Lagarde-Prozess:Frau Lagarde lächelt die Peinlichkeit weg

  • Die Chefin des IWF, Christine Lagarde, muss sich seit Montag vor Gericht wegen einer umstrittenen Millionen-Zahlung verantworten.
  • Es ist nicht gesagt, dass sich der Prozess auf ihr Amt auswirkt. Im schlimmsten Fall könnte ihr allerdings eine Haftstrafe drohen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, Claus Hulverscheidt, New York, und Leo Klimm, Paris

In einer Verhandlungspause geht Christine Lagarde zu einer Frau im Publikum, die sie offensichtlich kennt. Die Frau fragt: "Wie geht's?" Lagarde antwortet: "Sehr gut!" Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) steht da im schwarzen Kostüm, einen bunten Seidenschal um den Hals, am Revers glitzert eine Brosche - chic und charmant, wie immer. Zu Beginn der Verhandlung wirkte sie angespannt, aber nun lächelt sie das strahlende Lagarde-Lächeln.

Dabei hatte sie zuvor - natürlich - mit allen juristischen Mitteln diesen Auftritt vor Gericht zu vermeiden gesucht. Es wirkt am Montag auch wie böse Ironie, dass Lagarde der Prozess vor dem Pariser Gerichtshof der Republik just in dem mit Eichenholz vertäfelten Saal des Justizpalasts gemacht wird, in dem 1793 das Revolutionstribunal über Marie-Antoinette urteilte - und die Königin dann unter die Guillotine brachte. Lagarde droht schlimmstenfalls Gefängnis. Bestenfalls muss die Frau, die zu den mächtigsten der Welt gehört, nur einen für sie peinlichen Prozess ertragen.

Am Montag lächelt Lagarde die Peinlichkeit einfach weg. Kerzengerade sitzt sie vor den Richtern und macht in einer schwarzen Kladde Notizen, als die Vorsitzende die Anklage verliest. Als IWF-Chefin hat Lagarde die Mischung aus strenger Form, steter Freundlichkeit und pragmatischem Umgang mit schwierigen Situationen viel Autorität eingebracht. Sie hat sich das in ihrer Jugend als Synchronschwimmerin antrainiert - ein Sport, der absolute Disziplin verlangt. Aber auch Biegsamkeit. Nun wird der 60-jährige Lenkerin der Weltfinanzen vorgehalten, sie habe in ihrer Zeit als französische Finanzministerin etwas zu viel Biegsamkeit gezeigt. "Fahrlässigkeit im Amt", so lautet der Vorwurf.

Lagarde soll Pflichten verletzt haben, als sie 2008 eine Entschädigungszahlung aus der Staatskasse in Höhe von 403 Millionen Euro an den Geschäftsmann Bernard Tapie billigte. Bei einer Verurteilung drohen ihr 15 000 Euro Geldstrafe - und bis zu ein Jahr Haft. Beim IWF in Washington ebenso wie bei der Bundesregierung in Berlin mag man sich allerdings nicht so recht auf diese Eventualität einstellen. Jedenfalls gilt Lagardes Ablösung an der Spitze des Weltwährungsfonds selbst bei einem Schuldspruch nicht als zwingend. Schließlich hatte der 24-köpfige Exekutivrat, der alle 189 Mitgliedsstaaten des Fonds repräsentiert, die Ex-Wirtschaftsanwältin im Februar einstimmig für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt - wohl wissend, dass ihr in Paris ein Prozess droht. Einzig im Falle einer Haftstrafe müsste sie ihr Amt zwangsläufig abgeben, da sie dann schlicht nicht mehr in der Lage wäre, ihre Arbeit zu erledigen. Dieses Szenario wird offenkundig als unwahrscheinlich angenommen.

Während der bis 20. Dezember angesetzten Verhandlung will Lagarde die Geschäfte führen, als sei sie im Urlaub. "Am Abend und in der Nacht werde ich meine Mails checken und auf Dringendes antworten. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass ich mich einfach aus der Weltwirtschaft ausklinke", so Lagarde. In der Sache gibt sie sich "zuversichtlich und entschlossen". Wenngleich sie gegenüber der Öffentlichkeit implizit um Nachsicht bittet: "Fahrlässigkeit ist ein unabsichtlich begangenes Vergehen. Ich denke, wir sind alle irgendwann in unserem Leben ein bisschen fahrlässig", hat sie dem französischen Fernsehen gesagt. Sie habe immer versucht, nach bestem Wissen und Gewissen zu arbeiten.

