muss von den Feldern, aber die Leute dafür fehlen. "In normalen Jahren habe ich dafür 40, 45 Leute", sagt Umberg. "Aber was ist jetzt schon normal?" Vor allem aus Rumänien sollen seine Helfer kommen, doch in Zeiten des Coronavirus schaffen sie es nicht nach Deutschland. Der Flieger wäre eine Lösung, zuerst zögerte Umberg jedoch noch. Während des Zögerns stiegen die Preise für die Flüge von 59 auf 139 Euro. Und dann auf 509. "Wenn die Leute nicht kommen, hängen wir in der Luft." Er selbst komme noch gut zurecht mit der Lage. Aber für manche seiner Kollegen, sagt er, gehe es nun an die Existenz. Viele hätten sich hoch verschuldet. Und jetzt das.

Ein plötzlicher shut down ganzer Volkswirtschaften, von heute auf morgen geschlossene Grenzen, grassierende Angst vor einer unsichtbaren Gefahr: Das Coronavirus zeigt Schwachstellen auf, die vorher niemand auf dem Schirm hatte. Die plötzliche Abwesenheit der Erntehelfer ist eine davon. 280 000 davon kamen in der Vergangenheit Jahr für Jahr ins Land, sie halfen bei der Spargelernte, im Gemüseanbau, auf Erdbeer- und Himbeerfeldern - überall dort, wo die Landwirtschaft besonders arbeitsintensiv ist. 95 Prozent kamen aus dem Ausland, vor allem aus Rumänien, andere aus Polen, der Ukraine.

Studenten und Schüler sind bereit zu helfen - ein Zeichen für Solidarität

Nun aber ist die Lage ernst. Am Donnerstag wendet sich deshalb Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) an Helge Braun, den Chef Bundeskanzleramts. Busse mit Arbeitern aus Rumänien würden an der Durchreise durch Ungarn und Österreich gehindert, klagt sie. Polnische Helfer wiederum befürchteten, sich in Deutschland zu infizieren "und nicht wieder zu ihren Familien ausreisen zu dürfen". Es brauche rasch Lösungen, verlangt Klöckner. "So könnte eine Passierscheinregelung für ausländische Saisonarbeitskräfte eingeführt werden, um die Durchreise durch Transitländer wie Österreich, Polen oder Ungarn zu ermöglichen." Auch könne eine "direkte Ansprache" des polnischen Regierungschefs durch die Kanzlerin "dazu beitragen, die Lage zu beruhigen".

Wie nötig das wäre, weiß auch Xaver Hobmaier. Dem Hopfenbauer in der Hallertau fehlen auch gerade jetzt die Helfer. Etwa, um die Drähte aufzuhängen, an denen der Hopfen im Sommer hinaufwachsen kann. Seine Arbeiter kamen bislang aus Polen, manche schon seit 30 Jahren. Doch was er von ihnen gerade hört, bereitet ihm Sorgen. Die polnischen Medien schüren offenbar Angst. "Da wird wohl verbreitet, alle Menschen in Deutschland seien krank", erzählt der 50-Jährige.

Hobmaiers Helfer kommen und gehen, normalerweise. Bis zu 18 Kräfte sind es jedes Jahr, die erst für ein paar Wochen im Frühjahr und dann von Frühsommer bis zur Ernte bleiben. Jetzt aber gelten Quarantäne-Regeln in Polen. "Wer herkommt und in zwei Wochen wieder zurück nach Polen will, muss 14 Tage in Quarantäne. Die meisten meiner Arbeiter können sich das nicht leisten, weil sie ja auch Zuhause einen Job haben." Für die Saisonarbeit in Deutschland nehmen sie sich frei, weil sie im Hopfen einen guten Extraverdienst haben. Jetzt lassen es die meisten bleiben.

Was aber nun? Naturbedingt sei das Zeitfenster für Pflanzungen und Ernten begrenzt, warnt Klöckner in dem Schreiben an Kanzleramtschef Braun. "Wir müssen daher alle Möglichkeiten ausschöpfen, die Versorgung unserer Bevölkerung mit heimischen Produkten sicherzustellen." Bei Spargelbauer Umberg heißt das zunächst: Die Kinder, 14 und 17, helfen mit. Die haben schließlich schulfrei. Auch beim Hopfenbauern Hobmaier sind vorübergehend die Familie, Freunde und Bekannte im Einsatz. Auf Dauer aber wird das nicht reichen, zumal die Arbeiten auch nicht trivial sind. Für die schweren Arbeiten in sieben Meter Höhe brauche es Erfahrung, sagt Hobmaier. Auch schwindelfrei müsse man sein, logisch.

