Lage der Gewerkschaften am Tag der Arbeit:Überlebenskampf im globalen Monopoly

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Die Gewerkschaften ringen um ihre Rolle in einer radikal veränderten Arbeitswelt, und zum Tag der Arbeit wollen Arbeitnehmer lieber ins Grüne als zur DGB-Demo. Doch die Botschaften von IG Metall & Verdi treffen in die Mitte der Gesellschaft.

Uwe Ritzer

Und sie geht doch. "Auf jeden Fall" werde sie eine Maikundgebung besuchen, sagt Bettina Heurung, "schließlich sind starke Gewerkschaften wichtig." Allerdings könnte es gut sein, dass sie etwas verloren herumsteht.

Denn die IG- Metall-Funktionäre sind sauer auf die Betriebsratsvorsitzende des kleinen FAG- Kugellagerwerkes im unterfränkischen Elfershausen, seit sie im Herbst vorigen Jahres ein Tabu gebrochen hat.

Gegen den erbitterten Widerstand ihrer Gewerkschaft erklärten sich IG-Metall-Mitglied Heurung und ihre Kollegen bereit, fünf Stunden länger pro Woche zu arbeiten, und das ohne Lohnausgleich. Freiwillig, um ihr Werk dauerhaft zu erhalten, sagt die Betriebsratsvorsitzende. Auf perfiden Druck raffgieriger Manager hin, sagt die IG Metall.

Der hochprofitable FAG-Mutterkonzern Schaeffler garantierte im Gegenzug, die 230 Arbeitsplätze in Elfershausen bis Ende 2012 zu erhalten und in die Fabrik zu investieren. Solche Vereinbarungen gibt es normalerweise nur in Notfällen, und dann werden sie von den Tarifparteien vertraglich geregelt.

Lieber arbeitsfrei als zur Demo

Dass ein Betriebsrat, wenn auch mit 98-prozentiger Zustimmung der Belegschaft im Rücken, im Alleingang derart weitreichende Zugeständnisse macht, war bundesweit einmalig. Wenn das Schule macht, wäre es aus mit der gewerkschaftlichen Macht und Herrlichkeit.

Legt man den am 1. Mai 1890 erstmals in Bayern zelebrierten Tag der Arbeit als Maßstab an, dann ist es damit ohnehin nicht mehr weit her. 135 Maikundgebungen haben die DGB-Gewerkschaften im Freistaat organisiert, aber die meisten Mitglieder und Sympathisanten genießen lieber den arbeitsfreien Tag, als sich Parolen gegen die Rente mit 67, die Gesundheits- und die Unternehmenssteuerreform anzuhören.

Davon, dass am 1. Mai 50 000 Menschen zu einer Kundgebung kommen, wie 1922 im Nürnberger Luitpoldhain oder 1965 auf dem Münchner Königsplatz, können die Gewerkschaften heute nur noch träumen.

An die Wand gedrängt

Machtvolle Demonstrationen von Stärke, Entschlossenheit und Solidarität waren das, schließlich ging es darum, gemeinsam etwas zu erkämpfen: Höhere Löhne, Weihnachts- und Urlaubsgeld, mehr Urlaub, kürzere Arbeitszeiten.

Seit allerdings die Grenzen fielen und Billiglohnländer nicht mehr im fernen Osten beginnen, sondern gleich hinter dem Bayerischen Wald, müssen die Gewerkschaften oft schon froh sein, wenn sie die in Jahrzehnten erkämpften Errungenschaften bewahren können.

"Man sollte sich endlich Gedanken machen, wie man Arbeitsplätze hierzulande gegen weltweite Konkurrenz halten kann", sagt die in Ungnade gefallene FAG-Betriebsrätin Heurung.

Fernab aller ritualisierten Gewerkschaftsrhetorik reicht selbst in profitablen Firmen wie FAG oder Pfleiderer in Neumarkt vielfach die vage Drohung, Arbeitsplätze ostwärts zu verlagern, um Betriebsräte an die Wand zu drängen, während die Gewerkschaften noch auf das Grundsätzliche pochen.

Dort, wo es am billigsten ist

Großen Einklang gab es hingegen bei AEG in Nürnberg. Zwar verlor man nach sieben bitterkalten Streikwochen im Winter 2006 den Kampf um das Hausgerätewerk mit seinen 1700 Arbeitsplätzen.

Nun lässt der schwedische Mutterkonzern Electrolux die Waschmaschinen und Geschirrspüler für weit niedrigere Löhne in Polen zusammenschrauben. Der IG Metall war es nicht gelungen, eine grenzübergreifende Arbeitnehmerfront aufzubauen.

