Süddeutsche Zeitung

Agrarwende:Die Arbeit der Bauern verdient mehr Respekt

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Die Agrarwende hin zu nachhaltigerem Wirtschaften wird nur gelingen, wenn sich die Landwirte der Kritik stellen - und alle anderen die Sorgen der Bauern ernst nehmen.

Kommentar von Jan Bielicki

Sie waren Zehntausende, und sie waren bewaffnet. Aber die oberschwäbischen Bauern wollten nicht kämpfen, sie wollten verhandeln. In zwölf "haupt Artickel aller Baurschafft" schrieben sie auf gut Schwäbisch ihre Forderungen an die Obrigkeiten, "von wölchen sy sich beschwere vermainen". Es ging um Pachten, Steuern, Frondienste, vor allem jedoch um eines: "das wir frey seyen unnd wöllen seyn". Doch es sollte nicht so kommen, wie es sich die in Memmingen versammelten Bauernvertreter im März 1525 vorstellten. Die adeligen Obrigkeiten schlugen den Aufruhr des unbotmäßigen Landvolks in blutigen Massakern nieder.

Fast fünf Jahrhunderte nach dem Deutschen Bauernkrieg sehen sich viele Landwirte wieder beschwert von der Obrigkeit. An diesem Montag hat Kanzlerin Angela Merkel Vertreter der Landwirte zum "Agrargipfel" ins Kanzleramt geladen. Und zu Tausenden fuhren sie vergangene Woche ihre Traktoren ins Zentrum Berlins. Es war eine mächtige Demonstration. Der Beginn eines Bauernaufstands war es nicht. Es brannten keine Heubarrikaden, es wurde kein Mist vor Ministerien gekarrt, keine Gülle vors Parlament gekippt. Die Umweltministerin wurde von der Redebühne gebuht, doch das ist eine nicht feine, aber legitime Form, Protest und Wut zu zeigen.

Der Kritik fehlt mitunter das Maß

Und Wut gibt es unter den Bauern. Sie hat sich aufgestaut, und das Agrarpaket der Bundesregierung ist wohl nur der Anlass, der sie ausbrechen ließ. In neun Punkten haben die Initiatoren ihre Forderungen gefasst, es geht um Richtlinien, Vorschriften, doch vor allem wohl um etwas, was sich kaum in Gesetze gießen lässt: Respekt, ein Wort, das viele Demonstranten in die Mikrofone gesprochen haben. "Wir verwehren uns ausdrücklich gegen das negative Bild der Landwirtschaft, das immer wieder in der Öffentlichkeit gezeichnet wird", lautet der zentrale Satz des Demonstrationsaufrufs. Darin schwingt ein Vorwurf unausgesprochen mit: Das Zerrbild, in dem sich viele Bauern arg verunstaltet dargestellt sehen, entsteht in der Stadt, weit weg von Flur, Feld und Dorf.

Tatsächlich sind etliche Assoziationen, die sich in den Köpfen vieler Menschen mit der Landwirtschaft verbinden, keine schönen: Massentierhaltung in den Ställen, Chemie auf den Feldern, Fleischskandale, Insektensterben, nitratverseuchtes Grundwasser - solche Schlagworte benennen nicht nur die Sorgen einiger von grünem Zeitgeist behauchter Städter, sondern echte und massive Probleme. Die Mitverantwortung industrialisierter Agrarproduktion daran herunterzuspielen, wie manche Sprecher der neuen bäuerlichen Protestbewegung es tun, trägt kaum dazu bei, das beklagte Image der Bauernschaft zu verbessern, im Gegenteil.

Allerdings ist der Eindruck vieler protestierender Landwirte nicht falsch, dass mancher Pauschalkritik das Maß fehlt - und die Kenntnis, wie eine moderne Landwirtschaft funktioniert, die immerhin ein ganzes Land im Überfluss versorgt. Da jeder isst, was Äcker und Ställe hergeben, geht das jeden an und jedem nah. Was im Brot steckt, wie der Apfel reift und das Ferkel zum Schlachtschwein heranwächst, weckt eben mehr Emotionen als die Herstellung von Schraubgewinden. Dazu kommt, dass viele Deutsche ein romantisiertes Bild agrarischen Wirtschaftens vor Augen haben und die davon abweichende Realität nur als dessen negativen Abklatsch wahrnehmen. Hier der brave Biobauer, dort die böse Agrarindustrie - dieses Schwarz-Weiß-Muster wird vielen Landwirten nicht gerecht. Auch viele, die konventionell anbauen, bemühen sich, den Einsatz chemischer Mittel zu minimieren oder Insekten eine Blühwiese zu pflanzen. Und nicht jeder, der auf Ökosiegel umstellen möchte, kann das auch, solange die Kunden in den Supermärkten vor allem auf den Preis des Billigschnitzels schauen. In den Zwängen eines oft unbarmherzigen Marktes stecken sie alle.

Subventionen wie Kuhfladen

Die Bäuerin und der Bauer von heute sind in der Regel gut ausgebildete, oft studierte Fach- und Geschäftsleute, die einen hochkomplexen Betrieb leiten. Es geht ihnen nicht schlecht, im Schnitt jedenfalls. Brutto verdiente ein Vollerwerbsbetrieb im Rechnungsjahr 2017/18 etwa 45 000 Euro pro (meist familiärer) Arbeitskraft, also 3800 Euro im Monat. Etwa 40 Prozent davon kamen aus den Agrartöpfen der EU, also aus den Taschen von Europas Steuerzahlern.

Diese Subventionen verteilen sich freilich über die Agrarflächen wie Kuhfladen über eine Weide mit fettem Gras hier und magerem dort: Wo ohnehin viel ist, wird viel gegeben. Das verstärkt den Trend hin zu weniger, aber größeren Betrieben. Zudem ist Landwirtschaft ein höchst kapitalintensives Gewerbe. So haben sich die Bodenpreise für Agrarland seit 2010 mehr als verdoppelt. Das ist gut für Erben, die den Hof ihrer Eltern aufgeben und verkaufen wollen. Aber kleinere Betriebe stehen bei Investitionen, und seien sie noch so wünschenswert für die Umwelt, allzu oft vor der existenziellen Frage, ob sich das Weitermachen noch lohnt. Jedes Jahr gibt einer von hundert Betrieben auf.

Gerade noch gut 600 000 Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. Vor drei Jahrzehnten waren es doppelt so viele. Es gibt in Deutschland längst mehr Lehrer als Bauern. Entsprechend haben die Landwirte und ihre Lobby Einfluss in Politik und Gesellschaft verloren. Auch das mag für viele von ihnen frustrierend sein, aber die Zeit, da die organisierte Bauernschaft den Finger hob und die Politik kuschte, ist vorbei und lässt sich auch nicht zurückdemonstrieren. Selbst im ländlichen Raum und auf dem Dorf sind Bauern längst nicht mehr der prägende Berufsstand, sondern eine Minderheit.

Doch es ist eine Minderheit, auf die es ankommt, wenn es darum geht, gesunde Lebensmittel aus einer gesunden Umwelt zu gewinnen. Nur mit den Landwirten lässt sich die mühsame, teure, aber auch in deren eigenem Interesse nötige Agrarwende hin zu nachhaltigerem Wirtschaften schaffen. Das darf nicht heißen, jeder Regung bäuerlichen Zorns nachzugeben. Aber ernst nehmen sollte man Nöte, Ängste und Beschwernisse der Bauern schon.

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Quelle:
SZ vom 30.11.2019
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