Krieg in Syrien:Weltgrößter Zementkonzern soll Schutzgeld an IS gezahlt haben

Krieg in Syrien: Zement ist in Zeiten von Bürgerkrieg und Terror ein lukratives Geschäft - an dem auch der IS mitverdienen will.

Zement ist in Zeiten von Bürgerkrieg und Terror ein lukratives Geschäft - an dem auch der IS mitverdienen will.

(Foto: AP)
  • Mitarbeiter des französischen Zementkonzerns Lafarge sollen für die Angestellten einer Fabrik in Syrien Schutzgeld an den IS gezahlt haben.
  • Der Chef hat für den Sommer seinen Rücktritt angekündigt, die Justiz ermittelt.

Von Thomas Fromm

Als der französische Zementkonzern Lafarge im Mai 2010 seine Fabrik im nordsyrischen Jalabiya eröffnete, ahnte man noch nicht, dass hier kurze Zeit später die Hölle ausbrechen würde. Die Region galt in der Wirtschaft noch als interessanter Wachstumsmarkt, der Konzern hoffte auf gute Geschäfte. Dann brach ein Jahr später der Bürgerkrieg aus. Zuerst kamen syrische Truppen, dann kurdische, und im Sommer 2013 rief der sogenannte Islamische Staat (IS) ausgerechnet das benachbarte Raqqa zu seiner Hauptstadt aus. Die Zementfabrik lag auf einmal mitten im Terrorgebiet des IS.

Spätestens jetzt hätten die Konzernverantwortlichen wohl die Reißleine ziehen müssen. Doch das Management ließ die Anlage erst im September 2014 evakuieren - kurz bevor sie von Kämpfern des IS besetzt wurde.

Was in der Zwischenzeit bei dem Syrien-Ableger "Lafarge Cement Syria"(LCS) geschah, interessiert nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch die französische Justiz. Der Vorwurf der Kritiker: Die Firma soll in Syrien indirekt die Terrormiliz Islamischer Staat mitfinanziert, über Vermittler Schutz- und Lösegeld an islamistische Rebellen gezahlt und ihre Mitarbeiter vor Ort schwer gefährdet haben. Ganz nach dem Motto: The show must go on.

Bekannt geworden waren die Verhältnisse in dem syrischen Werk, das rund 150 Kilometer nordöstlich von Aleppo liegt, im vergangenen Sommer, nachdem die französische Zeitung Le Monde erstmals darüber berichtet hatte. Der Konzern, der inzwischen durch die Fusion mit dem Schweizer Unternehmen Holcim zum weltgrößten Zementhersteller geworden ist, setzte daraufhin interne Ermittler auf den Fall an. Anfang dieser Woche schließlich teilte man mit: Vorstandschef Eric Olsen soll Mitte Juli nach nur zwei Jahren im Amt zurücktreten - auch wenn er keine Verantwortung für die Fehler trage. Er sei "in keinerlei Fehlveralten involviert" gewesen, so Olsen. Das aber ist die Frage: Konnte das Unternehmen in Syrien seinen Geschäften nachgehen, ohne dass man in der Zentrale von den Details wusste?

Der Chef geht, aber zu den Akten legen wird man den Fall damit noch lange nicht. Denn die Aufarbeitung des Falls Lafarge ist vor allem eins: ein Lehrstück über Unternehmenspolitik in Zeiten von Krieg und Terror. Und über die Frage, wann für Konzerne der richtige Moment gekommen ist, aufzuhören. Man habe auch wegen der Mitarbeiter und der Menschen vor Ort weitergearbeitet, heißt es bei Lafarge. Die Ermittlungen zeigen jedoch: Der Preis, den der Konzern dafür bezahlte, war hoch.

"Wir sind mit einer Reihe ehemaliger syrischer Mitarbeiter in Kontakt, die schwere Vorwürfe gegen Lafarge erheben", sagt Patrick Kroker vom "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) in Berlin. Die Nicht-Regierungsorganisation und der französische Verein Sherpa haben zusammen mit früheren Mitarbeitern der syrischen Zementfabrik in Paris eine Strafanzeige gegen Lafarge eingereicht. "Die Zeugenaussagen", sagt Kroker, "legen den Schluss nahe, dass der Konzern unter anderem Schutzgelder an den IS gezahlt und mit ihm darüber hinaus Handel betrieben - sprich: Rohstoffe gekauft hat."

