Länderfinanzausgleich:Deutschland wird zentralistischer

Abendstimmung in der Hauptstadt

Künftig soll noch mehr in Berlin entschieden werden, die Länder geben wohl einige wichtige Rechte ab.

(Foto: dpa)
  • Weil die reichen Bundesländer die armen nicht länger unterstützen wollen, zahlt der Bund bald 9,7 Milliarden Euro mehr pro Jahr.
  • Dafür müssen die Bundesländer allerdings einige wichtige Rechte abgeben.
  • In den Gesetzen, die die Regierung nun beschlossen hat, geht es unter anderem um Schulen, Steuern und Autobahnen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das Bundeskabinett an diesem Mittwoch wichtige Gesetze beschlossen, die das Leben in Deutschland entscheidend beeinflussen werden, und zwar mindestens für die kommenden 20 Jahre. Die Bundesregierung verabschiedete am Vormittag ein Gesetzespaket, das die finanzielle und bürokratische Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen vom Jahr 2020 an neu regelt.

Passieren die Paragrafen zur Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen auch noch Bundestag und Bundesrat, wovon auszugehen ist, wird die Bundesrepublik künftig zentralistischer regiert. Ob sich die Lebensqualität dadurch verbessert, ist heute nicht vorauszusagen. Sicher ist nur eins: zwischen den Ländern wird es weniger solidarisch zugehen.

Das Tauschgeschäft, das Bund und Länder eingegangen sind, lautet so: Der Bund entlässt die Länder aus der Verpflichtung, sich untereinander wie bisher finanziell solidarisch zu zeigen. Der Länderfinanzausgleich ist abgeschafft; wie von Bayern und Baden-Württemberg gefordert, wird es keine Nettozahler mehr geben.

Stattdessen zahlt der Bund. Und zwar von 2020 an jährlich 9,7 Milliarden Euro zusätzlich. Das Geld wird unter den Ländern so aufgeteilt, dass die Lebensbedingungen in der Bundesrepublik nicht zu weit auseinanderfallen. Als Gegenleistung haben die Länder dem Bund wichtige Kompetenzen und Weisungsbefugnisse abgetreten. Laut Gesetzestext war dies nötig, um "eine Verbesserung der Erledigung der staatlichen Aufgaben in der föderalen Ordnung" zu erreichen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte am Mittwoch nach dem Kabinettsbeschluss, die Koalition habe "nicht nur die finanziellen Weichen für die Zukunft unseres Föderalismus" gestellt, sondern auch die Art und Weise modernisiert, wie Bund und Länder zusammenarbeiten. Um die Beschlüsse umzusetzen, muss das Grundgesetz in insgesamt 13 Artikeln geändert werden. Dazu kommt ein 132 Seiten umfassendes Gesetz, in dem Einzelheiten geregelt werden.

Die Änderungen betreffen nahezu alle Bereiche des privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Lebens. Geregelt wird, dass der Bund Schultoiletten künftig sanieren darf, dass Seehäfen finanzielle Zuschüsse bekommen, unter welchen Umständen Beamte versetzt werden dürfen, welche Software in allen deutschen Finanzämtern verwendet werden soll oder ob das Urteil eines einzelnen Finanzgerichts, etwa darüber, ob das Sitting von Haustieren durch Dritte steuerlich absetzbar ist, nur als Einzelfall gilt - oder generell für ganz Deutschland und alle betroffenen Steuerzahler.

Besonders umstritten ist die Zukunft der Autobahnen

Zu den umstrittensten Vereinbarungen gehört die Gründung der bundeseigenen Fernstraßengesellschaft. Schäuble will Bau, Planung und Betrieb von Autobahnen künftig zentral steuern, um deren Qualität bundesweit gewährleisten zu können. Er will außerdem der Praxis ein Ende machen, wonach der Bund zwar viel Geld gibt, aber nicht dafür sorgen kann, dass es zweckbestimmt eingesetzt wird.

Die Ministerpräsidenten der Länder stimmten nur sehr zögerlich zu, weil sie um den Verlust ihrer Kompetenzen fürchteten. Das Gesetz spiegelt den Streit wider. Künftig werden die Autobahnen und, wenn von den Ländern gewünscht, auch Fernstraßen, zwar wie von Schäuble gefordert, in der Bundesgesellschaft verwaltet. Allerdings bleiben die Autobahnen wie auch die bundeseigene Fernstraßengesellschaft vollständig im Besitz des Bundes - weil die Länder und der Koalitionspartner SPD es so wollten. Private Investoren dürfen sich nicht beteiligen.

Die Bundesgesellschaft ist auch nicht ermächtigt, Kredite aufzunehmen. Damit ist es nicht möglich, etwaige Schulden in die Gesellschaft zu verschieben. Alle Angestellten und Beamten, die heute bei landeseigenen Fernstraßengesellschaften arbeiten, müssen sich keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Das Gesetzespaket regelt ihre Übernahme in die Bundesgesellschaft.

Dass es zentralistischer zugeht, werden die Bürger auch spüren, wenn sie neue Ausweise beantragen oder ihren Umzug melden wollen. Künftig gibt es ein bundesweit einheitliches Online-Portal, über das alle Bürger auf Online-Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung von Bund und Ländern zugreifen können. Es soll etwa möglich sein, sich von Augsburg aus in die Berliner Verwaltung einzuwählen.

Regierung will die Gesetze schnell durch Bundestag und Bundesrat bringen

Mächtiger wird der Bund in der Steuerverwaltung. Er kann den Finanzverwaltungen der Länder schriftlich Anweisungen geben - sofern nicht zwei Drittel der Länder dagegen sind. Erstmals bekommt der Bund auch direkte Durchgriffsrechte bei Finanzhilfen an Kommunen.

Die große Koalition will das Gesetzespaket bis Ostern 2017 durch Bundestag und Bundesrat bringen. Sie hat dafür die parlamentarischen Fristen verkürzen lassen, was im Bundestag für Ärger sorgt. Das Gesetzgebungsorgan will es sich nicht nehmen lassen, die im Kanzleramt mit den Ministerpräsidenten erzielte Vereinbarung ausführlich durchleuchten - und natürlich auch ändern zu lassen. Jede Änderung aber wird die mühsam ausgehandelte Vereinbarung insgesamt gefährden.

Gut möglich also, dass sich die Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen über Ostern 2017 hinaus verzögern wird. Klar ist auch: Sobald das Gesetzespaket verabschiedet ist, kann es erst wieder vom 1. Januar 2031 an aufgekündigt werden. Einer der Verhandler deutete bereits an, nach der Verabschiedung vorsorglich die Kündigung in den Safe legen zu wollen.

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