Die IWF-Chefin gilt als Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel

Zum Verhandlungsauftakt beantragen Lagardes Anwälte vergeblich, den Prozess auszusetzen. Ihre Begründung: Der Betrug in der Tapie-Affäre, den Lagarde mit ungewohntem Schlendrian ermöglicht haben soll, sei gar nicht endgültig gerichtlich festgestellt. Tatsächlich laufen parallel noch Ermittlungen, in denen es um "organisierten Bandenbetrug" geht. Ermittelt wird hier neben Tapie unter anderem gegen Stéphane Richard, der Lagardes Büroleiter im Ministerium war und heute Chef des Telekomkonzerns Orange ist.

Beim Währungsfonds sitzt die Angeklagte weiter fest im Sattel

Der wegen Bestechung von Fußballern bereits vorbestrafte Ex-Besitzer von Adidas Bernard Tapie behauptet, er sei 1993 beim Verkauf des deutschen Sportartikelherstellers von der Staatsbank Crédit Lyonnais betrogen worden. 2007 gab Lagarde die Order, den Rechtsstreit mittels eines außergerichtlichen Schiedsspruchs zu lösen und damit der ordentlichen Justiz zu entziehen. Als das Schiedsgericht 2008 Tapie eine Entschädigung von 403 Millionen Euro zusprach, verzichtete sie darauf, die äußerst großzügige Zahlung anzufechten. Damit, so der Vorwurf, habe sie die Unterschlagung von Staatsgeld ermöglicht. Wie die Ermittler herausfanden, unterhielt Tapie finanzielle Kontakte zu einem Mitglied des Schiedsgerichts. Heute muss sich Lagarde selbst vor einer umstrittenen Sonderjustiz verantworten: Dem Gerichtshof der Republik gehören auch Parlamentarier an. Er ist allein für Verfehlungen von Regierungsmitgliedern zuständig.

"Ich will beweisen, dass ich mich in keiner Weise schuldig gemacht habe", sagt Lagarde vor den Richtern. Sie deutet an, sie sei getäuscht worden - ein kaum verhohlener Versuch, ihren ehemaligen Büroleiter Richard zu belasten, der als Zeuge aussagen wird. Zugleich räumt Lagarde ein, bestimmte Vermerke zum Fall Tapie einst nicht gelesen zu haben. Beim IWF sitzt Lagarde ungeachtet des juristischen Ungemachs fest im Sattel. Ein IWF-Sprecher bekräftigte, die Direktoren ließen sich ständig über den Stand der Verhandlungen informieren. Sie hätten keinen Zweifel, dass Lagarde jetzt und künftig in der Lage sei, ihren Pflichten nachzukommen. Auch gehe es bei dem Prozess ja um Fragen der Amtsführung, nicht etwa um persönliche Bereicherung. Länder, die auf eine Haftstrafe für Lagarde hoffen, um sie loszuwerden, gibt es offenbar nicht. Auch die Bundesregierung beschwichtigt. Besonders eng ist Lagardes Verhältnis zu Finanzminister Wolfgang Schäuble. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie nicht alle Ansichten Schäubles teilt, sich ihm aber freundschaftlich verbunden fühlt. Auf der Herbsttagung des IWF stellte sie gar in Aussicht, ihn bei passender Gelegenheit landestypisch zu bekochen. Was sie tue, falls sie verurteilt werde, wurde Lagarde gefragt. "Das sehen wir zu gegebener Zeit." Es klingt nicht, als habe sie vor, das Schicksal von Vorgänger Dominique Strauss-Kahn zu teilen. Der musste nach Vergewaltigungsvorwürfen zurücktreten - ohne Schuldspruch. Lagarde könnte wegen eines Finanzskandals verurteilt werden. Und im Amt bleiben.

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