Neben dem Vorwurf, Erdölgeschäfte mit zweifelhaften Anbietern gemacht zu haben, um den Rohstoffnachschub für die Produktion zu garantieren, geht es auch um Lösegeld bei Entführungen, um Schutzgelder und Wegezölle, die offenbar fällig waren, um Materialien in die Fabrik und Zement zu den Kunden zu bringen. Mit anderen Worten: Wenn Lieferanten und Konzernmitarbeiter das Gebiet passierten, war das nicht umsonst. Zeugen berichten von regelrechten Passierscheinen des IS, die gekauft werden mussten, um die Checkpoints passieren zu können.

Zementhersteller können in Kriegsgebieten gute Geschäfte machen

"Es gibt bestimmte Branchen, die äußerst anfällig für derartige Verwicklungen sind und die bewaffnete Konflikte befeuern", sagt Patrick Kroker vom ECCHR. "Neben dem Öl- und Rüstungsgeschäft ist dies vor allem die Zementbranche, die ganz oben auf der Liste steht. Es gibt in Kriegsgebieten immer einen großen Bedarf an Zement - und wer so etwas produziert und verkauft, kann mitunter große Geschäfte machen."

Der Konzern kommt nach einer Untersuchung zum Ergebnis, "dass das lokale Unternehmen Gelder an Dritte zahlte, damit Vereinbarungen mit gewissen bewaffneten Gruppen, einschließlich sanktionierter Parteien, in der Absicht geschlossen werden konnten, den Betrieb weiterführen zu können und sowohl für Mitarbeitende als auch Waren einen sicheren Zugang zum Werk zu gewährleisten."

Im Abschlussbericht heißt es dann, man habe hierbei "Zwischenhändler" eingesetzt, um einen "direkten Kontakt mit den bewaffneten Gruppierungen" zu vermeiden. Als die Situation immer gefährlicher wurde, entschloss sich das europäische Management im Juni 2012, nicht-syrische Kollegen aus dem Land abzuziehen. Andere leitende Angestellte führten die Geschäfte inzwischen aus Kairo heraus, andere blieben dort und arbeiteten weiter - und seien damit in große Gefahr gebracht worden, monieren Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen heute.

Das Unternehmen hält heute, umständlich formuliert aber selbstkritisch fest: "Die Ergebnisse bestätigen zudem, dass, obwohl diese Maßnahmen vom lokalen und regionalen Management veranlasst wurden, bestimmte Mitglieder des Konzernmanagements Kenntnis von Umständen hatten, die darauf hindeuteten, dass eine Verletzung bestehender Geschäftsgrundsätze von Lafarge stattgefunden hat." Mit anderen Worten: Was in Syrien geschah, auf welchen verschlungenen Wegen Zement produziert, verkauft und ausgeliefert wurde, blieb dem Management in Europa womöglich kaum verborgen.

Es geht um einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren, den die Juristen nun bewerten müssen. Und es geht um die Frage, ob sich Zementmanager nicht nur für Zement, sondern auch für Politik und Menschenrechte interessieren sollten.

Beim ECCHR schließt man nicht aus, dass sich auch andere Konzerne mit finsteren Mächten in Syrien eingelassen haben könnten. "Daher sind wir gerade dabei, weitere mögliche Verstöße und Beteiligungen zu prüfen", kündigt ECCHR-Anwalt Kroker an.

Lafarge-Holcim stellt in seinem Abschlussbericht übrigens etwas sehr Bemerkenswertes fest: "Das damalige Werk von Lafarge in Syrien arbeitete in dem fraglichen Zeitraum mit Verlust und trug zum Zeitpunkt der Evakuierung weniger als 1 Prozent zum Konzernumsatz bei", heißt es dort. Gelohnt hat sich die Sache also auch wirtschaftlich nicht.

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