Dabei gäbe es theoretisch reichlich Leute, die einspringen könnten - und vielleicht sogar dringend einen Hinzuverdienst brauchen. So sei zu prüfen, ob "Arbeitskräfte, die aufgrund des Shut-Downs auf dem Sportmarkt keine Arbeit finden, vermehrt in landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt werden können", schlägt etwa Sebastian Lakner vor, Professor für Agrarökonomie an der Uni Rostock. "Hierbei dürfte die Herausforderung darin bestehen, dass die Arbeit gerade im Obst- und Gemüsebau oft als anstrengend empfunden wird und auch Vorkenntnisse erfordert." Da könnten allerdings auch Landwirtschaftskammern mit Beratung helfen.

Interessenten gibt es schon. Bei Spargelbauer Umberg in Bottrop etwa hat sich der Mitarbeiter eines Restaurants gemeldet, das derzeit geschlossen ist. Er selbst würde liebend gern auch Leute nehmen, die derzeit keinen Job haben. Häufig allerdings kämen da geltende Hinzuverdienstgrenzen ins Spiel. Umberg nennt es "die bürokratischen Fallstricke". Auch Klöckner schweben deshalb Lockerungen vor, etwa eine Anhebung der 450-Euro-Grenze für Minijobber, für Kurzarbeitende, Arbeitslose und anerkannte Asylbewerber, die noch keine Arbeitsgenehmigung haben. Sie hat zudem regionale Jobbörsen ins Gespräch gebracht, auf denen Bauern nach Helfern für die Ernte suchen können.

Ob sich 280 000 fehlende Kräfte ersetzen lassen? Einfach wird es nicht

Unterdessen schaltete der Deutsche Bauernverband eine bereits bestehende Vermittlungsplattform im Internet wieder scharf, die ursprünglich auch für Osteuropäer gedacht war. Auf der Internetseite saisonarbeit-in-deutschland.de können Interessierte nach Höfen in ihrer Umgebung suchen, die Bedarf an Arbeitskräften haben. Solche Helfer zu beschäftigen, auch etwa Schüler und Studenten, sei nicht kompliziert, heißt es bei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. "Wer Hilfskräfte bis zu 70 Tage im Gesamtjahr beschäftigt, muss kaum Sozialabgaben abführen." Allerdings müsse Mindestlohn gezahlt werden. Der liegt bei 9,35 Euro die Stunde. Von einer Aufweichung geltender Arbeitsregeln, wie sie Agrarverbände nun fordern, hält die Gewerkschaft nichts.

Ob sich am Ende aber 280 000 fehlende Kräfte ersetzen lassen? Einfach wird es nicht. Die Arbeit ist nicht nur anstrengend und erfordert Vorkenntnisse. Sie birgt auch logistische Herausforderungen. Die Saisonarbeiter aus Osteuropa übernachten häufig in Sammelunterkünften, die schon vor Corona hygienisch fragwürdig waren. Mit dem Virus verbietet sich so eine Unterbringung erst recht. Wer sich also mit den Bauern solidarisieren will oder schlicht Geld braucht, sollte auch in der Nähe wohnen. Die Arbeit auf den Feldern beginnt schließlich in aller Herrgottsfrühe.

Die Frage ist nur: Wie viel Ernte braucht es? Jörg Umberg etwa hat viel von seinem Spargel an die Gastronomie verkauft. Absehbar wird das Coronavirus diesen Markt einbrechen lassen. "Was wir jetzt überlegen: Macht es Sinn, noch alles zu ernten?", sagt er. Und auch Hobmaier ist unsicher, wie sehr sein Hopfen gefragt sein wird. Alle Feste in der Region wurden abgesagt. "Wer soll jetzt das extra dafür gebraute Starkbier trinken?", fragt Hobmaier. Umgekehrt gelte aber auch: Das Bier wird auch in der Krise nicht ausgehen. Es wird nur womöglich weniger getrunken.

So verändert das Virus alles - und vielleicht auch das zuletzt angespannte Verhältnis zwischen Bauern und einer konsumfreudigen, aber sparsamen Gesellschaft. Beim Gemüsebauern Andreas Rapp in Esslingen etwa trudelten dieser Tage E-Mails von Studenten ein, die ihm gern auf dem Feld helfen wollen, um sich etwas dazuzuverdienen. "Kann sein, dass wir das bald in Anspruch nehmen", sagt Rapp. Er freut sich: "Das ist eine schöne Geste. Sie zeigt, dass es Solidarität gibt."

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SZ vom 20.03.2020
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