Europäische Zentralbank:Notenbankchefin Lagarde steht vor einem Dilemma

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Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank: Hohe Verteidigungsausgaben der Euro-Länder könnten wieder zu extremen Reaktionen auf den Anleihemärkten führen (Foto: Arne Dedert/dpa)

Jetzt kommen auch noch die Verwerfungen zwischen den USA und der EU hinzu: Die Europäische Zentralbank müsste eigentlich die Zinsen senken, um eine neue Schuldenkrise zu vermeiden. Andererseits drohen ein Zollkrieg und hohe Inflation.

Von Harald Freiberger, Markus Zydra, Frankfurt

Die dramatische Verschärfung des Konflikts zwischen den USA und Europa wirkt sich auch auf die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) aus. Es wird immer klarer, dass sich die Staaten der Euro-Zone für die Stärkung der europäischen Verteidigung mit dreistelligen Milliardenbeträgen verschulden müssen. Dadurch steigt die Gefahr extremer Reaktionen an den Anleihemärkten. Denn Länder wie Italien und Frankreich sind bereits hoch verschuldet.

Was es bedeutet, wenn der Bogen überspannt wird, hat man in den Jahren 2011 und 2012 in der Euro-Krise gesehen: Die Zinsen für Staatsanleihen hoch verschuldeter Länder wie Griechenland oder Italien stiegen immer höher, weil Investoren das Vertrauen verloren, dass die Länder ihre Schulden je zurückzahlen können. Der Euro stand kurz vor dem Zusammenbruch. Erst der damalige EZB-Präsident Mario Draghi beendete mit seiner Zusicherung den Spuk: Er werde alles tun, um den Euro zu retten, sagte er damals. Seitdem stützt die EZB die Anleihekurse mit Käufen in immenser Höhe.

Jetzt muss die EZB wieder darauf achten, dass es an den Anleihemärkten angesichts der Schuldenaufnahme nicht erneut zu Turbulenzen kommt. Es gilt der Grundsatz: Je höher die Leitzinsen, desto teurer werden die Kredite für die Euro-Staaten. Da viele Regierungen bereits jetzt hoch verschuldet sind, gibt es ein latentes Risiko, dass die Anleihemärkte den Geldhahn zudrehen.

Um die Lage zu entschärfen, müsste die EZB die Leitzinsen eigentlich weiter drücken. Der wichtigste Leitzins, der Einlagensatz, sank schon in fünf Schritten von 4,0 auf nun 2,75 Prozent. An diesem Donnerstag entscheidet die Zentralbank erneut: Es wird erwartet, dass die Notenbanker den Leitzins das vorerst letzte Mal senken. Denn es droht auch Gefahr von anderer Seite: einer wieder auflebenden Inflation.

Um die extrem hohe Inflation einzudämmen, hatte die EZB den Leitzins 2022 stark angehoben. Hohe Zinsen bremsen die Kreditvergabe und die Wirtschaft, was die Preise dämpft. Als die Inflation nachließ, konnte die EZB 2024 anfangen, die Zinsen wieder zu senken – was zugleich die Konjunktur ankurbelt, weil Unternehmen leichter Kredite aufnehmen können.

Ein Handelskrieg verknappt Produkte

Doch inzwischen ist die Unsicherheit angesichts der vielen radikalen Maßnahmen von US-Präsident Donald Trump wieder groß. So besteht die Gefahr eines globalen Zollkriegs zwischen den USA, der EU und China. Dieser muss nicht, aber kann einen erneuten Inflationsschub auslösen. Handelskriege würden Waren nicht nur verteuern, sondern auch verknappen, was die Preise weiter erhöht und gegen allzu starke Leitzinssenkungen spricht. Auch die US-Notenbank Federal Reserve hat inzwischen eine Zinspause eingelegt. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte zuletzt im Europäischen Parlament, dass die größeren Spannungen im Welthandel die Inflationsaussichten im Euro-Raum unsicherer machen. Sie warnte zudem, die Häufigkeit von Schocks wie der Pandemie und dem Einmarsch Russlands in der Ukraine „wird wahrscheinlich hoch bleiben“.

So komplex gestalten sich die geo- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, dass unsicher ist, ob die Notenbank die Leitzinsen nach dem erwarteten Schritt in dieser Woche noch weiter senkt. „Wenn überhaupt, nähern wir uns dem Punkt, an dem wir mit unseren Zinssenkungen womöglich pausieren oder sie stoppen müssen“, sagte EZB-Direktorin Isabel Schnabel in einem Interview mit der Financial Times. „Ich weiß nicht, was in den nächsten Sitzungen passieren wird, also schauen wir mal. Aber wir müssen diese Diskussion beginnen“, sagte sie. Schnabel ist die bislang prominenteste Stimme in der Notenbank, die für eine Debatte über einen Stopp der Zinssenkungen plädiert.

Viel hängt davon ab, was beim Zollstreit herauskommt

Entscheidend wird sein, was bei dem Zollstreit zwischen der EU und den USA herauskommt. „Wir können bei unseren Zinsentscheidungen nicht alle möglichen künftigen Entwicklungen in der Handelspolitik antizipieren“, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel. „Zinspolitik auf der Basis von Konjunktiven wäre ein Fehler.“ Sobald US-Sonderzölle in Kraft gesetzt seien, ändere sich das Bild.

Unabhängig von diesen Unwägbarkeiten sind die monatlichen Inflationsraten immer noch zu hoch. Die deutsche Inflation lag im Februar wie bereits im Januar bei 2,3 Prozent. Die Inflation in der Euro-Zone war bei 2,5 Prozent. Die EZB möchte die Inflation mittelfristig bei 2,0 Prozent fixieren. Da die Inflationsrate im letzten Jahr bis auf 1,7 Prozent gefallen war, hatte die Notenbank mit der Senkung der Leitzinsen begonnen. Wirtschaft und Politik haben Interesse an noch niedrigeren Zinsen, doch die EZB möchte das Risiko einer erneuten Hochinflationsphase verringern. Gut möglich, dass die Regierungen in der Euro-Zone Druck auf die EZB machen werden, die Leitzinsen schnell weiter zu senken. Der Kreditbedarf, vor allem im Verteidigungssektor, ist riesig.

Weltweit geraten Notenbanker immer stärker unter politischen Einfluss. US-Präsident Trump spricht Fed-Chef Jerome Powell Kompetenz ab und fordert radikale Zinssenkungen, um Kredite zu verbilligen. Trump spielt offen mit dem Gedanken, die Fed unter seine Macht zu stellen, sollte sie nicht parieren. Anhaltender politischer Druck aber könnte Wechselkurse und Anleiherenditen negativ beeinflussen. Der Vorteil der politischen Unabhängigkeit: Zentralbanken können ungehindert von der Politik die richtigen, mitunter aber unpopulären Zinserhöhungen beschließen, um stabile Preise zu sichern. Allzu niedrige Leitzinsen führen zwar kurzfristig zu einem Aufschwung, doch am Ende, und dafür gibt es in der Geschichte viele Beispiele, drohen hohe Inflation, Rezession und eine Finanzkrise.

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