Sie musste schmerzhaft erfahren, dass Konzerne globales Monopoly spielen und Fabriken dort bauen, wo es am billigsten ist, während die Arbeitnehmer angesichts einer international völlig uneinheitlichen Gewerkschaftsstruktur Lichtjahre davon entfernt sind, ein starkes Gegengewicht zu bilden.

In der Mitte angekommen

Immerhin aber setzte man für die 1.700 AEG-Beschäftigten einen großzügigen Sozialtarifvertrag durch, ähnlich wie kurz zuvor schon bei Infineon in München.

"Durch beide Arbeitskämpfe sind wir wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt Bayerns IG Metall-Chef Werner Neugebauer. Aufmerksam hatten er und andere Funktionäre registriert, wie kreuzbrave Bürger Holz für die Feuertonnen der AEG-Streikposten vorbeibrachten, Geld für deren Arbeitskampf oder auch die eine oder andere Brotzeit spendierten.

Unbehagen im Neoliberalismus

"Diese Solidarität zeigte, dass in der ganzen Gesellschaft das Unbehagen über den Neoliberalismus wächst", betont Nürnbergs designierter IG Metall-Chef Jürgen Wechsler.

836.000 Menschen, mehr als 100.000 weniger als noch vor zehn Jahren, gehören in Bayern einer der acht DGB-Gewerkschaften an, davon 356.000 der IG Metall. Als einziger im Bundesgebiet legt der bayerische Landesbezirk bei den betriebsangehörigen Mitgliedern (und damit den Vollbeitragszahlern) zu.

Rote Fahnen und das Kreuz bei den Schwarzen

Anders als Verdi (248.000 Mitglieder) hat die IG-Metall eine straffe hauptamtliche Organisation im Freistaat. Bei der Dienstleistungsgewerkschaft wirken hingegen die Nachwehen der Fusion von sieben in Struktur und Kultur höchst unterschiedlichen Organisationen noch nach. Auch der massive Stellenabbau bei Banken, Versicherungen, Post oder Telekom hinterlässt Spuren.

Generell tut man sich im DGB Bayern schwer mit der politischen Wirklichkeit. Zum Beispiel damit, dass viele, die bei Maikundgebungen rote Fahnen schwenken, am Wahlsonntag ihr Kreuz bei den Schwarzen machen.

Enttäuschte Liebe

Einer Gewerkschaftsstudie zufolge wählen 52 Prozent der eigenen Mitglieder CSU. Doch statt sich mit deren Politik auseinanderzusetzen, kabbelt man sich bevorzugt mit der alten Schwester SPD, deren Entwicklung mit jener der Gewerkschaften ab Mitte des 19. Jahrhunderts eng verwoben war.

Nun waren es ausgerechnet fränkische Gewerkschafter, welche die SPD-Konkurrenz WASG gründeten, die nun mit der Linkspartei verschmilzt. Und während heuer namhafte SPD-Politiker wie Landesvize Florian Pronold als Mairedner ausgeladen wurden, spricht die gesamte Spitze der PDS-Nachfolgepartei im Freistaat auf Gewerkschaftskundgebungen.

In dieser Woche wollen sich die Vorstände des bayerischen DGB und der Landtags-SPD treffen, um ihr zerrüttetes Verhältnis zu verbessern. "Es ist wie zwischen Mann und Frau", glaubt Matthias Jena, der Sprecher der IG Metall in Bayern. "Eine enttäuschte Liebe tut besonders weh, und man reibt sich entsprechend mehr aneinander."

Der Hauptgegner ist das Kapital

Jürgen Wechsler, der künftige bayerische IG-Metall-Chef, glaubt, dass viele Gewerkschafter die bayerische SPD als "zu machtlos und zu verkopft" empfinden. Ihr Führungspersonal sei wenig attraktiv, und viele SPD-Ortsvereine würden nicht von Arbeitnehmern, sondern von Lehrern und anderen Beamten geprägt.

Natürlich wäre es gut für die Gewerkschaften, eine kraftvolle politische Partei an ihrer Seite zu wissen, sagt SPD-Mitglied Wechsler. Viel wichtiger sei es aber, "dass wir uns auf unsere Kernbereiche konzentrieren, die Tarifpolitik, die Arbeit in den Betrieben und die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen." Denn: "Unser Hauptgegner ist das Kapital und nicht die Politik."

© SZ vom 30.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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